Antimuslimischer Rassismus als soziale Krisenablenkung

Der aktuell um sich greifende Rassismus gegen Asylsuchende und Muslime:a ist eine reine Ablenkung von der Haushaltskrise und der sich zuspitzenden kapitalistischen Konkurrenz. Von Damineh Vaezpour-Semnani

Nach den Morden in Solingen, bei denen vier Personen durch einen Messerangriff ums Leben kamen, war die Allzweckantwort der gesamten Parteienlandschaft härtere Migrationspolitik und Hetze gegen geflüchtete und asylsuchende Menschen. Solingen wird vor allem politisch dazu genutzt, mit rassistischer Sündenbockpolitik Stimmung zu machen – besonders in der heißen Wahlkampfphase im Osten Anfang September. Es lässt sich beobachten, wie diese Narrative mit dem Kerninhalt »Wir müssen im großen Stil abschieben« und »Die gefährlichen Messerstecher sind alle Islamisten« seit diesem Vorfall ununterbrochen von Politiker:innen aus allen großen Parteien wiederholt werden. Eine Grüne-Politikerin sagte im Bundestag: »Denn das Gift des Islams, das erreicht die Köpfe der Menschen nicht nur im Ausland – das erreicht die Menschen auch hier«. Später behauptete sie zwar, dass es sich hierbei um einen Versprecher handelte, da sie den »Islamismus« gemeint habe – gesagt war es dennoch. In bürgerlichen Medien und der staatlichen Justiz scheinen die Begriffe Islam und Islamismus ohnehin zunehmend synonym verwendet zu werden, betrachtet man die Schließung der Blauen Moschee in Hamburg und eines Kulturzentrums in Frankfurt am Main.

Massenabschiebungen als Antwort auf Solingen und Mannheim

Die Antwort der Bundesregierung auf individuelle Gewaltakte in Solingen und Mannheim sollen nun dafür dienen, die deutsche Migrations- und Aslypolitik als die vermeintliche Ursache und Lösung individueller Gewalt darzustellen. So will die Ampelkoalition zusammen mit der CDU, deren migrationspolitische Forderungen sich kaum noch von der im Kern faschistischen AfD unterscheiden, einen brutalen Rechtsruck in der Migrationsgesetzgebung durchführen. Mittlerweile ist die CDU auf Grund mangelnder Härte der Ampelparteien aus den Gesprächen ausgeschieden.

Merz postete bspw. »Es reicht« und fordert nun eine komplette Aussetzung des Rechts auf Asyl für geflüchtete Menschen aus Afghanistan und Syrien. Wagenknecht meinte, »Der Bundeskanzler sollte das Stoppsignal an die Welt senden – die Willkommenskultur ist vorbei, wir schaffen es nicht, macht euch nicht auf den Weg«.

Im Gespräch mit der SPD an der Regierung vorbei forderte Merz, es dürfe keine Tabus geben und dass über alles gesprochen werden müsse. Er würde die »nationale Notlage« aussprechen, um auch Gesetztesänderungen am Grundgesetz durchsetzen zu können. Doppelte Staatsbürgerschaften sollen verboten werden, was den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft für viele Menschen praktisch unmöglich macht, da einige Staaten das Ablegen der bereits bestehenden Staatsbürgerschaft ausschließen.

