Die Historikerin Lyndal Roper hat ein Buch zum 500. Jahrestag des Bauernkriegs geschrieben. Rosemarie Nünning findet darin Lesenswertes, aber auch Fragwürdiges.
Vor 500 Jahren erfasste ein gewaltiger Aufstand weite Teile Deutschlands, in dem Bauern und viele Stadtbürger mit dem Ruf nach Freiheit und Gerechtigkeit für ihre Rechte eintraten. Bauern erhoben sich in den Jahren 1524/25, organisierten sich und zogen in den Kampf gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker und deren Institutionen und herrschaftliche Symbole wie Klöster und Adelsburgen. Nicht wenige Bergleute schlossen sich dem Aufstand an. Im Mai 1525 erreichte diese als Deutscher Bauernkrieg in die Geschichte eingegangene Bewegung im Harzvorland und in Nordthüringen ihren Höhepunkt und erlitt eine der schwersten Niederlagen bei Frankenhausen. Hier hatten sich die Bauern unter geistiger wie praktischer Führung des radikalen Predigers Thomas Müntzer erhoben.
Die Rebellion entfaltete sich in einer Gemengelage des Übergangs vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, der langsamen Ablösung der feudalistischen durch die kapitalistische Produktionsweise, der Kolonisierung des amerikanischen Kontinents und begleitender intellektueller Gärungsprozesse. In diesem Kontext traten »Reformatoren« auf die Bühne der Geschichte, die bestehende Verhältnisse angriffen, gesellschaftliche Veränderung forderten und bei den Massen Gehör fanden. Eine wesentliche Kritik galt der christlichen Amtskirche und dem Papsttum, einer Säule des Feudalismus. In Deutschland steht dafür Martin Luther. Neben ihm traten jedoch viele weitere Rebellen und Prediger auf, und wie heute reichte das Spektrum von den zögerlichen Reformern bis zu den Radikalen und Revolutionären wie Müntzer.1
Bauernkrieg in der Öffentlichkeit
Auf das Erinnerungsjahr 2025 haben Museen und Historiker:innen, Buchverlage, Zeitungsredaktionen und Fernsehsender sich seit langer Zeit vorbereitet. Entsprechend ist die Präsenz in der Öffentlichkeit mit Sonderausstellungen, Dokumentationen2, Interviews, vielen Büchern und Podcasts3. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach im März bei einem Festakt in Memmingen.4 In dieser Stadt hatten sich im März 1525 Vertreter von Bauerngruppen versammelt und ihre Beschwerden und Forderungen in den berühmten Zwölf Artikeln niedergelegt. Neben diesen gab es unzählige weitere, wie die 62 Artikel der Stühlinger Bauern aus dem Jahr zuvor oder fast 300 Forderungen von Baltringer Bauern, was die Gärung in der damaligen Gesellschaft anzeigt.
Steinmeier sprach in seiner Rede von »unserer Freiheitsgeschichte« und auch den heutigen »Bedrohungen von Freiheit«. Vermutlich meinte der damit nicht Militarisierung, polizeistaatliche Methoden und Genozid. Und zweifellos würde er wie die vielen anderen Politikgrößen, die derzeit ihre Reden zum Bauernkrieg halten, auf einen Aufstand ähnlichen Ausmaßes nicht anders reagieren als die damalige herrschende Klasse: mit seiner Niederschlagung.
Ein neues Standardwerk von Lyndal Roper?
In der Welt der Bücher finden sich etliche Neuauflagen und Neuerscheinungen, darunter sehr schwergewichtige wie das von Lyndal Roper mit 500 Seiten und über 100 Seiten Anmerkungen mit dem Titel: »Für die Freiheit«.5 Roper ist australische Historikerin und lehrt an der Universität Oxford. Sie ist auch Mitglied im Vorstand der Thomas-Müntzer-Gesellschaft im thüringischen Mühlhausen, einer der von der Reformation erfassten Städte, in denen Müntzer gewirkt hatte. Bekannt ist sie auch in Deutschland, insbesondere für ihre ausführliche Biografie über Martin Luther und ihr breit rezipiertes Buch »Hexenwahn«.
