Israelische Bomben zerstören Wohnhaus in Iran

Iran: »Diese Angriffe haben unsere Kämpfe zurückgeworfen«

Israels Angriffe auf Iran schwächen die Bewegungen gegen die islamische Republik, sagt der iranische Aktivist und Journalist Amir Abbas Azarmand

Sozialismus von unten: Die israelische Regierung behauptet, in Iran nur militärische Ziele und solche, die mit dem Atomprogramm in Verbindung stehen, angegriffen zu haben. Wie hast Du die Auswirkungen der Bomben vor Ort erlebt?

Amir Abbas Azarmand: Die israelische Regierung lügt. Sie hat eindeutig Zivilisten angegriffen. Ich habe als Journalist Szenen der Bombardierungen gesehen, etwa auf dem Tajrish-Platz, bei denen gezielt normale Bürger:innen getroffen wurden.

Die israelische Regierung ist heute die einzige Regierung weltweit, deren Führungspersonen des Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt werden. Und doch greift sie mit der Unterstützung demokratischer Staaten ungehindert andere Länder an. Sie erledigt, wie Friedrich Merz es ausdrückt, die »Drecksarbeit«. Die unipolare Welt ist schmutziger als die bipolare Ära. Der Nahe Osten mit seinen Kriegen ist ein deutliches Symbol der Barbarei, die das 21. Jahrhundert prägt.

Was haben die israelischen Luftangriffe für das Leben der Menschen in Iran bedeutet?

Die Luftangriffe Israels, durchgeführt mit der modernsten Ausrüstung der Welt, waren für die iranische Bevölkerung größtenteils erschreckend. Die Städte leerten sich rasch. Alle versuchten, in ländliche Gebiete zu fliehen. Aus der Megacity Teheran, die über 10 Millionen Einwohner hat, flohen während des zwölftägigen Krieges 9 Millionen Menschen in andere Städte.  

Abgesehen von den direkt bombardierten Gebieten entstanden in verschiedenen Bereichen Krisen. Die schwerwiegendste Krise betraf die Arbeitswelt. Iranische Arbeitgeber und Kapitalisten strichen schnell die Löhne oder führten Massenentlassungen durch. Ein erheblicher Teil des Budgets, das eigentlich für Infrastrukturprojekte wie Straßenbau, Schulen oder Krankenhäuser vorgesehen war, soll nun für die Wiederbeschaffung von Flugzeugen und Luftabwehrsystemen ausgegeben werden.  

Die Menschen leben weiterhin in Sorge. Zwar dauerte der letzte Krieg nur zwölf Tage, doch man darf nicht vergessen, dass Iran seit 2009 unter dem Druck eines großen Wirtschaftskriegs in Form von umfassenden US-Sanktionen und denen ihrer Verbündeten steht. Jetzt fürchtet die Gesellschaft weitere Angriffe. Die meisten Menschen sind sicher, dass die israelische Armee Iran erneut angreifen wird. Diese Sorge zermürbt die Gedanken eines Großteils der Gesellschaft.

Der israelische Verteidigungsminister Katz erklärte, durch die Angriffe außerdem die iranische Regierung destabilisiert haben zu wollen. Was ist Dein Eindruck: Haben die israelischen Bomben die iranische Regierung geschwächt?

Vielleicht schwächen sie dieses Regime. Doch die Schwächung einer Regierung, wenn es keine progressive Alternative gibt, schadet am Ende der Bevölkerung. Katz‘ Aussage zur »Schwächung des Regimes« ist sicherlich nicht als Stärkung der Bevölkerung gemeint. Israel verfolgt offenbar im Rahmen seines ehrgeizigen Plans für einen »Neuen Nahen Osten« die Zerschlagung Irans nach dem Vorbild Jugoslawiens. Dieses Szenario ist zwar bisher nicht eingetreten. Doch es scheint, als ob die israelische Führung und ihre rechte Regierung weiterhin auf diesen blutigen Plan hinarbeiten.  

