Joseph Choonara
Aus: International Socialism, Ausgabe 186, Frühjahr 2025, isj.org.uk/cadrisation
Aus dem Englischen von Francis Byrne und Rosemarie Nünning
Im traditionellen militärischen Sprachgebrauch bezeichnete der Begriff Kader den Kern von Offizieren, um den herum eine Einheit von Soldaten aufgebaut werden konnte.[1] Wie viele militärische Begriffe wurde er von Revolutionärinnen und Revolutionären in der Zeit zwischen den Weltkriegen übernommen: Kader waren der Kern der Aktivisten einer Partei, die die Ideen ihrer Organisationen vertraten und für Führung und Orientierung im Klassenkampf sorgten.[2]
Die Frage der Kaderentwicklung, des Schmiedens von Kadern aus Menschen, die sich von revolutionärer Politik angezogen fühlen, ist für alle von grundlegender Bedeutung, die glauben, dass eine politische Organisation notwendig ist, um den Kapitalismus zu stürzen und eine sozialistische Gesellschaft zu ermöglichen.[3] Obwohl das zahlenmäßige Wachstum einer revolutionären Organisation durch Mitgliedergewinnung wichtig ist, wird eine solche Organisation kaum über eine Propagandasekte hinauswachsen, wenn sie nicht über einen Kern von Mitgliedern verfügt, die in der Lage sind, revolutionäre Ideen klar zu artikulieren und auch Kämpfe zu führen. Nur eine überzeugte Minderheit vertritt außerhalb revolutionärer Ereignisse revolutionäre Ideen. Weil diese in einem Spannungsverhältnis zu den in der Gesellschaft vorherrschenden Ideen stehen, muss dieser Kern in seiner Weltanschauung gefestigt genug sein, um dem erheblichen gesellschaftlichen Druck zur Anpassung zu widerstehen.
Ein solcher Kader entwickelt sich nicht spontan. Es stimmt, dass ein hohes Maß an Klassenkampf diesen Prozess beschleunigen und glatter verlaufen lassen kann. Doch selbst dann ist es keineswegs automatisch so, dass die praktische Kampferfahrung bereits Vollblutrevolutionär:innen hervorbringt, die für den Aufbau einer Organisation auf lange Sicht erforderlich sind. Einzelne Kämpfe ebben ab oder münden in eine Niederlage; neue Probleme und Fragen tauchen auf und erfordern die Weiterentwicklung der Theorie, neue Erklärungen und das Überdenken der Taktik. Ab einem bestimmten Punkt müssen selbst die besten Kämpfer:innen Wege finden, ihre Tätigkeit mit den Werkzeugen des Marxismus systematisch zu theoretisieren und diese Werkzeuge gegebenenfalls zu verfeinern. Das erfordert nicht nur, dass die neuen Mitglieder von den erfahreneren gefördert werden, sondern auch die Entwicklung einer Kultur, in der jedes Mitglied Teil eines kontinuierlichen Prozesses ist, um die Theorie und Praxis weiterzuentwickeln und beides zusammenzuführen.
Kaderbildung ergibt sich nicht automatisch, sie ist auch kein mechanischer Vorgang. Eine Schulung mit zehn Sitzungen, so wertvoll sie auch sein mag, wird nicht dazu führen, dass die Kader wie Bohnendosen in einer Konservenfabrik vom Fließband rollen. Stattdessen erfordert Kaderbildung bewusste Anstrengung in mehreren Tätigkeitsbereichen, Aufmerksamkeit für Details und ein theoretisches Verständnis des Wesens revolutionärer Parteien.