Rassismus verschleiert die Verteilungsfrage

Vor allem die CDU macht die bisherige Migrationspolitik der Ampel für den vermeintlichen Anstieg von »Messertaten« verantwortlich. Kurz nach den Morden von Solingen lief eine deutsche Frau in einem Bus in Siegen mit einem Messer Amok. Dass es nicht zu Toten kam war allein drei Muslima zu verdanken, die die Angreiferin überwältigten. Hier war das Aufrufen einer nationale Notlage nicht notwendig. Weiter seien die katastrophalen Situationen in und um Kitas, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Arztpraxen und der Wohnungsmarkt nur auf Grund von asylsuchenden Menschen so katastrophal wie noch nie, so Merz. Dass es sich hierbei nur noch um rassistische Hetze und Sündenbock-Propaganda eines Politikers handelt, der als ehemaliger Vorstandsvorsitzender und Lobbyist von Black Rock – dem größten Vermögensverwalter der Welt -, gerade nicht um eine solidarische Gesellschaft geht, ist offensichtlich. Nicht Asylsuchende entscheiden über Investitionen, Gehälter und Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst, sondern der Staat. Nicht Asylsuchende entscheiden, wie hoch die Mieten in Städten und wie hoch die Bodenpreise auf dem Land sind, sondern ein profitorientierter Markt von in Konkurrenz stehenden Großunternehmen und Investmentfonds. Nicht Asylsuchende überlasten Krankenhäuser, Praxen und das Gesundheitssystem, sondern der staatliche Rückbau von kritischer Infrastruktur und flächendeckender Gesundheitsversorgung.

Haushaltskrise spitzt sich zu

Die BRD verschob 2022 60 Milliarden nicht ausgeschöpfte Kredite aus dem Corona-Notfallfond in einen Klimafond, den »Klima- und Transformation Fonds«. Hierzu verabschiedete der Bundestag rückwirkend mit den Stimmen der Ampel Fraktionen einen Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2021. Die CDU/CSU klagte hiergegen. Daraufhin entschied das Bundesverfassungsgericht 2023, dass dieses Vorgehen der Ampelkoalition gegen das Grundgesetz verstoßen habe. Insbesondere das Umgehen der sogenannten Schuldenbremse soll zu dem Urteil geführt haben.

Das Loch im Haushalt 2025 betrug einen zweistelligen Milliardenbetrag und sollte mittels Umverteilung von unten nach oben geschlossen werden, bzw. sollen Sozialausgaben gekürzt werden, damit die Steuergeschenke des Staats an die Reichen und Unternehmen weiter bestehen bleiben können. Der Streit in der Ampelkoalition, wie das fehlende Geld aufgebracht werden soll, dreht sich jedoch letztlich um die Frage, wie stark der Staat die Lasten für die arbeitende Bevölkerung machen möchte. Von einer Reichensteuer ist in der Debatte keinerlei Rede, allerdings sollen weitere Repression gegen Bürgergeldempfangende das Loch im Bundeshaushalt füllen.

Rassismus spaltet, die Verhältnisse erdrücken

Der aktuell grassierende Rassismus ist eine deutliche Ablenkungsstrategie von den tatsächlichen Ursachen sozialer Sorgen und Ängste. Es wird von den Ursachen der fehlenden Investitionen in den sozialen Sektor und in die Bedürfnisse der Arbeiterklasse abgelenkt, indem die Parteien auf Rassismus setzen, gegen marginalisierte und schutzbedürftige Menschen hetzen und somit einen Spaltkeil in die arbeitende Bevölkerung treiben. Eben jenen Teil der Bevölkerung, der sämtlichen gesellschaftlichen und privaten Wohlstand produziert – im Gegensatz zu Friedrich Merz oder Olaf Scholz oder dem Nazi Björn Höcke.

Die zunehmende Verarmung breiter Teile der Gesellschaft führt zu enormen Abstiegsängsten. Der Abbau des sozialen Sektors öffnet die Schere zwischen arm und reich immer weiter. Die jüngste sogenannte »Mitte-Studie« nennt dieses Phänomen »Marktförmigkeit«, welche scheinbar durch die massive Verunsicherung in »Krisenzeiten« »entsichert« werde. Laut dieser Studie seien gerade die verunsicherten »marktförmigen Menschen« anfällig für rechte Propaganda. Für Marxist:innen ist dies nichts Neues und wir werden nicht müde zu betonen, dass es die politischen und materiellen Verhältnisse sind, in denen sich die Menschen befinden, die ihr Bewusstsein über das politische System formt. Rassistische Slogans und faschistischer Führungskult bishinzu Vernichtungsfantasien wirken im Angesicht der Unfähigkeit aller bürgerlichen und linker Parteien die Krisen der kapitalistischen Wirtschaft zu handhaben durchaus als eine Alternative, als ein »Durchgreifen«. Die gleichzeitige Abwesenheit einer sozialistischen Opposition zum kapitalitischen und parlamentarischen System, sowie gegen Hetze und Spaltung, sorgt für eine weiteren Sog nach rechts.