Zwar haben Israels Bomben Teile der iranischen Militärindustrie beschädigt, doch gleichzeitig wurde die Islamische Republik für einen Großteil der Bevölkerung zur einzigen vermeintlichen »Verteidigungsbastion«. Man versetze sich in die Lage von 90 Millionen Iraner:innen. Sie stehen unter Angriff seitens eines genozidalen Staats unserer Zeit, der von demokratischen Regierungen mit modernsten Waffen ausgestattet wird. Selbst viele, die Probleme mit der Islamischen Republik haben, halten es heute für klüger, das Regime nicht allzu stark zu kritisieren.  

Man sehe sich die Statistiken zu Streiks und Arbeiterprotesten in den Monaten vor dem Krieg und den Tagen danach an. Menschen, deren Häuser zerstört werden, die ohne Strom leben, die weder Ruhe noch Sicherheit haben, verlieren die Motivation, für Freiheit und Gleichheit zu kämpfen. In solchen Zeiten wird Sicherheit zur absoluten Priorität. Ich kann sagen: Die Situation hat sich seit dem israelischen Angriff stark verändert.

Wie wirken sich die israelischen Angriffe auf Deinen Kampf gegen die iranische Regierung aus?

Wie ich bereits sagte, glaube ich, dass diese Angriffe unsere Kämpfe zurückgeworfen haben. Israel hat reaktionäre und rechte Kräfte wie Reza Pahlavi, den Sohn des gestürzten letzten Schahs, und ethnische Gruppen wie die Demokratische Partei Kurdistans aufgewertet. Das sind Strömungen, die reaktionär und gegen die Gesellschaft gerichtet sind. Diese hatten zuvor, trotz der Propaganda ihrer Anhänger:innen, keine Führungsrolle in den bestehenden Bewegungen – also in der Arbeiterbewegung, bei Lehrer:inen, Rentner:inen, Pflegekräften, Studierende und Frauen – und waren nur aufgrund ihrer mächtigen Unterstützer in den pro-imperialistischen Medien präsent, nicht aber in den täglichen Kämpfen in Iran.

Heute erleben wir in den iranischen Städten eine massive Welle des Antisemitismus. Kürzlich habe ich an einigen Orten übertriebene Lobpreisungen Hitlers gehört, die ich zuvor nie gehört hatte. Weniger aufgeklärte Teile der Gesellschaft setzen Israel mit Juden gleich und schreiben Israels Fehler allen Juden zu. Das liegt auch daran, dass selbst im Westen, und besonders in Deutschland, Kritik an Israel als Angriff auf Juden betrachtet wird.

Andererseits sind frühere Widersprüche zugunsten des Nationalismus in den Hintergrund getreten. Das Thema Landesverteidigung, das früher ein Nebenthema war, ist heute ein Hauptthema geworden. Viele politische Kräfte haben sich zugunsten dieser Ansätze zurückgezogen. Heute gibt es eine massenhafte Tendenz in der Bevölkerung, die Produktion von Atomwaffen befürworten. Für einen großen Teil der Menschen können Atomwaffen die Pläne von Israel durchkreuzen. In einer Welt, in der andere Mechanismen vollständig außer Kraft gesetzt werden, herrscht das Recht des Stärkeren, und nur der Stärkere überlebt. Früher dachten die meisten Gegner der Islamischen Republik, dass der Bau von Atomwaffen das Überleben des Regimes sichern würde. Heute argumentieren sie mit Verweis auf die Erfahrung der Sowjetunion, die Atomwaffen besaß, dass der Besitz von Atomwaffen das Überleben des Irans als Staat sichere, nicht nur des herrschenden Regimes.