Das Erbe der Bolschewiki
Es ist hilfreich, mit dem Konzept der Kaderbildung bei Lenins Bolschewiki zu beginnen.[4] Die Bolschewiki sind nach wie vor die einzige Organisation in der Geschichte, die Arbeiterinnen und Arbeiter zusammen mit anderen unterdrückten Gruppen in einer sozialistischen Revolution auf nationaler Ebene zum Sieg geführt hat. Auch wenn diese Revolution den Rückschlag unter Stalin nicht überdauern konnte, bleibt sie eine bedeutende Leistung. Das heißt nicht, dass die Parteien, die wir heute gründen, den Bolschewismus einfach kopieren können oder mit denselben konkreten Problemen konfrontiert wären – wir üben nicht für eine Wiederaufführung historischer Ereignisse. Dennoch sind einige der allgemeinen Probleme, mit denen der Bolschewismus konfrontiert war, nicht spezifisch für die Gesellschaft, in der sie entstanden, sondern wurzeln in den gesellschaftlichen Verhältnissen des Kapitalismus und den Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse, die in diesem System kämpft. Dazu zählen das ungleiche Bewusstsein innerhalb der Arbeiter:innenklasse, das Potenzial, es mit einem stark zentralisierten kapitalistischen Staat aufzunehmen, die Notwendigkeit, für Reformen zu kämpfen, ohne dem Reformismus zu erliegen, und die Beziehung zwischen der Ausbeutung der Arbeiter:innen und allgemeineren Formen der Unterdrückung.[5]
Wesentlich für Lenins Ansatz ist die Vorstellung, dass die Partei außerhalb revolutionärer Aufstände nicht die Organisation der arbeitenden Klasse als Ganzes ist und auch nicht das typische oder durchschnittliche Bewusstsein der Arbeiterinnen und Arbeiter widerspiegeln sollte. Vielmehr ist sie die Organisation der fortschrittlichsten Arbeiter:innen, die mit dem kapitalistischen Weltbild gebrochen haben und dieses System stürzen wollen. Durch den Zusammenschluss solcher Arbeiter:innen kann die Partei wirksamer in die Kämpfe eingreifen, die Kampfbereitschaft und das Selbstvertrauen der arbeitenden Klasse stärken, revolutionäre Weltanschauungen tiefer verankern und weitere Schichten von Arbeiterinnen und Arbeitern in die Organisation einbeziehen. In einer revolutionären Situation kann der Tümpel der „fortgeschrittenen“ Arbeiter:innen zu einem Ozean anwachsen, der es der Partei ermöglicht, die Energien und die Macht der Masse der Arbeiter:innen zu bündeln, um den kapitalistischen Staat anzugreifen, ihn zu zerschlagen und durch demokratische Organe der Arbeiter:innenherrschaft zu ersetzen. Eine solche Partei kann sich auf ein Theoriegebäude ausgehend von Karl Marx’ Verständnis des Kapitalismus stützen und es weiterentwickeln. Dieses Verständnis wurzelt in dem Potenzial für die Selbstbefreiung der Arbeiter:innenklasse und zielt darauf ab, die historischen Lehren aus den Kämpfen der Arbeiter:innen zu bündeln und anzuwenden.[6]
Diese kurze Darstellung des Verhältnisses zwischen Partei und Klasse soll nicht bedeuten, dass es sich um eine einfache mechanische Wechselwirkung zwischen beidem handelt. Ein Preis, der für die stalinistische Konterrevolution Ende der 1920er Jahren gezahlt wurde, war die Erfindung des Mythos eines monolithischen „Leninismus“, der die Arbeiter zu ihrem unvermeidlichen Sieg führte.[7]Die Realität sah ganz anders aus.
Die Arbeiterbolschewiki von 1917
Als die Revolution im Februar 1917 in Russland ausbrach, blieben die meisten führenden Marxisten und Marxistinnen im Ausland im Exil.[8] Ein Großteil der lokalen bolschewistischen Führung in der Hauptstadt Petersburg wurde verhaftet, und die führenden Köpfe, die in Freiheit blieben, waren durch den plötzlichen Ausbruch der Revolte gelähmt.[9] Dennoch war der Aufstand nicht spontan in dem Sinne, dass er völlig führerlos gewesen wäre: Eine beträchtliche Schicht militanter Arbeiter, die oft durch eine revolutionäre sozialistische Schulung gestählt worden waren, gab vor Ort die Richtung an.[10]Bolschewistische Kader aus der arbeitenden Klasse gehörten zu denen, die zum Zusammenbruch des Staatsapparats beitrugen und den Sturz der zaristischen Diktatur ermöglichten.[11] Leo Trotzki gibt in seiner „Geschichte der Russischen Revolution“ ein Beispiel dafür:
Der Arbeiterbolschewik Kajurow, einer der echten Führer in jenen Tagen, erzählt, wie die Demonstranten an einem Platz, dicht bei einer Kosakenstreife, vor den Nagajkas der berittenen Polizei auseinanderliefen und wie er, Kajurow, und noch einige Arbeiter, den Flüchtenden nicht folgten, sondern die Hüte zogen und an die Kosaken mit den Worten herantraten: „Brüder Kosaken, helft den Arbeitern im Kampfe um ihre friedlichen Forderungen, ihr seht, wie die Pharaonen [die zaristische Polizei; d. Ü.] mit uns hungernden Arbeitern verfahren. Helft uns!“ Dieser bedacht demütige Ton, diese Hüte in den Händen – welch feine psychologische Berechnung, welch unnachahmliche Geste! Jede Geschichte der Straßenkämpfe und revolutionären Siege ist voll solcher Improvisationen. […] Nach einigen Minuten hob die Menge am Bahnhofstor einen Kosaken auf ihren Händen hoch, der vor ihren Augen mit dem Säbel einen Polizeibeamten niedergehackt hatte.“[12]
