Im Rahmen der diesjährigen Aktionswochen gegen antimuslimischen Rassismus vom 17. Juni bis 1. Juli rief Aufstehen gegen Rassismus bundesweit zu Kundgebungen auf. Von der Kundgebung am Oranienplatz in Berlin berichtet Sabine Giese
Vor 16 Jahren, am 1. Juli 2009, wurde die Muslima Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht ermordet. Die Pharmazeutin und junge Mutter hatte antimuslimische Hasstiraden gegen sich zur Anzeige gebracht und sollte als Zeugin aussagen. Der Täter, der sie bereits im Vorfeld der Verhandlung mit dem Tod bedroht hatte, konnte sie ungehindert vor den Augen ihres Mannes und ihres Kindes mit 18 Messerstichen töten und auch ihren Ehemann lebensbedrohlich verletzen. Ein dazugekommener Polizist schoss auf den Ehemann – denn für ihn war klar, dass nur von diesem die Bedrohung ausgehen könnte! Marwa El-Sherbinis Ermordung zeigt dass Rassismus tödlich ist – das ist heute leider genauso aktuell wie vor 16 Jahren!
Die Rednerinnen und Redner der Kundgebung kamen aus den unterschiedlichsten Teilen der Berliner Bevölkerung. Die junge Auszubildende Celin, die für die Initiative Alt Treptow gegen Rassismus sprach, berichtete davon wie eine weiße deutsche Frau sie mitten in Neukölln beleidigt: »Sie hat mein Kopftuch, meine Kleidung, meine Identität öffentlich entwertet. Ich habe Leute hinzugezogen und die Frau gefilmt. Ich werde nie wieder zu so etwas schweigen. Egal wen es betrifft.«

Plakat zum Tag gegen antimuslimischen Rassismus anlässlich der Ermordung von Marwa El-Sherbini.
Zahlreiche Reden gegen Rassismus und für Solidarität
Jule von Aufstehen gegen Rassismus argumentierte »rassistische Gewalt wird, wenn überhaupt als Einzelfall verhandelt. CLAIM – Allianz gegen Islam und Muslimfeindlichkeit dokumentiert einen Anstieg islamfeindlicher Übergriffe um 60 Prozent. Die Mehrzahl richtet sich gegen muslimische Frauen.« Sie verwies darauf, wie die AfD Muslime als Projektionsfläche für soziale und gesellschaftliche Probleme inszenieren.
Christine Buchholz ergänzte ebenfalls für AgR, dass die AfD dies nur könne, weil die etablierte Politik und Medien ständig Vorlagen dafür lieferten. Dabei verwies sie auf den sogenannten Krieg gegen den Terror und die Tatsache, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag nicht über den Islam und antimuslimischen Rassismus spreche, sondern nur über »Islamismus«: »Angehörige einer Religion stehen andauernd im Verdacht, Böses im Schilde zu führen. Das ist Rassismus. Aber über diesen Rassismus spricht die Regierung natürlich nicht, weil sie ihn selbst schürt.«
Sündenböcke für die Krisen des Kapitalismus
Ferat Kocak (Die Linke) argumentierte, dass der Rassismus »systemrelevant« sei, also vom Kapitalismus gebraucht würde. Er klagte ein System an, dass »Angst sät, um Profite zu sichern«. Er sprach gegen die Diskriminierung und Kriminalisierung der Palästina-Solidarität in Deutschland, genauso wie Samira Tanana, die sich in einer sehr starken Rede auch gegen antipalästinensichen Rassismus richtete. Celin brachte es auf den Punkt: »Araber und Türken sind super, solange’s um Döner, Shawarma und gute Laune geht – aber wenn wir über Unterdrückung sprechen, heißt’s direkt: ›Geh doch zurück, wenn’s dir nicht passt.‹«
Yasmine-Blanche Werder von LSVD Queere Vielfalt ln Brandenburg e.V. wies vehement zurück, dass queere Menschen vor allem vor muslimischen Menschen Angst haben müssten: »Diese Lüge ist nicht nur falsch, sie ist ein direkter, rechter Angriff auf unsere solidarische Gesellschaft. Sie spaltet, sie lenkt ab.«
Auch Imam Ender Cetin betonte: »Wir tragen jeden Tag zur Solidarität und Frieden bei – auch wenn das oft nicht gesehen wird.« Er kritisierte, dass viele Projekte gegen Diskriminierung weggekürzt würden: »Ich frage mich, wieviel Geld für Waffen da ist, aber für friedliches Zusammenleben nicht.«
Mauern der Angst zum Einsturz bringen
Carmen Khan, eine evangelische Pastorin, deren muslimischer Ehemann an einem späten Abend Ende April im Eingang des Gemeindehauses von Rassisten brutal zusammengeschlagen wurde, berichtete darüber, wie wichtig es ist, nicht wegzuschauen. Gemeinsam müssten wir die Mauern, die es in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche gebe, »zum Einsturz zu bringen«.
Den Abschluss bildete eine gelungene Performance von TheaterX , das einen Bogen zu den Protesten gegen die Abschiebungen in L. A. schlug und die Unmenschlichkeit der Abschiebungen hier und dort thematisierte.
Es war eine sehr ergreifende Kundgebung mit einer klaren Aussage: Nur gemeinsam können wir antimuslimischen Rassismus, jeglichen Rassismus, Diskriminierung, aufkommenden Faschismus, Demokratieabbau und Krieg überwinden!
Fotos: Svu Berlin