Roper hat sich tief in die historischen Quellen und Aktenbände versenkt. Sie entwirft ein Panorama des Bauernkriegs mit reichem Material und sehr bildlicher Darstellung. Kunst und Kultur bezieht sie mit ein: Maler wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach d. Ä. und weniger bekannte wie Sebastian Brant, ihre innovativen Techniken und ihre Darstellung der Landschaft wie der arbeitenden Menschen oder bäuerlicher Festivitäten [58, 65].
Willkommene Ergänzungen
Roper zieht ihre Erzählung entlang der Jahreszeiten auf. Sie lässt uns viel über die vielfältigen bäuerlichen Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Jahr erfahren. Sie fächert die gesellschaftliche Schichtung unter den Bauern auf, die reicheren Hufner und armen Häusler, wer über Zugtiere verfügte, wer sich auf anderen Höfen verdingen musste. Die Nutzung des Gemeindelands, der Allmende, wurde abgestimmt. Davon profitierten reiche Bauern am meisten [62], weil sie mehr Vieh hatten, das darauf weiden konnte. Gemeinsam war ihnen die Abhängigkeit von den Grundherren, die sie abschütteln wollten.
Neben den Bauern traten teils auch Bergknappen dem Aufstand bei. Sie organisierten sich in eigenen religiösen Zusammenschlüssen und plünderten hier und da Kirchen. Roper unterrichtet über Arbeit und Leben der Bergleute in den sächsischen und sachsen-anhaltischen Regionen mit Kupfer- und Silbervorkommen. Wo sie arbeiteten, gab es wegen der Schächte, der Abraumkegel und Schlackehalden kaum landwirtschaftlich genutzte Flächen. Im Harzvorland fanden sich Dutzende Bergwerke mit insgesamt etwa 3.000 Arbeitern, in Mansfeld 90 Schmelzöfen. Oft wuschen Frauen das Erz aus. [106] In Hettstedt wurden die Bergleute wöchentlich mit Wagenladungen an Lebensmitteln und anderen Erzeugnissen versorgt, manchmal von so weit her wie Hamburg. [333]
Diese Details sind eine willkommene Ergänzung zu dem Bild der Landarbeit.
Nah dran am Bauernkrieg
Entsprechend ist auch die Darstellung der Aufstände im Kapitel „Bewegung“ mit vielen Einzeleinheiten versehen. Hans Müller aus dem Schwarzwald zog mit 10 Mann und einem Ausrufer an der Spitze, der die Forderungen der Bauern verlas, von Dorf zu Dorf, bis er einige Tausend Anhänger gesammelt hatte. In Bermatingen am Bodensee sammelten sich 10.000 Bauern, doppelt so viel wie es Einwohner in der Region gab. [275] In Erfurt, einer Stadt mit 16.000 Einwohnern, strömten 11.000 Mann zusammen. [276]
Roper fragt sich, wie es geklungen haben mag, mit einem Bauernhaufen zu ziehen. Sie hatten Pfeifen und Trommeln und erzeugten damit, wie sie sagt, »fesselnde Rhythmen«. [290] Zur Versorgung auf dem Marsch nahmen sich die Haufen die Vorräte der Klöster, pressten Amtsleute dazu, ihnen Vieh, oder einen Abt, ihnen eine Wagenladung Wein zu geben. [294] In Würzburg bezahlten die Bauern die Stadtbäcker für große Mengen Brot. [295]
Schreibkundige führten den Schriftwechsel der Haufen mit der Obrigkeit. Vielfach führten sie »gut organisierte mobile Kanzleien« mit sich. [187]
Die Niederlage der Bauern war umfassend. Wie Hasen wurden sie von den Truppen der Fürsten gejagt und niedergemetzelt. In Bruchsal, so Roper, wurden so viele Aufständische in einen Turm geworfen, dass sie sich nicht darin bewegen konnten [415]. In Keller geflüchtete Bauern wurden verbrannt [416]. Die Rebellen wurden verstümmelt, aufgespießt, geköpft. Blut rann in Bächen durch die Straßen, Söldner vergingen sich an Frauen und Mädchen. Wo die Ortschaften nicht gleich niedergebrannt wurden, verloren viele ihr Eigentum oder erhielten schwere Geldstrafen.