Personen wie Kajurow, Arbeiter in der Erikson-Fabrik in Petersburg und Bolschewik seit Gründung der Organisation im Jahr 1903, „kontrollierten täglich die Revolution auf der Straße“.[13] Trotzki beantwortet seine rhetorische Frage „Wer leitete den Februaraufstand?“ mit der Antwort: „[…] die aufgeklärten und gestählten Arbeiter, die hauptsächlich von der Partei Lenins erzogen worden waren.“ Diese Erziehung beruhte auf einem Verständnis der „Methoden des Marxismus“, das „sich dauernd von der lebendigen Erfahrung der Massen nährte“, einschließlich der Lehren aus der früheren Revolution von 1905.[14] Dies war zwar keine Garantie für den Sieg, aber ohne den Bolschewismus wäre die Vollendung der Revolution im Oktober 1917 mit der Auflösung der nach dem Februar entstandenen Provisorischen Regierung und ihrer Ersetzung durch eine Sowjetdemokratie, die durch die Kämpfe der Arbeiter:innen und Unterdrückten von unten aufgebaut wurde, unmöglich gewesen. Dennoch war dies ein Sieg, der von einer lebendigen Tradition getragen wurde, in der Lenin und Trotzki, der sich 1917 den Bolschewiki anschloss, in einem ständigen kreativen Dialog mit den Arbeiterinnen und Arbeitern standen, die den revolutionären Prozess anführten.
In den Jahren vor 1917 betonte Lenin wiederholt, dass die Bolschewiki eine zentralisierte Organisation sein müssten, die in der Lage sei, geschlossen zu handeln und Arbeitskämpfe anzuführen. Dies war eine wesentliche Voraussetzung für den Triumph im Oktober 1917, als die Bolschewiki in den wichtigsten Industriezentren entscheidendes Gewicht erlangten und die Mehrheit in der Schlüsselstadt Petersburg gewannen.[15] Die stalinistische Karikatur einer effizienten, monolithischen Maschine war jedoch stark übertrieben. Die Realität bestand aus einem schlecht finanzierten und unterbesetzten Parteiapparat, periodischer Unterdrückung, die die Organisation zerrüttete, kombiniert mit einem massiven Zustrom von relativ unausgebildeten Neumitgliedern im Jahr 1917, ganz zu schweigen von intensiven, manchmal chaotischen Debatten.[16] Dazu gehörte auch, dass Lenin in der Hitze der Revolution seine eigene Organisation von ihrer bisherigen Orthodoxie abbringen musste, wonach die Revolution sich auf „demokratische“ Aufgaben beschränken würde, anstatt in eine soziale Revolution gegen den Kapitalismus überzugehen.[17] Wie Trotzki später schreiben sollte, konnte Lenin diesen Kampf erfolgreich führen, weil:
[…] er nicht so sehr den Parteiapparat vertrat, sondern die Vorhut des Proletariats. Er war […] überzeugt davon, dass Tausende von Arbeitern […] ihn jetzt unterstützen würden. Die Massen waren in diesem Moment revolutionärer als die Partei, und die Partei war revolutionärer als ihr Apparat. […] Lenin übte seinen Einfluss nicht so sehr als Individuum aus, sondern weil er den Einfluss der Klasse auf die Partei und der Partei auf ihren Apparat verkörperte.[18]
Lenin war jedoch eine Einzelperson. Hätte er nicht eine beträchtliche Anzahl von bolschewistischen Kadern gehabt, die seine Argumente verstanden und sie an den Absichten und der Kampfbereitschaft der Arbeiter, mit denen sie in Verbindung standen, messen und darauf reagieren konnten, wäre diese Gelegenheit verpasst worden. Tony Cliff meint, dass trotz des enormen Wandels und der Instabilität „die Tatsache, dass […] die Partei mit all ihrer Kraft überlebt hat, ist zurückzuführen auf ihre tiefe Verankerung in der Klasse, weil sie eine echte Massenpartei der Arbeiter war. […] Für eine Partei, die unter illegalen Bedingungen in einem Land arbeitete, wo das Industrieproletariat nur etwa 2,5 Millionen zählte, ist eine Kaderorganisation von mehreren Tausenden, die viele Jahre überlebte, eine bemerkenswerte Leistung.“[19] Wie Trotzki feststellt, können Parteien während eines revolutionären Aufschwungs zwar schnell wachsen, aber „der Erziehungsprozess der Kader (nimmt) eine beträchtliche Zeit in Anspruch, und die Revolution (gewährt) diese Zeit nicht“.[20] Die Gründung einer Partei ist kein Ersatz für die Selbsttätigkeit der Massen, aber ohne die vorherige Schaffung einer Kaderpartei wird es keiner Revolution gelingen, reformistische Vorstellungen zu verdrängen oder den kapitalistischen Staat herauszufordern und zu brechen.
