Rentner:innen arbeiten in einer Fabrik.

Hände weg von unseren Renten!

Die Union hat eine Diskussion über die Renten in Deutschland angezettelt. Warum uns das alle angeht, was falsch an den Argumenten ist und welche Logik sich dahinter verbirgt, erläutert Thomas Walter

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wurde in der Talkshow von Carmen Miosga gefragt, wer denn seiner Meinung nach in Deutschland zu wenig arbeite. Linnemann antwortete: »Die Rentner«. Die Antwort überrascht, denn die Rente dient ja gerade dazu, den arbeitenden Menschen einen Ruhestand ohne Lohnarbeit zu ermöglichen.

Es ist eine Errungenschaft der Arbeiterbewegung, dass es statt »arbeiten bis zum Tode« einen Ruhestand gibt mit einer Rente und einem gesetzlich festgelegten Rentenalter, ab welchem niemand mehr für Lohn arbeiten muss. Dazu gehört, dass nicht »freiwillig« weiter für Lohn gearbeitet wird, weil dies die Rente unterläuft.

Bei »freiwilliger« Lohnarbeit neben der Rente droht, dass die Renten auf ein Niveau abgesenkt werden, bei welchem die mögliche »freiwillige« zusätzliche Lohnarbeit schon mit berücksichtigt wird – mit dem Ergebnis, dass immer mehr Lohnabhängige gezwungen werden, zu ihren Renten hinzuzuverdienen, wollen sie ihren Lebensstandard schützen. Genau diese zusätzliche Arbeit der Rentner:innen fordert nun Linnemann.

Überalterung der Gesellschaft?

Ein Argument der Union für den Angriff auf die Rentenversicherung ist die angeblich drohende »Überalterung« der Bevölkerung.

Nach der sogenannten 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung entfallen im Jahr 2025 33 im Alter von 67 oder mehr, also potenzielle Rentner, auf 100 Personen im »erwerbsfähigen« Alter von 20 bis unter 67 Jahren (»Altenquotient«). Laut dieser Vorausberechnung steigt der Altenquotient auf 46 zu 100 im Jahr 2070.

Der Anstieg des Altenquotienten bedeutet, dass, wenn die Renten auf gleichem Niveau bleiben sollen, aus dem laufenden Arbeitseinkommen mehr in Form von Sozialbeiträgen für die Rentenversicherung abgezweigt werden muss – entweder zu Lasten der verfügbaren Nettoeinkommen der Beschäftigten oder zu Lasten der Profite der Kapitalisten, wenn das Arbeitseinkommen zum Ausgleich erhöht wird.

Alleine ein Anstieg des Bruttoarbeitseinkommens je Jahr zwischen 0,1 Prozent und 0,2 Prozent würde es ermöglichen, bei dem prognostizierten Anstieg des Altenquotientens die Rente auf gleichem Niveau zu halten, ohne die Beiträge zur Rentenversicherung zu erhöhen.

Mit einem Anstieg der Arbeitsproduktivität um diesen Wert (also 0,1 bis 0,2 Prozent im Jahr) kann die erwartete Zunahme des Anteils älterer Menschen finanziert werden, ohne dass Beschäftigte oder Kapitalisten etwas abgeben müssen.

»Wir arbeiten zu wenig.«

Linnemann diskutierte aber nicht in erster Linie über die Renten. Seine These war, dass in Deutschland zu wenig gearbeitet würde. Die Rentner:innen waren nur das konkrete Beispiel.

Linnemann führte aus: »Statistisch gesehen arbeiten wir derzeit weniger als Menschen in anderen Ländern – über 100 Stunden pro Jahr weniger als in Griechenland, nahezu 200 Stunden weniger als im OECD-Durchschnitt.« Wir erinnern uns: Als die Regierung in der Finanzkrise 2009 mehrere Hundert Milliarden Euro aufgewendet hat, um Banken zu retten, wurden uns von der BILD die angeblich »faulen Griechen« als Sündenbock vorgeführt.

Was Linnemann verschweigt: In Deutschland beträgt das Bruttoinlandsprodukt, ein Maß für die Wirtschaftsleistung eines Landes, in US-Dollar umgerechnet je Kopf der Bevölkerung 54.000 Dollar. Im Durchschnitt der OECD sind dies nur 47.000 Dollar, in Griechenland gar nur 23.000 Dollar. In Deutschland produzieren die Menschen also nicht weniger, sondern mehr als in anderen Ländern – trotz der geringeren Zahl an Arbeitsstunden.

