Trotz Unterdrückung gehen in Marokko tausende junger Menschen auf die Straße. Sie wehren sich gegen Korruption und Arbeitslosigkeit. Von Camilla Royle
Seit Ende September brennt die Flamme des Widerstands in Marokko. Tausende überwiegend junge Demonstrant:innen sind in mehreren Städten des nordafrikanischen Landes trotz Repression durch die Polizei auf die Straße gegangen.
Die Polizei setzte Wasserwerfer ein und verhaftete mehr als 400 Personen. In Lqliâa im Süden Marokkos töteten bewaffnete Polizisten drei Menschen, die versuchten, eine Polizeistation zu stürmen. Doch dies konnte die Massenbewegung nicht beenden.
Die Bewegung in Marokko wird »GenZ 212« genannt – eine Anspielung auf die internationale Vorwahl des Landes. Sie erinnert an die Aufstände, die im gesamten globalen Süden aufflackern, so in Kenia, Nepal, Indonesien, den Philippinen, Madagaskar und Peru.
Ein Milliardär regiert Marokko
Unmittelbarer Auslöser der Proteste sind die Ausgaben des Staates für die Fußballweltmeisterschaft 2030, die gemeinsam von Marokko, Portugal und Spanien ausgerichtet werden soll. Die Demonstrant:innen sind empört, dass die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch dem Sportspektakel Vorrang vor Arbeitsplätzen, Bildung und Gesundheitsversorgung einräumt.
Der Milliardär steht an der Spitze der neoliberalen Nationalen Versammlung der Unabhängigen, der wichtigsten Partei in der Koalitionsregierung, die Marokko seit 2021 regiert.
Während die Regierung Geld in Stadien steckt, bricht das Gesundheitssystem zusammen. Im vergangenen Monat starben in der Hafenstadt Agadir acht schwangere Frauen nach Kaiserschnitt-Entbindungen. Ein anonymer Demonstrant berichtete der BBC, dass sein örtliches Krankenhaus verdreckt sei. Patient:innen müssten das Personal bestechen, um überhaupt einen Arzt konsultieren zu können.
»Das Volk will ein Ende der Korruption«
Die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen liegt bei fast 36 Prozent, und viele weitere sind gezwungen, prekäre Jobs anzunehmen.
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Massenbewegung wirtschaftliche und politische Forderungen miteinander verknüpft. Demonstrant:innen in Casablanca im Westen, Oujda im Nordosten und Taza im Norden haben den Rücktritt von Akhannouch gefordert.
Sie skandierten: »Das Volk will ein Ende der Korruption«. Der Slogan erinnert an die Rufe der arabischen Revolutionen von 2011, die oft mit »Das Volk will… « begannen.
Repression und Zugeständnisse in Marokko
In Marokko gab es während des arabischen Frühlings Proteste, die der Staat jedoch mit einer Mischung aus Repression und kleinen Zugeständnissen unterdrücken konnte.
König Mohammed VI. veranlasste Verfassungsänderungen, die dem Premierminister mehr Befugnisse einräumten.
Die meisten der aktuellen Proteste zielten nicht darauf ab, den korrupten, milliardenschweren Monarchen Mohammed VI. herauszufordern.
Oberhaupt eines korrupten Staates
Die neue Gruppe »GenZ 212« versteht sich als »Raum für Diskussionen« über »Themen, die alle Bürger betreffen, wie Gesundheit, Bildung und Korruptionsbekämpfung«.
Sie sagt, sie handele aus »Liebe zu Land und König« und hat an den Monarchen als »Garant der nationalen Einheit und Würde« appelliert, gegen Akhannouch zu intervenieren.
Aber König Mohammed VI. ist das Oberhaupt eines korrupten Staates. Sein Gefolge nennt ihn gerne den »König der Armen«, aber sein Vermögen wird auf bis zu 6,5 Milliarden Pfund geschätzt.
Im Jahr 2020 kaufte Mohammed VI. der saudischen Königsfamilie eine Villa am Eiffelturm in Paris für 85 Millionen Euro ab. Er handelte den Verkauf der Villa mit 12 Schlafzimmern am Champ de Mars direkt mit dem ehemaligen saudi-arabischen Minister Khalid bin Sultan aus.
Als 2023 bei einem Erdbeben südlich von Marrakesch die Zahl der Todesopfer auf fast 3.000 anstieg, saß er in dieser luxuriösen Villa. Viele der Überlebenden leben noch heute in Zelten in der Region Al Haouz.
Eine Herausforderung des korrupten Systems?
Der Aufstand kann sich zu einer Herausforderung für das gesamte korrupte System entwickeln.
Die Proteste der »Gen Z« zeigen, dass die jungen Menschen ihre Situation nicht mehr ertragen. Obwohl die Kontexte sehr unterschiedlich sind, sind die Ursachen ähnlich – fehlende Arbeitsplätze, hohe Preise und staatliche Unterdrückung.
Die Frage ist nun, wie die Aufstände aufrechterhalten werden können. Die organisierte Arbeiterklasse, die die Macht hat, das Profitsystem und den Staat auszuschalten, müsste auf den Plan treten, um die Revolte zu vertiefen.
Zuerst erschienen auf Socialist Worker.
Foto: Mounir Neddi (CC BY-SA 4.0)