Kaderbildung im Kontext
Lenin schreibt im Vorfeld des Jahres 1917 wiederholt über das Problem der Entwicklung eines Kaders. Eine Herausforderung bei der Lektüre dieser Schriften besteht darin, das Spezifische vom Allgemeinen zu unterscheiden. Fast alles, was Lenin schrieb, war polemisch und spiegelte konkrete Diskussionen innerhalb der sozialistischen Bewegung wider. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen.
Vor der Revolution von 1905 legte Lenin in Werken wie „Was tun?“ den Schwerpunkt auf den Aufbau eines zusammenhängenden Netzes von „Berufsrevolutionären“, die durch eine nationale Zeitung miteinander verbunden und in der Lage waren, Dilettantismus zu vermeiden, der es dem Polizeiapparat erlaubt hatte, frühere Bemühungen zu untergraben. Lenin bestand darauf, dass die Revolutionäre über die engeren wirtschaftlichen Kämpfe der Arbeiter, die er als Ökonomismus bezeichnete, hinausgehen und umfassendere politische Fragen der Unterdrückung aufgreifen müssten, mit denen sich die kämpferischsten russischen Arbeiter bereits zu beschäftigen begannen.[21] Lenin verband dies mit der Notwendigkeit einer klaren Theorie: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben. Dieser Gedanke kann nicht genügend betont werden in einer Zeit, in der die zur Mode gewordene Predigt des Opportunismus sich mit der Begeisterung für die engsten Formen der praktischen Tätigkeit paart.“[22] Er fährt fort:
Schlaff und schwankend in theoretischen Fragen, mit engem Horizont, seine Schlaffheit mit der Spontaneität der Massen rechtfertigend, eher dem Sekretär einer Trade-Union ähnlich als einem Volkstribun, unfähig, einen umfassenden und kühnen Plan aufzustellen, der auch den Gegnern Achtung abzwänge, unerfahren und ungeschickt in seiner beruflichen Kunst – im Kampf gegen die politische Polizei –, aber erlauben Sie! das ist doch kein Revolutionär, sondern ein kläglicher Handwerkler.[23]
Dem Lenin dieser Zeit wird oft vorgeworfen, er habe versucht, eine Partei aus der Schicht der Intelligenz zu schaffen, sich auf Gruppen wie Studierende zu stützen und die Initiative der Arbeiter selbst zu ignorieren. Die Realität sieht ganz anders aus. Zum einen sollte die von ihm vorgeschlagene Organisation der Revolutionäre und Revolutionärinnen im Zentrum eines viel umfassenderen Netzwerks von Arbeiter:innen stehen, die die Triebkraft des Kampfes sein würden.[24] Außerdem war er sich über die Notwendigkeit im Klaren, seine Berufsrevolutionäre aus den Reihen der Arbeiter zu rekrutieren.[25] Er verurteilte jede Herablassung gegenüber den Arbeitern in dieser Frage:
Diese Tatsache zeugt davon, daß es unsere allererste, allerdringendste Pflicht und Schuldigkeit ist, die Heranbildung von Revolutionären aus der Arbeiterschaft zu fördern, die hinsichtlich der Parteitätigkeit auf demselben Niveau stehen wie die Revolutionäre aus den Kreisen der Intellektuellen […]. Darum muß das Augenmerk vornehmlich darauf gerichtet sein, die Arbeiter auf das Niveau von Revolutionären zu heben, keineswegs aber darauf, sich selbst unbedingt auf das Niveau der „Arbeitermasse“ hinabzubegeben, wie es die „Ökonomisten“ wollen, oder auf das der „Durchschnittsarbeiter“ […].
