Protest der Gen Z In Indonesien

Was steht hinter dem Aufstand der »Gen Z«?

Eine Reihe von Aufständen im globalen Süden wird durch die Wut auf das System angeheizt, aber um einen Durchbruch zu erzielen, müssen sich die Gen-Z mit der organisierten Arbeiterklasse zusammenschließen. Von Camilla Royle.

Als die Polizei im August Affan Kurniawan, einen 21 Jahre alten Fahrer eines Motorradtaxis, überfuhr, löste dies eine landesweite Protestbewegung in Indonesien aus. Sie gehört zu einer Reihe von Aufständen auf der Welt, die als »Gen-Z-Revolten« bezeichnet werden. Derzeit gibt es sie auf drei Kontinenten: in Nepal, auf den Philippinen, in Kenia, auf Madagaskar, in Marokko, Algerien, Peru und weiteren Ländern. 

Der südafrikanische Autor Will Shoki meint, das Label »Gen Z« berge die Gefahr, die Bewegungen zu verharmlosen. Es klingt, als ob eine Generation junger Leute, die von den sozialen Medien besessen ist, die Onlinekommunikation zur Verbreitung von Unruhe nutzen. Die sozialen Medien spielen ohne Zweifel eine Rolle, es gibt jedoch wenig Hinweise darauf, dass sie eine treibende Kraft bei den Aufständen wären.

Laut Shoki ist es keineswegs überraschend, dass junge Leute im Globalen Süden auf die Straße gehen. Die Jugend »erbt die Krisenkosten, die sie nicht verursacht hat, tritt in das Erwachsenenleben ein und erlebt eine Volkswirtschaft, die nicht mehr auf ihre Arbeit angewiesen ist, und ein politisches System, das nicht mehr um ihre Zustimmung wirbt«.

Ähnliche Forderungen

Während der Kontext dieser Kämpfe recht unterschiedlich ist, gibt es doch bemerkenswerte Ähnlichkeiten. Diese Proteste richten sich gegen den Mangel an guten Arbeitsplätzen, gegen hohe Preise, politische Korruption und fehlende Demokratie.

Ein Grund dafür, dass junge Leute in diesen Aufständen so hervorstechen, ist ihre schiere Anzahl. In Indonesien  ist die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt. Das sind über 140 Millionen, die zumeist in den städtischen Gebieten leben. In Kenia machen die unter 30-Jährigen fast 75 Prozent der Bevölkerung aus.

Es gibt aber auch allgemeine wirtschaftliche Gründe. Länder im Globalen Süden haben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ihre Volkswirtschaften zunehmend auf die Herstellung von Exportgütern ausgerichtet. Die Rezession in der westlichen Welt und das stagnierende Wirtschaftswachstum in China haben sie hart getroffen. Viele Länder des Südens stehen nun vor einer sich ausweitenden Schuldenkrise.

Als im Jahr 2013 Präsident Uhuru Kenyatta in Kenia sein Amt antrat, nahm er Kredite in Milliardenhöhe auf, um in die Infrastruktur zu investieren. Diese Projekte konnten ihre Kosten jedoch nicht decken. Riesige Summen der Gelder wurden durch Korruption verschlungen. Das ostafrikanische Land wurde zudem aufgrund der Coronapandemie von steigender Arbeitslosigkeit und den durch die Klimakrise erzeugten Verheerungen gebeutelt.

Auslöser

Schulden und die neoliberale Umstrukturierung belasten die einfachen Leute, wenn die Steuern erhöht werden und weniger in öffentliche Dienste investiert wird.

Im Jahr 2024 bot der Internationale Währungsfonds (IWF) Kenias derzeitigem Präsidenten William Ruto einen Notkredit in Höhe von 941 Milliarden Dollar an. Allerdings unter der Bedingung, die Steuern auf Grundnahrungsmittel zu erhöhen.

Das wurde zum Auslöser der ersten Runde der sogenannten Gen-Z-Protest im Sommer 2024

Donald Trumps schockierende Zollpolitik drückt erneut auf die exportabhängigen Volkswirtschaften des Globalen Südens. Junge Leute in vielen Regionen müssen nun feststellen, dass viele Arbeitsplätze, für die sie ausgebildet wurden, nicht mehr existieren. Darunter befinden sich auch hochqualifizierte Fachkräfte.