Psychologisierung statt Analyse
So viele Einzelheiten Roper hervorzaubert und so häufig sie übersehene Personen des Aufstands hervortreten lässt, so ermüdend kann die Lektüre dadurch aber auch werden.
Begleitend findet sich nichts erklärende Psychologisierung: Harsche Beziehungen, der »schonungslose Umgang« zwischen adligen Vätern und Söhnen ließen Söhne manchmal zu »wüstesten Rächern an den Bauern« werden. [172] Dem Tiroler Rebellen Michael Gaismair weist sie »mürrischen Egalitarismus« und »Hass auf das städtische Leben mit seinen Eliten und seinem Luxus« zu. Das klingt wie der Vorwurf des »Sozialneids«, wenn gegen die ungleiche Reichtumsverteilung protestiert wird. [224]
Lyndal Roper setzt »Realisten« gegen »Utopisten«
Müntzer nennt sie größenwahnsinnig mit »blutrünstiger, feuriger Sprachflut« [18, 405]. Hingegen attestiert sie Luther, der in seiner Schrift »Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« dazu aufrief, die Bauern zu erstechen, erschlagen und erwürgen, nur »sprachliche Entgleisungen« [340]. Dafür habe er sich nach der Niederschlagung »zerknirscht« entschuldigen wollen, »das Ergebnis fiel dann allerdings noch extremer aus«. [341] In der Tat: Luther fordert diejenigen, die ihn tadeln, auf, das Maul zu halten, es solle ihnen gestopft werden, mit der Faust müsse man solchen Mäulern antworten und Aufrührer sofort würgen!6
Deshalb mutet es seltsam an, dass sie Luther als »Realisten« gegen »Träumer, Visionäre oder Utopisten« wie Müntzer zu bevorzugen scheint. Luthers »Realismus wappnete ihn gegen den verführerischen Reiz des utopischen Denkens, und er sah voraus, zu welchem Ende der Aufstand führen würde«, schreibt sie [230]. Es bleibt offen, ob sie sich letztendlich »realpolitisch« auf die Seite einer Reform statt einer Revolution stellen würde, auch wenn diese unter Beifall von Reformatoren in Blut ertränkt wird.7 Denn was hier und da auch aufscheint, ist ihr Misstrauen bezüglich der Vorstellung von einer egalitären Gesellschaft.8
Mit dem Blick des heutigen Feminismus
Ein weiterer kritischer Einwurf ist gegen Ropers Buch zu erheben: Sie zwingt den damaligen Ereignissen den heutigen Blick des Feminismus auf. In dem Kapitel »Brüder« wimmelt es von Begriffen wie »Männlichkeitsmetaphorik« oder »Ethos der Männlichkeit«. Den Treueeid, den sich die Aufständischen schworen, erklärt sie zu »Ritualen der Männlichkeit« [355]; für die adligen Herren sei der »Bauernkrieg ein Angriff auf ihre Männlichkeit« gewesen [386]; auch in den Angriffen auf Nonnenstiftungen habe »mehr als ein Hauch Frauenfeindlichkeit« gelegen [378]. Sie relativiert damit die vielen materiellen Gründe des Aufstands, die sie selbst immer wieder benennt – wie die Tatsache, dass »als Gruppe Nonnen für ihren Reichtum und ihre sichtbare Untätigkeit gehasst« wurden [379]. Dort wo Männerkonvente gestürmt wurden, spricht sie dagegen von einem »leidenschaftlichen Angriff auf die klösterliche Männlichkeit«, »diese falschen Brüder« [366]. Sie mindert damit auch die aus dem Aufstand geborene Leistung, sich demokratische Organisationsstrukturen geschaffen zu haben, auch wenn Frauen kaum Teil davon waren.
