Deutschland soll wieder kriegstüchtig werden. Dafür werden massenhaft Soldat:innen benötigt. Fabian Lehr und Zoe B. von Svu haben die Wehrpflicht auf einer Veranstaltung für uns eingeordnet – wir geben ihre Argumente wieder.
Schon in der letzten Legislaturperiode hat die CDU das Thema Wehrpflicht auf den Plan gerufen. Der damalige Bundeskanzler Scholz hat die Wiedereinführung nach vielen negativen öffentlichen Reaktionen noch ausgeschlossen. Heute sind es auch Stimmen aus der SPD und von den Grünen, die die Rückkehr zur Wehrpflicht fordern. Sie soll nach fast 15 Jahren schrittweise wieder eingeführt werden.
Bereits jetzt ist das Interesse an Beratung für Verweigerer groß, berichtet die Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstverweiger:innen (DFG-VK). Spätestens, wenn sich nicht genügend Freiwillige zum Wehrdienst melden, wird es steigen. Schon heute hat es die Bundeswehr nicht leicht, ihr aktuelles Soll von 180.000 Soldat:innen zu halten. Für die Zukunft sollen es laut Roderich Kiesewetter (CDU) 460.000 Soldat:innen sein. Zuzüglich einer Reservearmee mit 200.000 Reservist:innen.
Ein Rückblick
Nach dem Fall der Sowjetunion schien der westliche Imperialismus zunächst keine relevanten Rivalen mehr zu haben. Russland war damals geschwächt und fiel als internationaler Akteur aus. Auch China war weit davon entfernt, NATO-Staaten herausfordern zu können.
Ihre Armeen haben die Staaten der NATO daraufhin nur noch für kleinere imperialistische Raubzüge und Bestrafungsaktionen gegen weit unterlegene Staaten und Milizen des sogenannten »Globalen Südens« benötigt. Für solche Gegner brauchte man keine großen Heere, sondern kleine Interventionstruppen mit High-Tech-Aufklärung und -Waffen. So sind viele NATO-Staaten zu kleinen Berufsarmeen übergegangen.
Den ersten Kampfeinsatz im Rahmen einer NATO-Mission führte die Bundeswehr 1999 im sogenannten »Kosovokrieg« gegen Serbien. Der Krieg diente einerseits der Eindämmung russischen Einflusses in Südosteuropa und andererseits wollte US-Präsident Clinton der EU deutlich machen, dass die EU ohne die USA nicht einmal an ihrer direkten Grenze handlungsfähig ist.
Der nächste folgte in Afghanistan. Dabei ging es um die Vormacht der USA im Mittleren und Nahen Osten, die Vorbereitung auf den Angriff gegen den Irak und – auch damals schon – die Schwächung des Einflusses Chinas über die »neue Seidenstraße«.
Im Zuge des »Krieges gegen den Terror« errichtete das US-Militär einen Ring von Militärbasen um China: Von ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien über Afghanistan bis Pakistan. Die Basen im Indischen Ozean, auf Taiwan, in Südkorea, Japan und im Pazifik, unter anderem auf Guam und den Philippinen, wurden teils reaktiviert, teils erweitert.
Die Einsätze gegen den »Islamischen Staat« in Syrien und im Irak kamen 2014 hinzu. Im gleichen Jahr annektierte Russland die Krim und löste damit die Krim-Krise aus. Dies nutzten die Bundesrepublik und die EU ebenfalls zur Rechtfertigung weiterer Aufrüstung und zu einer strategischen Neuausrichtung gegenüber Russland.
Konkurrenz spitzt sich zu
Weltweit hat sich die Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten immer weiter verschärft. Auch für deutsche Unternehmen wurde der aktive Nationalstaat in dieser Konkurrenz wichtiger, um im Ringen um Einfluss und Märkte in der Welt bestehen zu können.
Russland hatte sich wieder etabliert und China sich zu einer militärischen und wirtschaftlichen Großmacht entwickelt. Der NATO-Block musste sich mit der Möglichkeit vertraut machen, dass zur Wahrung der eigenen Kapitalinteressen auf dem Weltmarkt wirtschaftliche Konkurrenz in militärische Konflikte umschlagen kann und muss. Zunehmend akut wurde dies mit der russischen Invasion in die Ukraine.