Ich glaube, sogar die Bereitschaft, israelisches Territorium anzugreifen und terroristische Aktionen durchzuführen, ist gestiegen. Die Menschen fühlen sich gedemütigt. Sie können nicht glauben, wie ein Land innerhalb von zwei Jahren nach dem 7. Oktober fünf oder sechs andere Länder angreift. Sie können nicht glauben, dass sein Ministerpräsident mit Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs verfolgt wird, aber die demokratischen Regierungen ihm weiterhin die Mittel für Verbrechen und Mord liefern. Die iranische Bevölkerung fühlt sich zutiefst alleingelassen. Sie glaubt, dass in dieser Welt niemand an sie denkt und dass sie sich selbst so stark machen müssen, dass andere aus Angst keinen Angriff auf Iran wagen.

Wie stehen andere oppositionelle Kräfte in Iran zu der Bombardierung durch Israel?

Wie in anderen Ländern, einschließlich Deutschland, gibt es auch in Iran verschiedene Strömungen innerhalb der Bevölkerung. Es ist offensichtlich, dass die linken und fortschrittlichen Kräfte von Anfang an entschiedene Gegner der israelischen Angriffe waren. Sie sehen Tel Aviv als Verursacher dieses Krieges und glauben, dass diese Aktionen letztlich der Freiheit und dem Streben nach Gleichheit schaden und nur das Überleben der Islamischen Republik, wenn auch einer geschwächten, verlängern werden.

Die rechten und reaktionären Strömungen wie Monarchisten oder ethnische Nationalisten, die sich grundsätzlich gegen Revolutionen und basisdemokratische Bewegungen von unten stellen, hoffen, dass diese Angriffe ihnen Auftrieb geben könnten. Daher haben sie sich vollständig vor Netanjahu verbeugt.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die revolutionäre Opposition lehnt die israelischen Angriffe zutiefst ab, genauso wie sie die Wirtschaftssanktionen ablehnte, während die rechte Opposition begeistert und erfreut darüber ist.

Wie stehen die Menschen in Iran zum Völkermord in Gaza und zu Israel allgemein?

Auch hier positioniert sich das linke und revolutionäre Spektrum klar an der Seite der Menschen in Gaza und Palästina, während die rechte und reaktionäre Opposition leidenschaftlich die Zionist:innen verteidigt. Die iranische Linke hat eine lange Tradition der Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand. Schon unter dem Schah reisten Kämpfer in die Kriegsgebiete, um an der Seite der Palästinenser:innen zu kämpfen. Diese emotionale Bindung besteht fort, auch wenn die »Volksfront zur Befreiung Palästinas« heute nicht mehr wie früher mit der iranischen Linken kooperiert, sondern eher die Islamische Republik unterstützt. Vergessen wir nicht: Nur zwei Tage vor dem israelischen Angriff am 12. Juni traf Jamil Mezher, der Anführer der Volksfront, in Teheran mit dem getöteten Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden Salami zusammen. Dennoch bleibt die iranische Linke eine leidenschaftliche Unterstützerin der palästinensischen Bewegung.

Die letzte Massenbewegung in Iran, über die deutsche Medien berichtet haben, war die Bewegung für die Rechte der Frauen im Herbst 2022. Was für Proteste gab es seitdem in Iran?

Zu dieser Zeit saß ich im Gefängnis. Es war bemerkenswert: Als ich am 8. März 2022 auf einer Demonstration festgenommen wurde, trugen alle Frauen noch den Zwangs-Hidschab. Ein Jahr später, als ich freikam, war die Kopftuchpflicht faktisch abgeschafft.

Die Proteste seitdem – wie im gesamten letzten Jahrzehnt – konzentrierten sich vor allem auf Löhne und soziale Rechte. Es gab zahlreiche Arbeiter:innen- und Rentner:innen-proteste, die jedoch wegen des Krieges und seiner Folgen vorerst pausieren.

Was können Menschen außerhalb des Iran tun, um solchen Protestbewegungen zu helfen und sie zu unterstützen?

