Frauke Brosius-Gersdorf stand als Kandidatin zur Wahl einer Verfassungsrichterin fest – die CDU hatte ihre Wahl zugesagt. Dann wurde die Wahl von rechts gestoppt. Von Marijam Sariaslani
Am 11. Juli sollte der Bundestag neue Verfassungsrichter:innen wählen. Es ist Tradition, dass bereits im Vorfeld der Wahl Einigkeit über die Kandidat:innen herrscht und diese dann auch gewählt werden. Ohne öffentliche Anhörung. Auch, um das Amt nicht zu politisieren.
Mit dieser Tradition hat die Union jetzt gebrochen, indem sie sich am Tag der Wahl gegen die von der SPD aufgestellte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf gestellt hat – entgegen vorher getroffener Absprachen.
Falsche Anschuldigungen
Die Hetzkampagne gegen Brosius-Gersdorf begann bereits zehn Tage vor der Wahl. Letztes Jahr sagte sie in einer Talkshow im Hinblick auf ein AfD-Verbotsverfahren: »…wenn es genug Material gibt, wäre ich auch dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird.« Nach der Wahl wäre sie Richterin im 2. Senat geworden, dort liegt auch die Zuständigkeit für ein solches Verfahren. Rechte und ultrarechte Medien begannen zunächst mit Schlagzeilen wie »Impfpflicht, Grundgesetz gendern, AfD verbieten«, gegen sie Stimmung zu machen.
Das Thema Abtreibung hat die Kampagne dann erst recht ins Rollen gebracht, bis in die Mitte der CDU. Radikale Abtreibungsgegner, rechtsradikale Medien und Akteure starteten eine Petition, forderten Leser:innen und Umfeld dazu auf, ihren Unionsabgeordneten zu schreiben und die Wahl zu verhindern. Auch die AfD forderte offen dazu auf, sie nicht zu wählen. Es wurden KI-generierte Profile erstellt, die das Thema auf der Plattform TikTok und auf X eskalierten und Werbung schalteten. Sie wurde innerhalb von kürzester Zeit als einer »linksradikalen Lebensfeindin« gezeichnet.
Von der CDU wurden am Tag der Wahl zunächst Zweifel an der Echtheit ihrer Doktorarbeit erhoben. Dieser vorgeschobene Vorwurf löste sich noch am selben Tag in Luft auf. Schon zuvor war bekannt geworden, dass es in Teilen der Union Vorbehalte gegen sie gibt. Unter anderem wegen ihrer Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Dabei wurde sie noch 2015 mit 94 Prozent zur stellvertretenden Richterin am sächsischen Verfassungsgericht gewählt. Ihre Positionen haben sich seitdem nicht geändert.
Rechtsruck in der CDU
Als Jens Spahn drei Tage nach der verhinderten Wahl eine Mitschuld einräumte, nannte er die Kritik an Brosius-Gersdorf fundiert, er habe nur »die Dimension der Bedenken« in seiner Partei unterschätzt. Während Merz, Spahn und Dobrindt die Sache kleinreden, ist die SPD schwer empört. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, dass die Koalition »beschädigt sei« und hier »keine Kleinigkeit« passiert ist.
Und er hat recht: Die CDU hat sich durch den Erfolg der AfD nach rechts treiben lassen. Der rechte Flügel der Union fühlt sich bestätigt, verstärkt an die Öffentlichkeit zu gehen, da die stärkste Opposition rechts von ihr sitzt. Dies stärkt die faschistische AfD abermals. Gerade das Thema Schwangerschaftsabbruch ist immer ein zentrales Thema für Rechte und Faschist:innen. So fordert die AfD, Abbrüche nur bei kriminologischer oder medizinischer Notwendigkeit zu erlauben.
Neben der AfD hat auch die ultrakonservative Abgeordnete Saskia Ludwig zur Nichtwahl aufgerufen. Sie sei »unwählbar«, schrieb sie auf der Plattform X. Nach der geplatzten Wahl hat sie sich bei allen bedankt, die mitgemacht haben. »Es lohnt sich eben doch.«, schrieb sie. Saskia Ludwig sitzt für die CDU im Bundestag. Anfang des Jahres hat sie gefordert, eine Koalition mit der AfD einzugehen.
Brosius-Gersdorfs Positionierungen machen sie keineswegs zu einer »Linksradikalen«, wie es ihr gerade von rechts vorgeworfen wird. Im Gegenteil: Es sind Mehrheitspositionen der SPD-Mitgliedschaft. So steht im Wahlprogramm der SPD: »Wir werden Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren und sie außerhalb des Strafrechts regeln […] Wir wollen Schwangerschaftsabbrüche zu einem Teil der medizinischen Grundversorgung machen.«
Nicht von rechts treiben lassen
Obwohl mittlerweile belegt ist, dass es sich um eine Hetzkampagne von rechts gehandelt hat, legt Bundesinnenminister Dobrindt Frauke Brosius-Gersdorf nah, von der Wahl zurückzutreten. Das zeigt einmal mehr, in welche Richtung die CDU steuert und auf wessen Stimmen sie zählt.
Sollte die SPD jetzt vor der CDU einknicken, um weiter mit ihr regieren zu können, wäre es wohl nicht die erste Enttäuschung für ihre Wähler:innen. Zum Beispiel steht zum Thema Migration im Wahlprogramm, dass sie Familiennachzug weiterhin ermöglichen wollen und dass sie »Grenzschließungen und Pauschalzurückweisungen an den Binnengrenzen widersprechen«. Dass die SPD ihre Positionen denen der CDU unterordnet, um an der Macht zu bleiben, begünstigt den Rechtsruck in Deutschland. Der SPD wird es nicht helfen.
Wann die CDU den Schritt geht, auf Bundesebene offiziell mit der faschistischen AfD zusammenzuarbeiten, bleibt abzuwarten. Merz sagte bereits im Sommerinterview mit der ARD, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die AfD und DIE LINKE der CDU nicht bedeutet, dass man im Parlament nicht auch mal mit einer der Parteien zusammen abstimmen könnte.
Nicht nur die Sozialdemokratie, auch DIE LINKE und die Grünen sollten sich aktuell klar gegen rechts und gegen die AfD positionieren statt zu versuchen, eine Regierung vor einer Krise zu bewahren, die die größte Umverteilung von unten nach oben seit Jahrzehnten plant.
Titelbild: RP-online