Kurniawans Geschichte ist typisch für viele junge Indonesierinnen und Indonesier. Seine Familie stammte aus Lapung in Südsumatra und mietete eine kleine Wohnung in der Hauptstadt Jakarta. Kurniawan und seine Eltern waren prekär beschäftigt. Sein Vater nahm die schäbigsten Jobs an, die er bekommen konnte. Kurniawan wartete mit seinem Motorrad auf einen Kunden, als ein Panzerwagen ihn überfuhr. Er gehörte zu den 56 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter in Indonesien, die in der Schattenwirtschaft arbeiten.

Die berühmten Motorradtaxis sind praktisch für den dichten Straßenverkehr in Städten wie Jakarta. Die Fahrer sind formell selbständig, das heißt, die vermittelnden App-Unternehmen zahlen ihnen kein Urlaubsgeld und gewähren ihnen keine Krankenversicherung.

Die Fahrer setzen ihre eigenen Fahrzeuge ein, zahlen selbst für den Sprit und die Wartung, was ihre finanzielle Belastung noch erhöht. Manchmal arbeiten sie 15 bis 18 Stunden am Tag.

In Indonesien ist die Kluft zwischen Arm und Reich besonders groß. Die reichsten vier Männer verfügen über mehr Reichtum als die ärmsten 100 Millionen Bewohner des Landes. Nur 3 Prozent der Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst erhalten auch eine Stelle.

Prekäre Arbeit

Die deutsche Politikwissenschaftlerin Bettina Engels meint, 85 Prozent der Arbeiter:innen in Afrika sind in der Schattenwirtschaft beschäftigt, wobei sie Landarbeiter in ihre Berechnung mit einbezieht.

Der 31 Jahre alte Blogger Albert Ojwang ist ein solcher prekär beschäftigter Arbeiter gewesen. Er wurde verhaftet, weil er in einem Blog angeblich einen Polizeichef beleidigt hatte. Als sein Vater am folgenden Morgen zum Polizeirevier kam, hat er Albert schwer verletzt und übersät mit Prellungen vorgefunden, er starb wenig später.

Nach seinem Universitätsabschluss hatte er eine Stelle als Lehrer erhalten, aber ohne staatlichen Lehrvertrag konnte er dort nur zwei Semester lang arbeiten. Vor seinem Tod hatte er auf dem Land seiner Eltern gearbeitet und einen Blog betrieben, um über die Runden zu kommen.

Auch Arbeiter:innen in vermeintlich sichereren Berufen wie Lehrkräfte verspüren den Druck. Die Vereinigung von kenianischen Lehrer:innen, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten (Kethawa), hat eine Kampagne gegen die Pläne der Regierung eingeleitet, die Erschwerniszulage für Lehrpersonal in Dürregebieten zu streichen, darunter auch Orten, wo es schwierig ist, an sauberes Wasser zu kommen. Die Streichung von Zulagen in diesen Gebieten wird den Zugang zu Bildung für die Ärmsten des Landes noch mehr einschränken.

Korrupte Regierungen

In vielen Aufständen sind die Protestierenden gegen eine politische Elite angetreten, die Geld und Einfluss dafür nutzt, sich selbst zu bereichern. In Nepal war ein Grund für die Empörung das Verhalten der »Nepo Kids«, abgeleitet von Nepotismus, Vetternwirtschaft. Es sind meist die Kinder von Politikern, die ihren Reichtum offen zur Schau stellen.

Der Wissenschaftler Gedion Onyango meint, dass Korruption in Kenia institutionalisiert und auf jeder Ebene des öffentlichen Sektors zu finden ist.

Liberale Institutionen wie die NGO Transparency International, die sich mit Korruption beschäftigt, sieht Marokko und Indonesien an 99. Stelle von 180 Ländern auf ihrem Korruptionswahrnehmungsindex. Kenia liegt an 121. Stelle. Diese Institutionen wissen, dass Eliten, die Gelder für sich selbst stehlen, ein Risiko für investitionsbereite Unternehmen sind. Zudem erschwert es Hilfsleistungen für ärmere Länder.