So windet sich ihre Argumentationsweise und verunklart den Blick auf die damaligen Herrschafts- und Klassenverhältnisse. Die aufständischen bäuerlichen und städtischen Männer, die sie auch mit Sympathie begleitet, werden unter der Hand mit dem Vorwurf belegt, nicht feministisch gewesen zu sein. Sie entlässt dabei Kirche und Staat aus der Verantwortung, die mit ihren Regeln, Gesetzen und Ideologien Frauenunterdrückung förderten und festigten, und auch Frauen der Oberschicht, die ihre männlichen wie weiblichen Untertanen nicht minder auspressten.9
Der »gemeine Mann« umfasste beide Geschlechter
In diesem Zusammenhang greift sie auch den Begriff vom »gemeinen Mann« als Hauptakteur des Aufstands und den Historiker Peter Blickle an, der sich mit diesem Konzept besonders gründlich auseinandergesetzt hat [478–479]. Sie wirft Blickle vor, »weder seine eigene männlich geprägte Sprache noch die mit Männlichkeit verbundenen Werte der Aufständischen zu hinterfragen«.
Kein Zweifel besteht daran, dass auch die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts auch eine der Geringerstellung von Frauen war. Chroniken und Geschichtsdarstellung wurden bis weit in unsere Zeit vor allem von Männern verfasst und Schriften wie Sprache spiegelten dies wider. Das ist eine geradezu triviale Feststellung.
Gleichzeitig weist gerade Blickle darauf hin, dass der »gemeine Mann« in der damaligen Vorstellung beide Geschlechter umfasste. Hausherrschaft meinte den männlichen Haushaltsvorstand wie die Hauswirtin, »wenn auch in gradueller Abstufung«. Erst im 18. Jahrhundert wird laut Blickle vereinzelt von dem »gemeinen Mann männlichen und weiblichen Geschlechts« gesprochen.10 Namen von Frauen als Beteiligte am Bauernkrieg sind nur wenige bekannt, unter anderem weil sich die Bauernhaufen an erster Stelle aus Männern zusammensetzten und Frauen den Hof weiterführten.11
Roper selbst erwähnt aber auch den Prediger Balthasar Hubmaier, der gesagt haben soll, wo »die Männer […] zu Weibern werden, dort sollten die Weiber reden und Männer werden«. In seiner Gemeinde wirkten Frauen mit und er wandte sich »ausdrücklich an Schwestern wie an Brüder« [51–52]. Müntzer forderte die Allstedter Frauen zum bewaffneten Kampf auf [112]. Jede Revolte birgt das Potenzial, über tradierte Denk- und Verhaltensweisen hinauszugehen, wie sich bis heute zeigt. Siee eröffnet die Möglichkeit des Umsturzes einer Klassengesellschaft und dabei, sich »den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden«, wie Karl Marx schrieb.