Das geschieht gar nicht „notgedrungen“, sondern infolge unserer Rückständigkeit, weil wir es nicht als unsere Pflicht erkennen, jedem hervorragend befähigten Arbeiter zu helfen, Berufsagitator, Berufsorganisator, Berufspropagandist, Berufskurier usw. usf. zu werden. […] Darum sind sie sofort bemüht, für jeden begabten Arbeiter Verhältnisse zu schaffen, unter denen seine Fähigkeiten zu voller Entfaltung gelangen und restlose Verwendung finden: man macht ihn zum Berufsagitator, man veranlaßt ihn, sein Arbeitsfeld zu erweitern, es von einer Fabrik auf das ganze Gewerbe, von einem Ort auf das ganze Land auszudehnen. Er erwirbt Übung und Geschicklichkeit in seinem Beruf, er erweitert seinen Gesichtskreis und seine Kenntnisse, er hat Gelegenheit, hervorragende politische Führer anderer Gegenden und anderer Parteien aus unmittelbarer Nähe zu beobachten, er bemüht sich, das gleiche Niveau zu erreichen sowie Kenntnis des Arbeitermilieus und Frische der sozialistischen Überzeugung mit der beruflichen Schulung in sich zu vereinigen, ohne die das Proletariat den hartnäckigen Kampf gegen die ausgezeichnet geschulten Reihen seiner Feinde nicht führen kann.[26]
Lenin gelang es, ein Netzwerk zu schaffen, das sich auf seine bolschewistischen „Komiteeleute“ stützte – mutige Revolutionäre mit tadellosem Charakter, die geheime Treffen organisierten, unter den Arbeitern agitierten, Straßendemonstrationen koordinierten und die oft Gefängnis oder Deportation erwartete. Mit dem Ausbruch der Revolution im Jahr 1905 hinkten jedoch viele dieser in den Methoden der früheren Kampfphase geschulten Komiteemitglieder den neu erwachten Massen hinterher. Lenin versuchte nun, die fortschrittlichsten Elemente der arbeitenden Klasse in die Organisation zu holen, um jeglichen internen Konservatismus zu überwinden. Die Zeit der konspirativen Methoden und der Geheimniskrämerei war vorbei:
Man muß den Bestand aller Parteiorganisationen und aller der Partei nahestehenden Organisationen stark erweitern, um mit dem hundertfach stärker gewordenen Strom der revolutionären Energie des Volkes auch nur einigermaßen Schritt halten zu können. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß man die ständige Ausbildung und systematische Unterweisung in den Erkenntnissen des Marxismus zurücktreten lassen soll. […] Man darf nicht vergessen, daß unsere „doktrinäre“ Treue zum Marxismus jetzt dadurch bekräftigt wird, daß der Gang der revolutionären Ereignisse überall der Masse Anschauungsunterricht erteilt […]. Wir sprechen also nicht von einem Verzicht auf das Dogma, nicht von einem Nachlassen unseres mißtrauischen und argwöhnischen Verhaltens zu den verschwommenen Intelligenzlern und den revolutionären Hohlköpfen; ganz im Gegenteil. […] Wir sprechen davon, wie wichtig es jetzt ist, die anschaulichen Lehren der großen revolutionären Ereignisse auszunutzen, um nicht mehr Zirkeln, sondern den Massen unsere alten „dogmatischen“ Lehren zu vermitteln […].[27]
Lenins Zuversicht, dass der Bolschewismus nicht einfach in einem Zustrom neu radikalisierter Arbeiter untergehen würde, wurzelte in der Überzeugung, dass die Revolution die Richtigkeit der bolschewistischen Theorie bewies, die in der Organisation verankert war, dass die Arbeiter „handeln und die triste Theorie in lebendige Wirklichkeit verwandeln würden“.[28] Die besten der vorhandenen Kader konnten durch Argumente, Erfahrung und den Druck der Massen für die neue Perspektive gewonnen werden.
