Ibrahim Traoré

Ist Traoré die Lösung für Afrika?

Der ghanaische Sozialist Gyekye Tanoh sprach Anfang dieses Monats auf dem Marxismus-Festival über das Staatsoberhaupt von Burkina Faso und die Form des Widerstands gegen den westlichen Imperialismus auf dem Kontinent.

Burkina Faso und Westafrika werden von den Weltmächten als abgelegene Außenposten des globalen Systems behandelt. Dort gibt es gelegentlich Hungersnöte, dystopische Gesellschaften und Diktaturen, heißt es.

Doch Menschen auf der ganzen Welt interessieren sich für diese vermeintlich abgelegene Region und für den Präsidenten des Landes, Ibrahim Traoré. Das spiegelt die Krise des Imperialismus und die Sehnsucht nach Widerstand wider, die den Aktivismus international antreibt.

Im April erklärte der Befehlshaber des US-Afrika-Kommandos vor dem US-Kongress, Traoré sei einer der größten Feinde westlicher Interessen. Er warnte, Burkina Faso und die gesamte Sahelzone seien die neue Frontlinie des globalen Terrorismus.

Wenige Wochen später gab es einen Putschversuch in Burkina Faso. Der Versuch, Traoré zu ermorden, löste international Proteste aus.

Burkina Faso hat eine lebendige Tradition des demokratischen Widerstands. Diktator Blaise Compaoré wurde 2014 durch einen phänomenalen Massenaufstand gestürzt.

Aber als Compaoré abgesetzt wurde, blieb der von ihm aufgebaute Staat bestehen. Die Spezialeinheit der Armee, die das Rückgrat seiner Verteidigung und das Instrument der Unterdrückung gewesen war, blieb intakt. Im Jahr 2015 versuchte wiederum diese Einheit einen Putsch.

Es kam erneut zu einem Massenaufstand. Unter diesen Umständen kam die erste gewählte Regierung Burkina Fasos seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 an die Macht.

Diese Regierung trieb die Sparpolitik voran und verstärkte die Instabilität. Etwa 2019 begannen Volksaufstände gegen sie. In diesem Zusammenhang kam es 2022 zu einem weiteren Staatsstreich.

Hier zeigt sich ein Muster. Es handelt sich um Volksaufstände, die ihre Wurzeln im Volk haben. Aber sie haben keine eigene Agenda, um die Macht übernehmen zu können oder einen anderen Staat zu organisieren.

Im Januar 2022 übernahmen Kommandeure die Macht, wurden jedoch gezwungen, junge Offiziere, die die Proteste im ganzen Land angeführt hatten, in ihre Reihen aufzunehmen. Einer dieser jungen Offiziere war Traoré.

Der Tag der Befreiung Afrikas wird am 25. Mai gefeiert. Die diesjährigen Feierlichkeiten waren bemerkenswert, weil die Befreiung in ganz Afrika häufig mit Traoré in Verbindung gebracht wurde.

Dies zeigt, dass eine neue Generation ein Bewusstsein entwickelt und den Imperialismus als Feind ausmacht. Sie tun dies nicht nur in der Debatte, sondern auch mit Aktionen auf der Straße. Sie prangern Teile der herrschenden Klasse und ihre Zusammenarbeit mit imperialen Mächten an.

Es wächst das Gefühl, dass die Staaten in ganz Afrika die jungen Menschen, die Bauernschaft, die städtischen Armen und die Arbeiterklasse im Stich gelassen haben. Wir sehen das in den jüngsten Protesten der »Generation Z« in Kenia.

Die Vorstellung vom Scheitern des Staates und der Widerstand dagegen sind das, worauf sich die Linke und die Rechte stützen. Das ist es, wofür Traoré steht.

Der französische koloniale Kapitalismus behandelte die Menschen in der Sahelzone, dem Gebiet an der Grenze zur Sahara, als Reservearmee, die mit brutaler Gewalt kontrolliert werden musste.