Lyndal Roper kann mit Marx und Engels nichts anfangen
Nicht überraschend kann Roper weder mit Marx noch Friedrich Engels etwas anfangen. Engels erklärt sie ignorant zu einem »Mitarbeiter« von Marx, der Müntzer überhöhte.12 [471] Marx wirft sie seine Sicht auf die französischen Parzellenbauern des 19. Jahrhunderts als eines Sacks Kartoffeln, als »infantile Kreaturen«, so Roper, vor.13 Ein großer Fehler des Marxismus sei die Unfähigkeit, sich »eine revolutionäre Bauernschaft vorzustellen« und »den Idealismus und besonders Gefühlslagen« abzulehnen [473–474]. Dabei gesteht sie Engels seine Sympathie für die aufständischen Bauern zu, lehnt aber seine Einordnung der Ereignisse in die materiellen Verhältnisse der Zeit ab: Für Engels war Müntzer mit seinen gesellschaftlichen Vorstellungen einer Gemeinschaft der Gleichen, wie auch Gaismair und einige andere radikale Denker, seiner Zeit voraus. Es fehlte jedoch die materielle Basis und somit eine Klasse, um diese Gesellschaft zu errichten.14
Marx wiederum spricht in seiner Schrift »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« von den Bauern Frankreichs zur Zeit der republikanischen Revolution von 1848. Sie waren seit der Landreform Napoleons I. freie Grundeigentümer. Sie litten unter dem ihnen vom Stadtbürgertum auferlegten Wucher und den Hypotheken. Weil ihre Grundstücke so klein waren, wurden diese zur Grundlage ihrer Verarmung. Ihr natürlicher Verbündeter sei das »städtische Proletariat« zum Umsturz der bürgerlichen Ordnung, schrieb Marx.15 Das Proletariat, das inzwischen eine sichtbare, wenn auch nicht hinreichend große Klasse war, war allerdings im Pariser Juniaufstand von 1848 bitter geschlagen worden.16 Die Parzellenbauern stellten sich im Dezember 1851 hinter den Staatsstreich von Louis Bonaparte, der sich zum dritten Napoleon ausrief und sich auf »den Auswurf aller Klassen« stützte, dem große »Posituren nur der kleinlichsten Lumperei zur Maske« dienten.17
Unhistorische und oberflächliche Kritik
Ropers Beschwerde über Marx fällt somit wegen ihres unhistorischen Herangehens in sich zusammen: Hier handelte es sich nicht mehr um Bauern, die durch feudale Bindungen und den Kampf dagegen geeint waren. Ihre Parzellen lagen nebeneinander wie einzelne Kartoffeln. Sie mochten unter ähnlichen wirtschaftlichen Problemen leiden, standen aber gleichzeitig wie die kapitalistische Bourgeoisie in den Städten in »freier Konkurrenz« zueinander.
Die andere Kritik Ropers an marxistischen Positionen lautet, »es genügt nicht, den Aufstand nur ökonomisch zu erklären«. [73, 460] Es sei notwendig, über »Begriffe wie Klasse, wirtschaftliche Beziehungen, Staatswesen« hinauszugehen. [18] Dafür führt sie letztendlich den Idealismus als Erklärung ein. Demnach sei die Vision der Bauern aus einer »Theologie der Schöpfung entstanden«, sie lehnten das Herrschaftssystem ab, weil es »gegen Christus« gerichtet sei [459]. Als Klasse hätten sie sich nicht verstanden, sondern als Brüder, weshalb die Frage nach der Klasse nicht weit führe [480].
Was den Klassenbegriff betrifft, löst sie reale Verhältnisse in subjektives Befinden auf und verwischt die Konturen einer Klassengesellschaft an sich. Die Bauern mögen sich »Brüder« genannt haben, aber sie wussten, dass sie gegen eine herrschende Klasse kämpften, die sie bedrückte und auspresste: die Herren, die Fürsten, die Pfaffen, Papst und Kaiser, und sie taten dies mit eigener Interpretation von Religion, die ihnen auf der anderen Seite als herrschende Ideologie begegnete.18
Marx und Engels gegen »Ökonomismus«
Was den »Ökonomismus« betrifft, den Roper implizit als Vorwurf erhebt, war es gerade Friedrich Engels, der sich gegen eine mechanische Interpretation seiner und Marx’ Theorien wehrte. Ende des 19. Jahrhunderts erklärte er mehrmals das Verhältnis von »ökonomischer Basis« und »gesellschaftlichem Überbau«. Er fächert »politische Formen des Klassenkampfs und seine Resultate – Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende Klasse festgestellt usw. – Rechtsformen« auf, und »nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren Weiterentwicklung zu Dogmensystemen«. All das wirkt auf den Verlauf geschichtlicher Kämpfe ein und bestimmt »in vielen Fällen vorwiegend deren Form«. »Es ist eine Wechselwirkung«, worin schließlich trotz aller Zufälligkeiten »als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt«.19
Treffender lässt sich der erforderliche historische Umgang mit Geschichte kaum fassen. Es war Maßstab für Engels selbst, als er die materiellen wie ideologischen Motive des Aufstands in seiner Schrift über den Bauernkrieg beleuchtete.