Die Bevölkerung in diesen Ländern erfährt Korruption als Klassenfrage, die ihr Alltagsleben beherrscht. Zum Beispiel ist die Aufforderung, Bestechungsgeld zu zahlen, in Marokko durchaus üblich, wenn es um eine medizinische Behandlung geht. Die meisten zahlen verständlicherweise.

Und doch liegen Welten zwischen Armeeoffizieren, die ihre hervorgehobene Position auf Kosten anderer durch Bestechung ausnutzen, und Ärzten oder Klinikangestellten, die ihren niedrigen Lohn mit Bestechungsgeldern auffüllen, um zu überleben.

Onyango meint, ein radikaler Ansatz sei erforderlich, um die politischen und ökonomischen Bedingungen anzugehen, die Korruption überhaupt erst ermöglichen. Er unterstützt zivilen Ungehorsam in Ländern wie Kenia, was »die Handlungsfähigkeit und Mitsprache der Bürger in politischen Angelegenheiten wiederherstellen kann«.

In Kenia haben Demonstrierende mit der Parole »Ruto muss gehen« den Rücktritt von Präsident William Ruto und die Begrenzung der Amtszeit auf eine Legislaturperiode gefordert. Die Gen-Z-Revolte von diesem Jahr fordert Gerechtigkeit für jene, die bei den Protesten des vergangenen Jahres getötet wurden. Das brutale Vorgehen der Polizei selbst ist zur Quelle der neuen Empörung geworden.

Im benachbarten Uganda dagegen hat sich die Schlacht, Yoweri Museveni abzusetzen, auf die Wahlen im Januar 2026 konzentriert. Der 81 Jahre alte Staatschef ist seit 1986 im Amt. Mehrere potenzielle Gegenkandidatinnen und -kandidaten gehörten zur Generation Z. Sie sind mit Programmen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und Armut angetreten, die meisten haben es aber nicht auf die Nominierungsliste geschafft.

Der Ruf nach mehr Demokratie beschränkt sich nicht immer auf liberale Kampagnen für freie Wahlen und freie Medien. Junge Leute sind die Politiker zu Recht leid, die ihre Hoffnungen zunichte machen.

Die Arbeiter:innen müssen sich zusammentun

Es besteht jedoch die Gefahr, dass reformistische politische Kräfte die Ziele der Bewegung auf den Austausch von Personen an der Spitze der Gesellschaft beschränken. Damit beschränken sie auch die Fähigkeit der Bewegung, gegen die gesellschaftliche, wirtschaftliche und Umweltkrise zu kämpfen.

Die rebellischen Straßenbewegungen auf der Welt sind spannend. Aber die Bewegung der Arbeiter:innen in der Schattenwirtschaft muss sich mit der organisierten Arbeiter:innenklasse verbinden, wenn diese Aufstände etwas erreichen sollen. 

Es gibt bereits Ansätze für eine solche Entwicklung: In Daressalam, Tansania, hat die Organisation, die die Beschäftigten im informellen Minibusverkehr vertritt, ein Bündnis mit der Transportgewerkschaft geschlossen. In Ghana haben sich Gelegenheitsarbeiter der Ölpalmenhaine in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen. Auf Madagaskar wurde ein Generalstreik im informellen Sektor ausgerufen und die Gen-Z-Bewegung fordert die Gewerkschaften auf, den Generalstreik in der Privatwirtschaft auszurufen. 

Die Verbindung zwischen Beschäftigten der Schattenwirtschaft und den Gewerkschaften herzustellen, war nicht immer leicht. Sophia in Nairobi erzählt Socialist Worker: »Die Gewerkschaften wollen die neuen, prekär beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter nicht anerkennen. Sie weigern sich, sich an die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anzupassen.« Um jedoch zu verhindern, dass diese Revolten durch reaktionäre Kräfte vereinnahmt werden, müssen die Arbeiter:innen ihre entscheidende Rolle im Produktionsprozess nutzen, um Schlüsselindustrien lahmzulegen und das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verschieben.

Bislang verlaufen diese Aufstände jedoch meist im Sande und scheitern. Streiks könnten den Arbeitern beziehungsweise den Armen generell mehr Vertrauen in ihre Fähigkeit geben, etwas zu verändern.


Dieser Artikel erschien am 10. Oktober 2025 auf socialistworker.co.uk

zum Beginn