»Springerhetze kriegt uns nicht klein!« Neukölln trotzt Kampagne gegen Palästinasolidarität

Eine Medienkampagne sollte das palästinasolidarische Kiezfest der Neuköllner Basisorganisation der Partei Die Linke mit dem Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitee, Eye4Palestine und dem Gazakomitee Berlin verhindern. Nicht nur hielten die Organisator:innen den Angriffen stand, der Berliner Stadtteil kam in vielfältiger und kämpferischer Solidarität zusammen. Von Ramsis Kilani

Berlin-Neukölln ist das Herz der palästinensischen Diaspora Europas. Dementsprechend geriet der Berliner Stadtteil wiederholt ins Visier rassistischer Medienhetze, Polizeigewalt und staatlicher Repression. Im gesellschaftlichen Klima des Ausgreifens der Palästinasolidarität aus ihrer Isolation wegen des Völkermordes in Gaza ist es für Berliner Behörden aber zunehmend schwieriger, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Ein Ausdruck davon war die Initiative der Linken Berlin-Neukölln, mit dem Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitee, Eye4Palestine und dem Gazakomitee ein Stadtteilfest unter dem Motto »Neukölln steht zusammen – Solidarität mit den Menschen in Palästina« die Nachbarschaft zusammenzubringen. 

Die rechte Presselandschaft setzte prompt zur Diffamierung an: »Linke feiert Sommerfest mit Hamas-Anhängern« titelte die auflagenstärkste deutsche Tageszeitung »Bild«. Dabei bezog sich die vom Springer-Verlag herausgegebene Boulevardzeitung auf Verfassungsschutz-Behauptungen über eine PFLP- und Hamas-Nähe des mitveranstaltenden Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees. Danach stiegen weitere Medien in die Hetze mit ein.

Axel Springer SE ist einer der fünf größten Medienkonzerne, in deren Hand sich über 99,5 Prozent der am Kiosk verkauften Tageszeitungen in Deutschland befinden. Mit einem geschätzten Vermögen von etwa 3,8 Milliarden Euro ist die Familie Springer die zweitreichste des deutschen Mediengeschäftes. Im Frühjahr 2024 veröffentlichte der deutsche Journalist Hanno Hauenstein, dass der Springer-Konzern direkt von israelischen Siedlungen profitiert: Springer besitzt das größte israelische Immobilien-Anzeigenportal Yad2.

Kerstin Wolter, die Ko-Vorsitzende der Berliner Linken, ging im Interview auf Distanz: »Die Linke Neukölln muss jetzt klären, wer bei ihr auftritt, denn unsere Beschlusslage ist eindeutig. Organisationen und Personen, die der Hamas nahestehen oder ihren Terror billigen, sind definitiv keine Bündnispartner für uns.« Die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner stimmte im ARD-Interview der rechten Medienkampagne zu, dass das Sommerfest der Linken Neukölln abzulehnen sei. Sie behauptete, Besetzte profitieren vom Völkermord an ihnen gleichermaßen wie die Besatzungsmacht selbst: „Und wir als Linke sagen auch ganz klar, dass es da eine rote Linie gibt. Natürlich ist die Hamas genauso zu kritisieren als islamistische Gruppe, die genauso vom Krieg profitiert wie eine rechte Regierung.“

In einem offenen Brief an den Landesvorstand Die Linke Berlin stellten sich Berliner Linksjugend-Verbände und die Landesarbeitsgruppe Palästinasolidarität hingegen solidarisch hinter ihre Neuköllner Genoss:innen gegen die Medienkampagne von rechts. In ihrer Kritik an Kerstin Wolter und dem Landesvorstand sprechen sie auch die entscheidende Frage des Rechts auf Widerstand an, über das die Gegenkampagne der Herrschenden die Palästinasolidarität zu spalten versucht: »Das Leid der Palästinenser*innen anzuerkennen, aber gleichzeitig die Palästinenser*innen, die sich gegen dieses Leid und seine politischen Ursachen wehren, in die Nähe von Terrorismus zu rücken, ist zynisch«, heißt es.

Die Bedrohungslage zwang den ursprünglich angedachten Veranstaltungsort in der Kiezkapelle Neukölln letztlich zum Rückzug ihrer Räumlichkeiten. Aber die Organisator:innen hatten vorgesorgt: Das finanziell unabhängige Community-Projekt bUm stellte seine Räumlichkeiten für die geplanten Zeiten am Samstag, den 9. August, zur Verfügung. Hundertschaften der Polizei umstellten das Gebäude von außen. Eine kleine Kundgebung der rechten Werteinitiative und der FDP-Jugendorganisation protestierte mit etwa 40 Personen gegen das Sommerfest.

Unbeirrt kamen um die 500 Teilnehmende in Solidarität mit Palästina zusammen. Die Gäste spiegelten die Vielfalt der Gegend und Nachbarschaft wider. Kinder migrantischer und nicht-migrantischer Familien malten und bastelten gemeinsam. Jung und alt tauschten sich bei frischen Wassermelonen, Falafel und gekühlten Getränken aus. Eine ausgelassene und vertraute Kennenlern-Atmosphäre entstand. Infostände, Banner, Plakate und Reden positionierten sich gegen den Völkermord in Gaza. Zwischen Gedichten aus Gaza und Redebeiträgen der Jüdischen Stimme, des Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees, der Linken, des Gazakomitees und anderer spielte ein Violinist die Internationale, »Bella Ciao« und weitere linkspolitische Stücke. »Springerhetze kriegt uns nicht klein. Free Palestine!« malten zwei Jugendliche triumphierend auf ein Schild.

Damit setzte Neukölln ein mutiges Zeichen für Palästinasolidarität allen Spaltungsversuchen und aller Repression zum Trotz. »Die Linke und die deutsche Arbeiter:innenbewegung können so viel bewirken, wenn sie aus dem Dornröschenschlaf erwacht und sich nicht von der herrschenden Klasse, ihrer politischen Elite und dem bürgerlichen Diskurs diktieren lässt, was sie zu tun und zu denken hat«, kommentierte die Landesarbeitsgruppe Palästinasolidarität der Partei Die Linke. Dass Bundeskanzler Merz sich gezwungen sah, die Einschränkungen deutscher Waffenlieferungen zu verkünden, zeigt: Druck von unten wirkt. Und er muss weitergehen. Das Zeitfenster, noch mehr Menschen für die Selbstaktivität für Gaza zu aktivieren, ist so offen wie nie zuvor.



Foto: Die Linke Berlin-Neukölln
Titelbild: SVU Berlin