Lyndal Ropers Buch bleibt widersprüchlich
Ropers Buch bietet eine lebendige und ausführliche Darstellung all der Bewegungen und Ideen, der Kämpfe und Niederlagen im Deutschen Bauernkrieg. Letztendlich bleibt sie jedoch widersprüchlich: Einerseits nennt sie viele handfeste Gründe, in den Aufstand zu treten. Andererseits überlagert sie diese mit unhistorischem Feminismus, Psychologisierung und dem Hochhalten des »Idealismus«. »In letzter Instanz« wird Religion als Ursache des Aufstands gesehen, nicht die materiellen Bedingungen. Aber nicht Ideen verändern die Geschichte, sondern reale Bewegungen in einer realen Umwelt, in denen Ideen wirkmächtig werden können. Diesen Ansatz bietet Martin Empson mit seinem kompakten Buch »Die Zeit der Ernte ist da!«. Wer mehr Klarheit über die Ereignisse und ihre Triebkräfte vor 500 Jahren erhalten will, sollte es lesen.
Das Buch:
Lyndal Roper
Für die Freiheit. Der Bauernkrieg von 1525
2024
Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller
672 Seiten, mit Abbildungen
S. Fischer, Frankfurt am Main
ISBN 978-3-10-397475-1
Literaturverzeichnis
Blickle, Peter (2024 [1998]): Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes. München: C. H. Beck. S. 42.
Empson, Martin (2024): „The Time of the Harvest has come“ – Revolution, Reformation and the German Peasants War. London: Bookmarks.
Empson, Martin (2025): „Die Zeit der Ernte ist da“ – Revolution, Reformation und der Deutsche Bauernkrieg. Hamburg: BoD.
Engels, Friedrich (1967 [1890]): „Brief an Joseph Bloch in Königsberg.“ 21. September 1890. MEW Bd. 37. Berlin: Dietz.
Engels, Friedrich (1982 [1850]): „Der deutsche Bauernkrieg.“ In: MEW, Band 7. Berlin: Dietz.
History-Podcast (2025): „Das war der Bauernkrieg.“ ARD. www.ardaudiothek.de/episode/alles-geschichte-der-history-podcast/das-war-der-bauernkrieg-der-grosse-aufruhr-1-4/ard/14224119.
Laube, Adolf/Seiffert, Werner (1975): Flugschriften der Bauernkriegszeit. Berlin: Akademie Verlag.
Marx, Karl (1999 [1852]): „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte.“ In: Marx-Engels-Werke Bd. 8. Berlin: Dietz.
Marx, Karl/Engels, Friedrich (1982 [1848]): Berichte über die Juni-Insurrektion in der Neuen Rheinischen Zeitung. MEW Bd. 5. Berlin: Dietz.
MDR-Dokumentarfilm (2025): „Die Frauen des Bauernkriegs.“ https://www.arte.tv/de/videos/117712-000-A/die-frauen-des-bauernkriegs
Neue Wege 2.25.: „Die Bauern wollten nicht den Krieg.“ Gespräch mit Janine Maegraith und Thomas Kaufmann. 3. März. Zürich. neuewege.ch/die-bauern-wollten-nicht-den-krieg,
Roper, Lyndal (2024): Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Rösener, Werner (1986): Bauern im Mittelalter. München: C. H. Beck.