Kapitalismus kann nicht sozial

Die geplanten Kürzungen der Sozialausgaben führen zu einer kritischen und existenzbedrohenden Situation für große Teile der Bevölkerung, da die Lebenshaltungskosten zwar nicht mehr weiter steigen, aber dennoch auf einem hohen Niveau bleiben. Einem Kostenniveau, das die Konsumausgabe der Bevölkerung direkt in die Taschen der reichen Unternehmer:innen und Aktionär:innen befördert.

Der Umkehrschluss der aktuellen rassistischen Hetze gegen Asylsuchende, sowie unseren Nachbarn, unsere Kolleginnen und Kollegen, wie sie von Black Rock-Lobbyisten wie Friedrich Merz forciert wird, ist ebenso falsch. Es ist ja gerade nicht so, dass weniger Sozialausgaben durch die vollständige Abschaffung des Asylrechts dafür sorgen würden, dass dieses »freiwerdende« Geld in die notwendigen Strukturen des öffentlichen Dienstes und die marode Infrastruktur fließt, oder dass damit Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen & Co. enteignet, Energiekonzerne verstaatlicht und damit dem Markt entzogen würden. Rassismus allgemein und im Besonderen der antimuslimische Rassismus sind im 21. Jahrhundert das schärfste Schwert der Kapitalist:innen und ihrer bürgerlichen Politiker:innen um die Arbeiterklasse zu spalten und ihre Organisationen zu schwächen. Der Rassismus der bürgerlichen Partei verschärft die Krisen des kapitalistischen Wirtschaftssystems nur umso mehr. Dem Mittelstand und Kleinunternehmer:innen wird zunehmend die Existenzgrundlage, in Form junger Auszubildenden, abgeschoben und genommen. In der sich zuspitzenden Konkurrenz werden die Existenzängste vieler weiter wachsen und der Faschismus wird für viele dieser isolierten Bürgerlichen als eine attraktive Antwort auf die scheinbare Überwindung der Krisen erscheinen.

Antirassistische Arbeitskämpfe nötiger denn je

Die sich bereits abzeichnenden Klassenkämpfe bei VW, in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst 2025, bei den Kitas, Schulen, Universitäten und auch der Deutschen Bahn müssen konsequent antirassistisch geführt werden. Wachsende und ausgreifende soziale Bewegungen waren immer auch ein Anziehungspunkt über die arbeitende Bevölkerung hinaus. Es ist unsere Aufgabe als Antirassist:innen und als Sozialist:innen Antworten auf die Krisen und ihre Ursachen zu geben. Wir müssen den Kriegen, den Waffenlieferungen und der Aufrüstung konsequent antimilitaristisch widersprechen. Wir müssen antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus konsequent solidarisch widersprechen. Wir müssen die extreme Rechte in breiten Bündnissen konfrontieren und ihren Einfluss auf die Gesellschaft einschränken bis vollständig verhindern. All dies gepaart mit einer radikalen Kapitalismuskritik kann der extremen Rechten das Wasser abgraben, das die bürgerlichen Parteien seit Wochen auf die Mühlen von faschistischen Organisationen leiten. Die rassistische Grundlage eines kommenden Faschismus wird gerade erst in die Breite der Gesellschaft kanalisiert. Noch kann dieser Grundlage widersprochen werden und ihr Fundament zerschlagen werden. Dafür müssen unser Antirassismus und unsere Solidarität im Kampf gegen Ausbeutung und Unterbezahlung unteilbar sein.


Titelbild: bpb.de