Staatliche Gewalt löste in Indonesien eine Protestwelle aus. Der Regierung gelingt es nicht, die Wut auf den Straßen zu unterdrücken. Von Yuri Prasad
Eine riesige Protestbewegung erfasst derzeit Indonesien. Sie bedroht die seit einem Jahr bestehende Koalitionsregierung von Präsident Prabowo Subianto.
Am letzten Augustwochenende kam es in der Hauptstadt Jakarta zu schweren Kämpfen. Tausende von Menschen gingen auf die Straße. Häuser vieler Abgeordneter wurden in Brand gesteckt und staatliche Gebäude geplündert.
Die Kämpfe weiteten sich bald auf viele andere Teile des gigantischen südostasiatischen Landes aus.
Subventionen für Parlamentarier in Indonesien
Der Wutausbruch erfasste viele Studierende und langjährige Demokratieaktivist:innen. Eine große Anzahl armer Stadtbewohn:innen, die von der Kürzungspolitik der Regierung hart getroffen wurden, schloss sich an.
Die Regierung entfachte den Zorn der Massen in der letzten Woche. Sie kündigte üppige Wohnbeihilfen für Abgeordnete an. Die Höhe von jeweils rund 2.600 Euro bedeutet fast das Zehnfache des Mindestlohns.
Motorradtaxifahrer Affan Kurniawan von Polizisten totgefahren
Die Wut explodierte auf den Straßen, nachdem Polizisten den Motorradtaxifahrer Affan Kurniawan getötet hatten. Schwer gepanzerte Polizeifahrzeuge überfuhren ihn während einer Demonstration in der Hauptstadt.
Im Anschluss griff die Polizei Demonstrierende mit Schlagstöcken, Tränengas und anderen Waffen an und tötete zwei weitere Menschen.
Trotz der staatlichen Gewalt scheint die Straßenbewegung bisher unerschütterlich.
Staat in Indonesien hin- und hergerissen
Auch nach dem Wochenende versammelten sich wieder Hunderte von Studierende in Jakarta und anderen Großstädten, trotz Sorge vor den nächsten Niederschlagsversuch.
Der Staat ist hin- und hergerissen zwischen seinem Drang, die Bewegung weiter zu unterdrücken, und der Notwendigkeit, Zugeständnisse zu machen, um die Wut auf den Straßen zu dämpfen.
Polizeichefs entschuldigten sich rasch bei Affans Familie. Sie versprachen eine Untersuchung.
Auch der Gouverneur von Jakarta, Pramono Anung, besuchte die Familie und sprach ihr sein Beileid aus. Er bot finanzielle Unterstützung für die Beerdigung an.
»Nehmt die verdammten Beamten fest«
Bisher konnten solche Angebote die Wut nicht besänftigen. Stattdessen hängten Demonstrierende auf einer Brücke in der Nähe der Stelle, an der Affan getötet wurde, ein Transparent mit der Aufschrift »Nehmt die verdammten Beamten fest« auf.
In Kwitang, einem Gebiet im Zentrum Jakartas, stiegen die Spannungen, als die Menschen auf die Straße vor dem Hauptquartier der indonesischen Nationalpolizei marschierten.
Als die Polizei auf den Protest schoss, antworteten die Demonstrierenden mit Steinen, Molotowcocktails und Feuerwerkskörpern.
Reformhoffnungen blieben nach Sturz der Diktatur unerfüllt
Viele Menschen verachten die Regierung, aber auch die indonesische Elite insgesamt. Sie hatte nach dem revolutionären Sturz von Präsident Suharto im Jahr 1998 einen grundlegenden Wandel versprochen.
Suhartos 30-jährige Diktatur folgte auf eine militärische »Säuberung« Mitte der 1960er-Jahre, bei der der Staat bis zu einer Million Kommunist:innen ermordete.
Während der Protestwelle von 1998 versprachen die »Reformkräfte«, dass das Militärregime des Landes abgeschafft werden würde.
Doch heute sagen die Demonstrierenden, dass es keine echte Demokratie gibt, da die neoliberale Politik alle wichtigen Institutionen des Landes ausgehöhlt hat – einschließlich des Parlaments.
Als Präsident Subianto die Bürger:innen dazu aufrief, am Unabhängigkeitstag im August stolz die rot-weiße Flagge des Landes zu schwenken, reagierten Tausende von Menschen mit einem ganz anderen Standard.
»One Piece«-Piratenflagge als Symbol der Rebellion
Sie schwenkten eine Piratenflagge mit einem Totenkopf, der einen markanten gelben Strohhut trägt.
Dieses so genannte »One Piece«-Symbol, das aus einem japanischen Anime stammt, ziert nun die Häuser, Autos, Motorräder und Lastwagen von Millionen von Menschen.
Es ist zum Hauptsymbol der Rebellion geworden.
Rebellion in Indonesien ausweiten
Entscheidend für den bisherigen Erfolg der Anti-Regierungs-Bewegung war ihre breite Basis. Sie zeigte die Fähigkeit, Tausende von Beschäftigten der sogenannten »Gig-Economy« mit Mikrojobs wie Affan einzubinden.
Ob die Rebellion gegen die massive Unterdrückung aufrechterhalten werden kann, wird jedoch davon abhängen, ob es gelingt, weitere Teile der Arbeiter:Innenklasse für sich zu gewinnen.
Sollte dies der Fall sein, würden wahrscheinlich Risse in Subiantos Koalition entstehen. Der tiefgreifende Wandel, den Millionen von Menschen fordern, könnte dann auf der Tagesordnung stehen.
Zuerst erschienen auf Socialist Worker.