Das Ziel der Union und der Unternehmen ist, die Menge der Arbeitsstunden zu erhöhen, um die Profite, also die Menge an produzierten Werten, die die Kapitalisten nicht in Form von Löhnen auszahlen müssen, zu erhöhen. Ihnen geht es um die Erhöhung der Ausbeutungsrate.

»Fachkräftemangel«

Ein weiteres Argument der Union und der Unternehmen für eine Ausdehnung der Arbeitszeit ist der sogenannte »Fachkräftemangel«. Viele Arbeitskräfte genügen nicht den Ansprüchen der Arbeitsprozesse, so die Unternehmen. Dadurch entsteht angeblich ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, den die Arbeitgeber als Vorwand nutzen, den Druck auf Beschäftigte zu erhöhen. Arbeiter:innen in Deutschland schieben Milliarden von Überstunden vor sich her  – ohne eine Perspektive auf Auszahlung oder Freizeitausgleich.

Diesen rechtswidrigen Zustand würde das Kapital gerne zum Normalzustand machen, indem sie die Regelarbeitszeit verlängern. Natürlich ohne entsprechend die Löhne zu erhöhen. Dazu dient die Diskussion über das höhere Renteneintrittsalter, die aktuelle Debatte über Feiertage oder die Gesetzesinitiative der Regierungskoalition zur Erhöhung der täglichen Arbeitszeit von acht auf zehn Stunden.

Dass es bei der Debatte nicht wirklich um Fachkräftemangel geht, sehen wir daran, dass weder die Regierung noch die Arbeitgeberverbände Anstrengungen unternehmen, die Bildung und Ausbildung in Deutschland besser zu finanzieren – beginnend mit prekär bezahlten Lehrkräften beim Deutschunterricht für Geflüchtete, unterfinanzierten Kitas und Schulen bis hin zu Auszubildendenvergütungen, von denen junge Menschen nicht leben können.

Markt nur, wenn es dem Kapital dient

Nach der marktwirtschaftlichen Ideologie der herrschenden Klasse wird »Mangel« durch den Preis geregelt. Der Preis für Facharbeiter, also der Lohn der Facharbeiter, müsste nach Angebot und Nachfrage geregelt sein. Steigt der Lohn, verschwindet der Mangel. Die weniger effizienten Unternehmen scheiden als Nachfrager nach Fachkräften aus. Nur die effizientesten Unternehmen können höhere Löhne für Facharbeiter bezahlen und halten sich somit am Markt.

Genau solche Marktergebnisse werden in anderen Zusammenhängen als die großen Vorteile der Marktwirtschaft gepriesen. Doch kaum wenden sich solche Argumente gegen die Profitinteressen des Kapitals, wird nicht mehr dem Markt vertraut, sondern nach staatlichen Lösungen gerufen, zu Lasten der Arbeitenden.  

Der Vorschlag von Bärbel Bas

Die Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) brachte einen Vorschlag ins Gespräch, der oft aus der linken Mitte kommt. Gemäß dem »Österreichischen Modell«, das in Österreich schon eingeführt ist, sollen alle Werktätigen in die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einzahlen. Auch die Beamten und die Selbstständigen. Dies soll nur für diejenigen Beamten gelten, die neu in ein Beamtenverhältnis eintreten, nicht schon für bereits verbeamtete Arbeitnehmer. Nach und nach würden sich also die Finanzen der GRV verbessern, weil die neuen Beamten und Selbständigen jetzt Beiträge zur Rentenversicherung einzahlen. Erst nach Jahrzehnten, wenn diese selbst in das Rentenalter eintreten, werden gemäß der Beitragszahlungen auch Ausgaben für die erworbenen Rentenansprüche fällig. 