In Burkina Faso nutzten die Franzosen Stammesführer sowie ethnische und religiöse Verbindungen, um den Menschen ihre Grundrechte vorzuenthalten. Sie institutionalisierten eine Hierarchie der Rechte – der Zugang zu Land beispielsweise ist nach wie vor stark geschlechtsspezifisch und ethnisch geprägt.

Seit dem Arabischen Frühling 2011 gibt es wieder vermehrt Interventionen westlicher Militärmächte in Westafrika. 2013 entsandte Frankreich Truppen nach Mali, um einen Aufstand gegen die damalige Regierung niederzuschlagen.

Die Franzosen und andere NATO-Mächte waren schon immer daran interessiert, diesen Krieg mit möglichst geringem Aufwand zu führen. Deshalb suchten sie ständig nach Verbündeten in der Region. Das bedeutete, ethnische und religiöse Interessen zu instrumentalisieren.

Die Region gilt heute als einer der Brennpunkte des globalen imperialen Wettbewerbs. Viele Menschen erkennen, dass die westlichen imperialistischen Mächte die Ursache des Problems sind.

Die Diskreditierung Frankreichs, der Nato und anderer westlicher Mächte hat einige in Richtung Russland und China gedrängt. Traoré gehört zu denjenigen, die engere Beziehungen zu Russland angestrebt haben.

Drei Militärregierungen in Burkina Faso, Mali und Niger schließen sich nun zu einer sogenannten Allianz der Sahelstaaten zusammen.

Sie haben Fortschritte bei der Bereitstellung nationaler Ressourcen erzielt und fordern einen größeren Anteil ihres Landes an den Einnahmen aus dem Bergbau und anderen Industrien.

Mit anderen Worten: Sie reden und handeln, als wären sie vom Antiimperialismus getrieben. Die Art und Weise, wie sie an die Macht gekommen sind, spiegelt das jedoch nicht wider.

Die Krise des französischen Imperialismus kommt in der Verdrängung französischer Truppen aus den Sahelstaaten zum Ausdruck. Frankreich zieht seine Truppen ab. Aber es überlegt, wie es seine Präsenz dort ohne die ständige Brisanz vom Militär vor Ort aufrechterhalten kann. Es vertraut darauf, dass Teile der herrschenden Klasse und des Militärs in der Region die kapitalistischen Interessen Frankreichs durchsetzen werden.

Imperialismus ist nicht einfach nur militärische Gewalt oder Herrschaft. Er ist ein System des Wettbewerbs. Und deshalb ist er ein Antrieb in jeder einzelnen herrschenden Klasse der Welt – auch in den ärmsten Ländern.

Wir leben in einer multipolaren Welt, in der Mächte wie China beginnen, dem westlichen Imperialismus Konkurrenz zu machen. In diesem Zusammenhang muss die Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Staaten in der Region verstanden werden.

Burkina Faso ist Schauplatz imperialistischer Machtkämpfe. Und die Menschen sehen in der Multipolarität einen Ausweg für schwache Staaten. Aber sie bedeutet eine Verschärfung imperialistischer Konflikte.

Der ursprüngliche Wettlauf um Afrika fand in den 1880er Jahren statt, weil neue Mächte aufgetaucht sind, die den etablierten Mächten die Vorherrschaft streitig gemacht haben. Dieser Moment der Multipolarität wurde nicht durch Diplomatie gelöst. Er wurde durch die Brutalität des Ersten Weltkriegs neu ausgerichtet.

Wir dürfen auch nicht davor zurückschrecken, einige von Traorés politischen Maßnahmen innerhalb von Burkina Faso selbst zu kritisieren. Die Menschen vergleichen Traoré mit Thomas Sankara, dem revolutionären Präsidenten Burkina Fasos, der 1987 ermordet wurde.