Angesichts der erfolgreichen Konterrevolution wendeten sich 1908 einige von sozialistischer Politik ab. Lenin stellt fest, dass zwar die Mitglieder der Intelligenz, für die der Marxismus in den berauschenden Tagen der Revolte in Mode gewesen war, in Scharen abwanderten, wichtige Teile der arbeitenden Klasse aber blieben: „Die Partei hat den geraden Weg der Führung der Arbeitermassen durch fortgeschrittene ,Intellektuelleʻ aus der Arbeiterschaft selbst bereits eingeschlagen.“[29] Später im selben Jahr schrieb er:
Die Revolution hat so tiefe Schichten des Volkes zum politischen Leben erweckt, hat so viele zufällige Elemente, so viele „Eintagsritter“, so viele Neulinge an die Oberfläche gespült, daß bei sehr vielen von ihnen ganz unvermeidlich war, daß ihnen jegliche in sich geschlossene Weltanschauung fehlte. Wenige Monate fieberhafter Erregung genügen nicht, um sich zu einer solchen Weltanschauung durchzuringen […]. Daher ist eine erneute Aussonderung der Spreu vom Weizen unter den von der Revolution aufgerüttelten neuen Schichten, den neuen Gruppen, den neuen Revolutionären absolut unvermeidlich […]. […]
Im Interesse dieser erneuten Aussonderung bedarf es einer intensiven theoretischen Arbeit. Die „gegenwärtige Lage“ in Rußland ist derart, daß die marxistische theoretische Arbeit, ihre Vertiefung und Erweiterung nicht von der Stimmung irgendwelcher Personen, nicht von dem Eifer einzelner Gruppen, ja auch nicht von den äußeren Verhältnissen des polizeilichen Drucks, die viele von der „Praxis“ fernhalten, diktiert ist, sondern von der ganzen objektiven Lage der Dinge im Lande. Zu einer Zeit, da die Massen die neuen, überaus reichen Erfahrungen des unmittelbar revolutionären Kampfes innerlich verarbeiten, wird der theoretische Kampf für die revolutionäre Weltanschauung, d. h. für den revolutionären Marxismus, zur Losung des Tages.[30]
Ein Jahr später kam er darauf zurück und forderte die „Umerziehung“ derjenigen, die „in den Tagen der Freiheit“ zur Organisation gestoßen waren:
Ein Teil dieser Elemente ist nach und nach in die proletarische Arbeit einbezogen worden und hat sich die marxistische Weltanschauung angeeignet. Ein anderer Teil hat bloß ein paar Parolen gelernt, ohne sie sich zu eigen zu machen, wiederholt die alten Schlagworte und versteht es nicht, die alten Prinzipien der revolutionären sozialdemokratischen Taktik auf die veränderten Bedingungen anzuwenden.[31]
Welche Art von Kader?
Die Geschichte des Bolschewismus und die frühe Geschichte der Komintern oder der Dritten Internationale unter Führern wie Lenin und Trotzki, die Elemente der russischen Erfahrung im Ausland zu verallgemeinern versuchten, liefern uns eine Fülle von Material zum Problem des Aufbaus eines Kaders in verschiedenen Situationen.[32] Es blieb jedoch anderen überlassen, die Lehren in einen größeren theoretischen Rahmen zu überführen. Ich werde mich hier auf die Erkenntnisse zweier anderer Marxisten konzentrieren. Die des Ungarn Georg Lukács, insbesondere auf sein 1924 erschienenes Werk „Lenin: Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken“ und die des Italieners Antonio Gramsci, bei dem ich mich auf die in einem der Gefängnisse von Benito Mussolini verfassten Gefängnishefte konzentriere. Zunächst muss jedoch das Erbe Trotzkis bewertet werden, wie es sich entwickelte, nachdem er 1917 für den Bolschewismus gewonnen worden war.
Trotzkis doppeltes Erbe
Nach der stalinistischen Konterrevolution Ende der 1920er Jahren spielte Trotzki eine entscheidende Rolle, indem er die besten Elemente des Bolschewismus reflektierte und gegen eine Masse von Mythen und Entstellungen bewahrte. Ohne seine Bemühungen hätte nur wenig von dieser Tradition unbeschädigt überleben können. Doch kein noch so brillanter Mensch kann sich vollständig über die sozialen und historischen Kräfte erheben, mit denen er zu kämpfen hat. Die extreme Isolation und Unterdrückung, die Trotzki und seine Anhänger erleiden mussten – sowohl durch diejenigen, die mit dem westlichen Kapitalismus verbündet waren, als auch durch den stalinistischen Staatskapitalismus –, führte zu einem doppelten Vermächtnis. Auf der einen Seite gab es weiterhin geniale Schriften und immer wieder inspirierende Ideen, auf der anderen Seite Gruppen von dogmatischen Anhängern, die in der Regel nur am Rande mit der arbeitenden Klasse zu tun hatten und in der Nachkriegszeit oft dazu übergingen, die angebliche Bedeutung ihrer Organisationen im direkten Verhältnis zu ihrer Ohnmacht aufzublähen.[33]
In den 1930er Jahren verkündete Trotzki, wie Cliff hervorhob, wiederholt, dass seine Anhängerschaft stärker und zahlreicher sei als die Lenins bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs.[34] Doch solche Vergleiche waren nicht glaubwürdig. Im Jahr 1912 entsandten die Bolschewiki sechs Abgeordnete in das zaristische Parlament, die Duma, aus Wahlkreisen mit einer hohen Konzentration von Industriearbeitern. Die bolschewistische Tageszeitung Prawda hatte eine Auflage von 40.000 bis 60.000 Exemplaren, und das angesichts scharfer Repressionen. Im Jahr 1914 spendeten 2.873 Arbeitergruppen in Russland Geld an die Zeitung.[35] Die Kräfte, die Trotzki mobilisieren konnte, waren weitaus schwächer, über verschiedene Länder verstreut und hatten keine nennenswerte Verankerung in der arbeitenden Klasse. Trotzdem rief Trotzki 1938 seine Vierte Internationale aus als Versuch, die Kluft zwischen den Erfordernissen der Lage – nicht zuletzt des Aufstiegs des Faschismus in einer kolossalen gesellschaftlichen Krise und des drohenden Weltkriegs – und der schmalen Basis des Trotzkismus zu überbrücken.