Ich glaube, die Linke muss ihre eigene Strömung stärken und klare Trennlinien zu Rechten und Reaktionären ziehen. Wir leben in einer schmutzigen kapitalistischen Welt. Solange die Produktionsverhältnisse nicht umgestürzt werden, wird es keinen Ausweg geben. Meiner Ansicht nach – sowohl im Iran wegen der brutalen Diktatur als auch im Exil – muss die oberste Priorität der iranischen Linken der Aufbau und die Stärkung kommunistischer Parteistrukturen sein.

Organisation und Parteiaufbau sind die Grundlage für materielle Veränderungen. Das größte Manko der iranischen Linken seit den blutigen 1980er Jahren (1360er im iranischen Kalender) war der Mangel an organisatorischer Kontinuität. Die Islamische Republik ermordete damals einen Großteil der kommunistischen Kader. Über 10.000 Kommunist:innen verschiedener Strömungen (pro-sowjetisch, leninistisch, radikal, reformistisch) wurden hingerichtet und in Massengräbern verscharrt. Seitdem haben die Parteien wegen Exil und dieser Zerstörung ihre frühere Stärke nie wiedererlangt.

Ich danke den Genoss:innen von »Sozialismus von unten« für dieses Gespräch.

In der Hoffnung auf Erfolg und hoch die internationale Solidarität der Arbeiter:innen und Kommunist:innen!

Vielen Dank, Amir Abbas!

Das Interview führte Jan Maas mit Hilfe eines Übersetzers, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte.

Amir Abbas Azarmand, Aktivist aus Iran

Zur Person:

Ich bin Amir Abbas Azarmand, geboren im Jahr 1989, dem Jahr des Mauerfalls in Berlin. Dieser fiel in Iran allerdings fast zeitgleich mit einem schrecklichen Ereignis zusammen. Ich kam nur fünf Monate nach dem großen Massaker von 1988 (1367 im iranischen Kalender) zur Welt. Ein Massaker, bei dem die Islamische Republik Iran ihre Gegner:innen, die Volksmudschahedin und Kommunist:innen, auf verbrecherische Weise hinrichtete. Sie begrub sie in namenlosen Gräbern, die sie selbst »La’nat-Abad« (»Stadt der Verdammnis«) nannten. Die Familien der Hingerichteten nennen sie »Khavaran«. In gewisser Weise wurde ich in Teheran in einer Zeit geboren, in der die Generation der Revolutionäre von 1979 (1357) gebrochen wurde. Und doch wählte ich den Marxismus, um die Welt besser zu verstehen.  

Zum ersten Mal wurde ich 2009 (1388) festgenommen und in das berüchtigte Gefängnis 209 des Geheimdienstministeriums gebracht, das bei den jüngsten israelischen Angriffen offenbar schwer bombardiert wurde. Danach wurde ich ein weiteres Mal im September 2021 (Shahrivar 1400) nach einer Festnahme in meinem Wohnhaus dorthin überstellt. Insgesamt wurde ich zweimal vom Geheimdienstministerium und einmal vom Revolutionsgardengeheimdienst inhaftiert. Mein »Hauptverbrechen« aus Sicht der Sicherheitsorgane der Islamischen Republik war meine »gotteslästerliche« marxistisch-leninistische Überzeugung und mein Versuch, kommunistische Organisationen aufzubauen. Insgesamt verbrachte ich ein Jahr im Evin-Gefängnis und im Gohardasht-Gefängnis (Rajai Shahr) in Karaj.  

Mein Beruf ist der des Journalisten. Ich bin Makroökonomie- und politischer Wirtschaftsjournalist und arbeite derzeit für »Khabar Online«, eine der meistbesuchten persischsprachigen Nachrichtenseiten. Ich glaube an den Sozialismus und träume von einer Welt ohne Klassen, Grenzen und die Engstirnigkeiten von Rassismus, Ethno-Nationalismus und Sexismus.

(Fotos: Tasnim News Agency, CC BY 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0, via Wikimedia Commons, privat)