Was auch immer man über Sankara sagen mag, es gab Elemente in seiner Politik, die darauf abgezielt haben, das Gleichgewicht in der Gesellschaft zwischen denen, die den Reichtum produzieren, und denen, die ihn ihnen wegnehmen, zu verschieben. In Burkina Faso gibt es heute nichts dergleichen.

Man kann nicht für Demokratie kämpfen, ohne für andere Rechte zu kämpfen. In Großbritannien bezeichnet die Regierung »Palestine Action« als Terroristen und verschärft Repressionen gegen sie – wir sind uns alle einig, dass das schlecht ist.

Warum schweigen wir also, wenn die Anführer demokratischer Bewegungen und Gewerkschaften in Burkina Faso entführt und gefoltert werden?

LGBT+-Menschen in Burkina Faso werden natürlich unterdrückt. Aber das Land hat die Gesetze gegen Homosexualität nicht wie einige andere afrikanische Länder von den Kolonialmächten übernommen.

Derzeit gibt es eine kulturelle Wiederbelebung der Homophobie, und Traoré will repressive Gesetze einführen. Ich weiß nicht, wie man auf die Idee kommen könnte, dass dies irgendwie antiimperialistisch ist.

Die afrikanische herrschende Klasse schließt Abkommen, die transnationalen Unternehmen mehr Stabilität garantieren. Traoré macht Deals mit dem Internationalen Währungsfonds. Der IWF gab im April dieses Jahres bekannt, dass er eine Einigung mit den burkinischen Behörden erzielt habe. Traoré hat also seine Verbindungen zum globalen Kapitalismus nicht gekappt.

Wenn es eine Krise des Imperialismus gibt, dann deswegen, weil es neue, aufständische Kräfte gibt, die ihre politische Souveränität zu ihren eigenen Bedingungen durchsetzen wollen.

Sie lehnen zwar den Staat ab, aber es gibt einen Widerspruch. Indem man Figuren wie Traoré als Akteure des Wandels betrachtet, sagt man damit eigentlich, dass es Teile des Staates und der herrschenden Klasse gibt, die einen Weg nach vorne bieten.

Diejenigen, die Traoré unterstützen, bezeichnen sich selbst und ihn als revolutionär. Aber wir müssen in der Lage sein, uns eine Demokratie vorzustellen, die höher und besser ist als die liberale Demokratie und die versagenden Staaten, die wir derzeit in Afrika erleben.

Wir müssen uns mit verschiedenen Visionen der partizipativen Demokratie befassen, wie beispielsweise den Widerstandskomitees im Sudan. Die Macht der arbeitenden Bevölkerung steht im Mittelpunkt.

Die Klassenpolitik muss durch die Institutionen der Arbeiter:innen wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Wir sollten uns auf jede erdenkliche Weise mit Aktivist:innen austauschen, dabei aber auch verstehen, dass revolutionäre Sozialist:innen etwas Wertvolles beitragen können, um die Diskussionen zu vertiefen und die Bewegung zu stärken.

Derzeit ist die Kritik daran, was die Regime und den Imperialismus ersetzen soll, noch unvollständig. Deshalb projizieren die Menschen ihre Ambitionen auf Länder wie Russland und Personen wie Traoré.

Ohne eine strategische Perspektive, wohin die Bewegung gehen soll, können sich Elemente der herrschenden Klasse wieder in Gnade bringen.

Wir werden immer jeden Krieg gegen den französischen Imperialismus unterstützen, aber wir müssen argumentieren, dass Traoré und andere innerhalb der afrikanischen herrschenden Klasse keine Lösung sind.

Stattdessen müssen wir uns international im Kampf zusammenschließen und Forderungen an Traoré stellen und Forderungen in Solidarität mit den Arbeiter:nnen von Burkina Faso.

Vor allem ist es Teil unserer festen Überzeugung, dass wir durch diese Kämpfe eine Kraft aufbauen können, die dazu in der Lage ist, den Kapitalismus zu zerschlagen.


Dieser Artikel erschien am am 14. Juli auf socialistworker.co.uk

Titelbild: Wikimedia.org