Kaderbildung und der Aufbau einer Führung ist eine gute Idee, aber jede gute Idee, die in unlogische Extreme getrieben wird, ohne eine genaue Beurteilung des gesellschaftlichen Kontextes, führt zu Absurditäten. Trotzki würde sagen: „Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats.“[36] Doch die in der Vierten Internationale versammelten Kräfte waren nicht in der Lage, diese Führung zu übernehmen. Trotzkis Schriften aus den 1930er Jahren sind voll von Aufrufen zur „Auswahl“ und „Erziehung“ von Kadern.[37] Doch „Erziehung“ ohne enge Verbindung zu den tatsächlichen Kämpfen der Arbeiter:innen kann keine Kader hervorbringen, die Theorie und Praxis synthetisieren oder der arbeitenden Klasse eine Richtung geben können, die über Allgemeinplätze hinausgeht.[38]
Schlimmer noch: Trotzkis kurzfristige Prognose, wonach sich das kapitalistische System im Todeskampf befände und sowohl der westliche Kapitalismus als auch die stalinistische Bürokratie am Rande des Zusammenbruchs stünde, war in dem langen Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg einfach nicht glaubwürdig. Wäre Trotzki 1940 nicht von einem stalinistischen Agenten ermordet worden, hätte er sein Urteil vielleicht revidiert – ohne ihn erstarrte seine Prognose tendenziell in einem orthodoxen Trotzkismus, der wenig von Trotzkis Brillanz bewahrte.[39]
Lukácsʼ Lenin
Eines der ersten großen Werke, in dem systematisch untersucht wurde, was Lenin zur marxistischen Konzeption der Partei beigetragen hat, war Lukácsʼ Darstellung, die 1924, im Todesjahr Lenins, veröffentlicht wurde.
Das Genie Lenins, so Lukács, bestand darin, die sich oft unter der Oberfläche vollziehenden Tendenzen zur proletarischen Revolution zu erkennen, die marxistische Theorie als Ausdruck des „gesellschaftlichen Seins“ eines „um Befreiung ringenden Proletariats“ heranzuziehen und sie auf die Probleme seiner Zeit anzuwenden.[40] Das bedeutete, dass Lenin das, was Lukács die „Aktualität der Revolution“ nannte, in den Mittelpunkt seines Denkens stellte, damit „jede einzelne Tagesfrage im konkreten Zusammenhange des gesellschaftlich-geschichtlichen Ganzen“ behandelt wird mit Blick auf das Potenzial zur Revolution.[41] Während der Bolschewismus bei der Entwicklung spezifischer Taktiken zur Förderung dieses oder jenes Kampfgebiets enorm flexibel war, ordnete Lenin seine Taktik konsequent einer umfassenderen revolutionären Strategie unter mit einer „Kombination aus Taktiken, die durch ihre Verbindung und ihre Ausdehnung zur Eroberung der Macht durch die arbeitende Klasse führen“.[42] Die bolschewistische taktische Flexibilität unterschied sich von der prinzipienlosen Flexibilität und dem Opportunismus der reformistischen Parteien, für die die Taktik ein Selbstzweck war. Wie Rosa Luxemburg erklärte, besteht für Marxisten:innen „zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein unzertrennlicher Zusammenhang“, während für Reformisten das „Endziel, was es immer sei“, nichts ist, die Bewegung „alles“.[43]
Lenins revolutionärer Ansatz bestand darin, alle Kräfte des Marxismus auf die anstehenden Fragen anzuwenden, und die Theorie zu nutzen, um „die Wirklichkeit des Gesamtprozesses, das Ganze der gesellschaftlichen Entwicklung“ zu erfassen und diese „theoretische Einsicht radikal in Praxis“ umzusetzen.[44] Wie Lukács sagt, steht „die konkrete Analyse der konkreten Lage nicht im Gegensatz zur ,reinenʻ Theorie, sondern ist im Gegenteil der Gipfelpunkt jeder wahren Theorie, wo die Theorie wirklich erfüllt ist, wo diese […] in Praxis durchbricht“.[45] Dies war das genaue Gegenteil von Dogmatismus und der Wiederholung ewiger Wahrheiten. Wie Lenin selbst sagte, als er im April 1917 versuchte, die Vorstellungen seiner eigenen Organisation zu ändern:
