Stellungnahme unserer Schwesterorganisation DSiP (revolutionäre sozialistische Arbeiterpartei) aus der Türkei zur gegenwärtigen Entwicklung in der kurdischen Frage
Im Anschluss an ihren Kongress vom 5. bis 7. Mai 2025 gab die PKK ihr Ergebnis schriftlich bekannt, dass sie sich dafür entschieden hat die Organisation aufzulösen. Ein knapp 50-jähriger Prozess hat nun eine völlig neue Dimension erreicht.
Seit Beginn des Prozesses im Oktober, haben wir erkannt, dass die turbulenten Bedingungen in der Welt, insbesondere im Nahen Osten und in Syrien, der bestimmende Faktor für die Entwicklungen sind, und wir haben gesagt, dass dieses Mal ein Sprung in eine neue Phase möglich ist, in der militärische Methoden völlig außer Frage stehen.
Die Erklärungen von Bahçeli im Oktober, dann von Erdoğan und die Verlesung des Aufrufs von Abdullah Öcalan im Februar hatten gezeigt, dass sowohl die Kurden als auch der Staat vorausgesehen hatten, dass die Entwicklungen in Syrien große Unruhen auslösen und ihre Auswirkungen auf die Türkei eine Reihe politischer und sozialer Verwerfungen in erschütternder Weise mobilisieren könnten, und dass ein neuer Lösungsprozess um diese Voraussicht herum aufgebaut wurde.
Mit der Entscheidung, die Organisation aufzulösen, wird die kurdische Frage nun auf einem ganz anderen Gebiet behandelt, nämlich auf dem Gebiet des politischen Kampfes. Es gibt keine Ausreden mehr. Das Justizsystem, das jedes Problem mit der Organisation und Terrorismus in Verbindung bringt, muss reformiert werden. Es muss Schluss sein mit der repressiven Stimmung, und dem Versuch, jeden Kampf mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Diejenigen, die die nationalistische Propaganda in allen Bereichen aufblähen, indem sie den Terrorismus als Vorwand benutzen, werden nicht mehr überzeugend sein. Die Organisation, auf die sich diejenigen berufen, die sich angesichts der Kämpfe in verschiedenen Bereichen hinter dem Vorwand der »Staatssicherheit« verstecken, existiert nicht mehr.
Das kurdische Volk hat seinen jahrzehntelangen Kampf um die Anerkennung seiner elementarsten Rechte nicht aufgegeben. Die Erklärungen sowohl von Pervin Buldan als auch des Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei, Tuncer Bakırhan*, zeigen, wie viel Hoffnung sie in der Entwicklungen sehen. Das kurdische Volk streckt schon seit langem die Hand des Friedens aus, doch es griff niemand nach der ausgestreckten Hand. Im Westen sucht man nun nach anderen Händen, die nach dieser Hand greifen.
Der jetzt unternommene Schritt zeigt, wie entschlossen das kurdische Volk für den Frieden ist. Wir gedenken Sırrı Süreyya Önder**, der einen großen Beitrag zum Kampf für Frieden, nach einer Lösung und Gleichheit geleistet hat. Wenn die Entscheidung der Organisation sich aufzulösen, der bedeutendste Schritt im Lösungsprozess werden soll, dann hängt dies davon ab, ob es eine Reihe von rechtlichen und politischen Schritten des Staates gibt, die er in die Wege leitet und ob diese für das kurdische Volk zufriedenstellend sind. Die erste Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die, wie die Rechte der Mitglieder der aufgelösten Organisation definiert werden, um am Leben und an der Politik teilnehmen zu können. Die Kommunikationskanäle zwischen Abdullah Öcalan und seiner Gruppe, die sich für die Orientierung auf die demokratische Politik entschied, müssen frei werden.
Tausenden von Kurden, die in Lagern in verschiedenen irakischen Städten leben, sollte die Möglichkeit gegeben werden, mit rechtlichen und wirtschaftlichen Garantien in die Türkei zu kommen. Ein weiterer wichtiger Schritt besteht darin, auf allen Ebenen eine Reihe von Rechten anzuerkennen und zu garantieren, die die Grundlage der kurdischen Frage bilden.
Heute ist der Tag, an dem wir dem Prozess und den Entwicklungen nicht skeptisch gegenüberstehen, sondern dem kurdischen Volk beistehen, um ihm zu seinen Rechten zu verhelfen und Solidarität aufzubauen, damit der neue Lösungsprozess eine dauerhafte Atmosphäre des Friedens erreichen kann. Jetzt ist der Tag des Friedens.
Jetzt müssen wir viel deutlicher machen, dass das kurdische Volk der wichtigste Verbündete der Arbeiter und aller Unterdrückten ist, die im Westen kämpfen. Es ist klar, dass der Friedensprozess die wichtigste Entwicklung ist, die dazu beitragen wird, eine Reihe von ideologischen Barrieren im gemeinsamen Kampf für unsere grundlegendsten Rechte zu überwinden. Diejenigen, die diesem Prozess skeptisch gegenüberstanden, gehören der Vergangenheit an. Jetzt ist es an der Zeit, nach vorne zu schauen.
Weder die Demokratie noch der Frieden werden sich von selbst einstellen. Im Gegensatz zu denjenigen, die dem kurdischen Volk nicht helfen, die Last des neuen Lösungsprozesses mit Aussagen wie »Es kann keinen Frieden ohne Demokratie geben« zu tragen, wird jeder Schritt, der von denen, die für Frieden und Demokratie kämpfen, unternommen wird, um den Lösungsprozess in einen dauerhaften Frieden zu verwandeln, dazu beitragen, die Grenzen der Demokratie und die zahllosen Bereiche des Kampfes zu erweitern. Lasst uns aktiv werden, um den Friedensprozess anzunehmen und zu tragen, um ihn als einen Prozess des Kampfes für die Freiheit des kurdischen Volkes und aller unterdrückten Völker zu betrachten.
Es lebe der Frieden!
Hoch die Gleichheit der Völker!
DSiP – Revolutionäre Sozialistische Arbeiter Partei (12.05.25)
*Führende Mitglieder der kurdischen politischen Bewegung, Abgeordnete.
**Er war sowohl Mitglied der Verhandlungsdelegation im Zeitraum 2013-2015 als auch Abgeordneter und damit einer der aktivsten Teilnehmer an dem Prozess in diesem Zeitraum. Er ist vor kurzem ums Leben gekommen.
Titelbild: ANF News