Das Modell hat verschiedenen Vorteile. Zum Beispiel, dass kleine Selbständige, die sich oft ohne eigene Altersvorsorge durchschlagen, so vielleicht besser für das Alter abgesichert werden. Vermutlich wird sich die Lage der Beamten eher verschlechtern. Sie müssten Beiträge zur GRV zahlen, was bisher nicht der Fall ist. Sie erwerben mit diesen Beiträgen zukünftige Rentenansprüche gegenüber der GRV. Das Modell macht aber eigentlich nur Sinn, wenn gleichzeitig die Pensionsansprüche, die bislang unmittelbar der Staat zahlt, auf das allgemeine Rentenniveau abgesenkt werden. Insgesamt verschlechtert sich dann die Lage der Beamt:innen.

Die marxistische Analyse

Im Kapitalismus wird die Zeit der arbeitenden Menschen aufgeteilt in eine Zeit, in der sie für das Kapital, die Kapitalisten arbeiten müssen, und eine Zeit, über die sie, soweit in einer kapitalistischen Gesellschaft möglich, selbst verfügen können. Nur während des ersten Zeitraums schaffen sie Wert, nach Abzug des Lohnes, Mehrwert, also Profit, für die Kapitalisten. Für die Kapitalisten ist die ideale Lösung »arbeiten bis zum Tode«, möglichst ohne Lohn. 

Die Arbeiterklasse kann nur in einem Klassenkampf dem Kapital freie Zeit abringen und ein Arbeitseinkommen, das groß genug ist, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten und über die Beiträge zur Rentenversicherung auch die Renten der Rentner:innen, die früher Arbeiterin:innen waren, zu finanzieren.

Eine freie Gesellschaft könnte frei entscheiden, wie lange gearbeitet wird und in welchen Mengen was für wen produziert wird. Verlängert sich die Lebenserwartung, entscheidet eine freie Gesellschaft darüber, wie Arbeitszeit und Güterversorgung anzupassen sind.

Im Kapitalismus ist diese Entscheidung im Interesse des Kapitals schon getroffen. Damit der Profit möglichst groß wird, drängen die Kapitalisten auf möglichst lange Lebensarbeitszeit bei möglichst niedrigen Löhnen, Gehältern und Renten. Die arbeitende Klasse muss ständig kämpfen, um Lohn und Freizeit, um eine Altersvorsorge und Zeit im Alter ohne Lohnarbeit. Die kapitalistischen Interessen werden von den Ideologen des Kapitals als scheinbare Naturgesetze dargestellt (»Wir werden nun mal älter…«). Es sind aber die arbeitenden Menschen selbst, die darüber entscheiden sollten.  

Unsere Forderungen

Die Stärke der Arbeiterklasse beruht auf ihrer Einheit. Eine Aufteilung der Altersvorsorge oder der Krankenversicherung auf verschiedene Gruppen der arbeitenden Klasse gemäß dem Motto »teile und herrsche!« schwächt unsere Klasse. 

Die Angleichung der verschiedenen Renten- und Krankenversicherungssysteme muss sich am besten System, gegebenenfalls an dem der Beamten orientieren, nicht umgekehrt. 

Private individualistische Lösungen schwächen die Arbeiterklasse gemäß »teile und herrsche«. Auch höhere Einkommen jenseits der »Beitragsbemessungsgrenze« sollen in die gesetzlichen Versicherungen einzahlen. Eine private, vom einzelnen Individuum abgeschlossene Versicherung erhöht die Profite der Banken und Versicherungen zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter. Vom Spekulationsrisiko ganz abgesehen. 

Die Sozialversicherung ist ein Bestandteil des Lohnes der Arbeiter:innen. Dieser Lohn muss durch Klassenkampf gegen das Kapital verteidigt werden. Günstig für eine Gegenwehr von unten ist, dass die neoliberale Propaganda bisher nicht verfangen hat. Der »Generationenkonflikt in der Rente wird nicht erlebt«, stellte die konservative FAZ unlängst enttäuscht fest. Der Versuch, statt des Konflikts Arbeit gegen Kapital einen Konflikt zwischen jung und alt zu konstruieren, scheitert bis jetzt.

Laut dieser Umfragen würden sogar höhere Sozialbeiträge zur GRV in Kauf genommen, wenn damit die Aussicht auf »sichere Renten« verbunden wäre. Doch solche Umfragen allein werden das Kapital nicht davon abhalten, seine Interessen durchzusetzen, wenn nicht Widerstand dagegen organisiert wird.

Titelbild: KI-generiert