Steinmeier, Frank-Walter (2025): „Sie waren der Auslöser einer Freiheitsbewegung.“ Rede am 15. März 2025 in Memmingen. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2025/03/250315-Memmingen-Bauernaufstand.html
1 Diese Rezension von Lyndal Ropers Buch „Für die Freiheit“ ist ein Ergebnis meiner Übersetzung des Buchs von Martin Empson: „The Time of the Harvest has come“ – Revolution, Reformation and the German Peasants War; deutsch: „Die Zeit der Ernte ist da!“ Revolution, Reformation und der Deutsche Bauernkrieg. Dank an den S. Fischer Verlag für die Zurverfügungstellung von Ropers Buchs als Arbeits- und Rezensionsexemplar.
2 Die MDR-Dokumentation „Die Frauen des Bauernkriegs“ ist informativ mit schönen Animationen.
3 Der History-Podcast „Das war der Bauernkrieg“ der ARD ist ebenfalls lebendig gemacht und recht informativ, gerade auch zu den Gründen der Beschwerden der Bewegung und der Brutalität der herrschenden Klasse. Gleichzeitig kann sich der Autor nicht wirklich für die radikaleren Proteste erwärmen.
4 Steinmeiers (2025): „Sie waren der Auslöser einer Freiheitsbewegung.“
5 Roper (2024). Die Ziffern in eckigen Klammern kennzeichnen die Seitenzahlen der Druckausgabe.
6 Luther in seinem „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“. Laube/Seiffert (1975: 427).
7 Der von Roper geschätzte Historiker und Theologe Thomas Kaufmann kommt dem sehr nahe: militärisch hätten die Bauern keine Chance gehabt, die Erhebung sei „sinnlos“ gewesen, der Krieg „das Übel selbst“. Nur die „marxistische Geschichtsideologie“ habe mit der Vorstellung von „der Revolution des gemeinen Mannes“ einen Sinn zu konstruieren versucht (Neue Wege 2.25).
8 So spricht sie an einer Stelle zum Beispiel von einer „erpresserischen Vision von sozialer Gleichheit“ [462].
9 Der Historiker Rösener schreibt, Furcht vor dem Ehemann sei für viele Frauen Alltag gewesen, allerdings habe die Kirche stellenweise hohen Druck auf Männer ausgeübt, ihre Frauen zu züchtigen. „Falls ein Mann seine Frau nämlich nicht strafte, mußte er eine Buße zahlen.“ Rösener (1986: 191).
10 Blickle (2024: 42).
11 Siehe auch die Historikerin Maegraith, die sagt: „Ich hadere mit der Interpretation, die auf den Bauernkrieg als sehr virile, männliche Veranstaltung hinausläuft. Es geht um Maskulinität, um Brüderlichkeit, das ist richtig. Aber wenn ich darauf fokussiere, fällt der ganze Rest der Gesellschaft in ein Vakuum. Wir versuchen, dieses Vakuum zu füllen: Wie sahen die Lebensrealitäten aus? Warum erscheinen die Frauen fast nicht in den Quellen? Und wie lesen wir die Quellen? Frauen mussten beispielsweise den Hof weiter versorgen, wenn die Männer loszogen.“ (Neue Wege 2.25.) Roper selbst weist auf die Bewirtschaftung der Höfe durch Frauen hin [462].
12 Allein der umfangreiche Schriftwechsel zwischen Marx und Engels zeugt von ihrer engen politisch-intellektuellen und freundschaftlichen Verbundenheit.
13 Marx (MEW 8: 198–204).
14 Siehe Empson (2025): Kapitel 13 und den Abschnitt Schlussfolgerungen; und Engels (1982) zum deutschen Bauernkrieg.
15 Marx (MEW 8: 200–202). Hervorh. im Original.
16 Siehe unter anderem: Marx (MEW 8: 121). Engels’ und Marx’ Berichte in der Neuen Rheinischen Zeitung (MEW 5).
17 Marx (MEW 8: 161).
18 Siehe zum Beispiel: Empson (2025: 39–41).
19 Engels (MEW 37: 463). Hervorh. in Original.