Renditeversprechen im Osten
Massenproteste gegen die pro-russischen Oligarchen verschoben die Kräfteverhältnisse in der Ukraine zugunsten der pro-westlichen Oligarchen. So orientierte sich die Ukraine in Richtung EU und USA. Sie erhielt von ihnen Kredite, aber nur gegen ein hartes wirtschaftspolitisches Diktat. In der Folge wurden der ukrainische Sozialstaat zerschlagen und massenhaft Staatsbedienstete entlassen.
Der ukrainische Markt wurde mit westlichem Kapital geflutet. Staatsbetriebe wurden privatisiert und verkauft. Die Ukraine musste das in ihrer Verfassung festgeschriebene Verbot des Landverkaufes an ausländische Konzerne derart ändern, dass nun die Verpachtung an ausländische Investoren möglich ist. Das hat dazu geführt, dass sich ein Großteil der Nutzfläche im Besitz westlicher Konzerne befindet.
Die ukrainische Mobilmachung und Kriegsführung konnte nur mit Waffenlieferungen von beispiellosem Ausmaß möglich gemacht werden. Der seitdem stattfindende Abnutzungskrieg demonstriert deutlich, dass die Konkurrenz um Ressourcen und Marktanteile in Osteuropa nicht mit kleinen Armeen gewonnen werden kann.
Er zeigt ebenso deutlich, dass um die Frage gekämpft wird, ob die Ukraine weiterhin eine Wirtschaftskolonie des westlichen Imperialismus bleibt oder erneut unter das Diktat Russlands geht. Weder dem Westen noch Putin geht es um die Freiheit der Ukrainer:innen.
Innenpolitische Konfrontation
Die Regierung versucht, ihre militärische Interventionsfähigkeit im Ausland innenpolitisch zu legitimieren. Dazu dient der Nationalismus, den die aktuelle Regierung schürt, einhergehend mit Repressionen gegen Kriegsgegner:innen und rassistischer Hetze zur Spaltung.
Die kapitalistischen Klassen im Westen befinden sich in einer ideologischen Krise. Der Neoliberalismus als regelbasierte weltwirtschaftliche Ordnung freier Märkte scheint vorbei. Gleichzeitig ist bisher nichts Vergleichbares an seine Stelle getreten.
Viele Menschen sind auf der Suche nach Antworten. Teilweise wird dieses Vakuum schon gefüllt, allerdings von Nationalist:innen und der extremen Rechten. Umso wichtiger ist eine grundlegende und knallharte Kritik an den bestehenden Verhältnissen mit klaren antimilitaristischen Positionen.
Kapitalismus und Imperialismus hängen untrennbar miteinander zusammen. Imperialismus ist ein System der wirtschaftlich am stärksten entwickelten und mächtigsten, kapitalistischen Staaten, die um die Aufteilung der Welt untereinander kämpfen. Die Verschiebungen in der deutschen Außenpolitik seit 2022 und die Debatte über die Rückkehr zur Wehrpflicht sind deshalb keine neuen Entwicklungen, sondern knüpfen an lange bestehende Interessen an.
Wir sterben nicht für eure Kriege!
Die NATO hat seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 80 Kriege und militärische Operationen in allen Teilen der Erde durchgeführt. Nie diente der Einsatz dem Friedenserhalt, sondern der militärischen Sicherung und den wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen der führenden westlichen Industriestaaten, darunter Deutschland. In diesem Kontext muss auch die fortlaufende Eskalation in diesem Stellvertreterkrieg auf dem Rücken der ukrainischen und russischen Bevölkerung gesehen werden.
Sollte dieser Krieg weiter eskaliert werden, werden mit Einführung der Wehrpflicht auch Söhne, Töchter, Freund:innen, Nachbarn:innen und Kolleg:innen zum Dienst an der Waffe gezwungen, um für die Interessen der Herrschenden zu kämpfen – und zu sterben. Wir brauchen eine breite Friedensbewegung, die dagegen mobilisiert.
Die Bewegung gegen den Völkermord in Gaza ist aktuell das dynamischste Element einer antimilitaristischen Bewegung in Deutschland. Eine ihrer Forderungen ist der Stopp deutscher Waffenlieferungen an Israel und der Rüstungskooperation mit Israel.
Alle, die sich als Gegner:innen von Krieg, Militarismus und Aufrüstung sehen, sollten sich dieser Bewegung solidarisch anschließen.
Titelbild: Gzen92