„Unsere Theorie ist kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln“ – das betonten Marx und Engels ständig, wobei sie sich mit volle Recht über das Einochsen und einfache Wiederholen von „Formeln“ lustig machten, die bestenfalls nur geeignet sind, die allgemeinen Aufgaben vorzuzeichnen, die durch die konkrete ökonomische und politische Situation in jedem besonderen Zeitabschnitt des geschichtlichen Prozesses zwangsläufig modifiziert werden.[46]
Lukács meint ähnlich: „Die beste theoretische Schulung, wenn sie im Allgemeinen steckenbleibt, nützt hier gar nichts.“[47] Die Partei müsse sowohl über „theoretische Klarheit und Festigkeit“ verfügen, um ihre Prinzipien beizubehalten, wenn die Arbeiterschaft zögert, selbst wenn die Revolutionäre eine „vorübergehende Isolierung“ riskieren, als auch über Flexibilität, um von den Kämpfen der Massen zu lernen, um in ihnen „die den Massen selbst unbewußt gebliebenen revolutionären Möglichkeiten herauszulesen“.[48]
Bei Lukács wird deutlich, dass die Herausforderungen, denen sich die in einer Organisation versammelten Revolutionäre gegenübersehen, enorm, ja sogar beängstigend sein können. Die Partei und die Mitglieder, aus denen sie sich zusammensetzt, sollten danach streben, sich den Marxismus in größter Breite und Vollständigkeit anzueignen, ihn auf die konkrete Analyse der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit auszurichten und so die Praxis zu anzuleiten, während sie gleichzeitig die Lehren zur Weiterentwicklung der Theorie aufnehmen. In diesem Sinne schrieb Lukács an anderer Stelle: „Denn die Organisation ist die Form der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis.“[49]
Lukácsʼ Verständnis von Lenin und dem Bolschewismus stößt jedoch an Grenzen. Bisweilen betont er die Homogenität oder den Zusammenhalt der Partei zu stark, wobei er das Modell einer zentralisierten, disziplinierten Organisation nicht mit der oft chaotischeren Realität in Bezug setzt. Wie bereits erwähnt, hielten sich die Bolschewiki sicherlich nicht immer an die „strengste Parteidisziplin“, die Lukács vorschwebt.[50] In Schlüsselmomenten, wie 1905 und Anfang 1917, war die Partei sicherlich nicht immer „den kämpfenden Massen um einen Schritt voran“, wie er meint.[51] Es besteht auch die Gefahr, die Partei als das zur „sichtbaren Gestalt gewordene Klassenbewußtsein des Proletariats“ anzusehen, da jede Partei aus sehr fehlbaren Menschen besteht.[52] In seiner Studie über Lenin erwähnt Lukács kurz, dass jede Partei von Individuen aufgebaut wird und die Schaffung einer effektiven Partei ein Prozess ist, in dem die sich „fruchtbare Wechselwirkung zwischen Partei und Klasse wiederholt – freilich verändert – in der Beziehung der Partei zu ihren Mitgliedern“.[53] Mehr sagt er jedoch nicht dazu.
Gramsci und der organische Intellektuelle
Bei Gramsci finden wir eine umfassendere Einsicht in die Art von Revolutionären, aus denen eine effektive revolutionäre Partei geschmiedet werden kann.[54] Ein Schlüsselbegriff ist hier der des „organischen Intellektuellen“. Die Gefängnishefte, in denen dieses und andere Konzepte zu finden sind, wurden unter den Augen von Gramscis faschistischen Gefängniswärtern geschrieben. Das Werk bedient sich daher einer verschlüsselten und eher unzugänglichen Sprache, die die Diskussionen über die Probleme revolutionären Sozialisten:innen oft als allgemeine Überlegungen zu übergreifenden sozialen, historischen und kulturellen Themen tarnt. Die Diskussion über die organischen Intellektuellen bildet hier keine Ausnahme.
Bis zu einem gewissen Grad, so sagt Gramsci, sind alle Menschen „Intellektuelle“: Selbst die gröbsten Formen manueller Arbeit beinhalten ein gewisses Maß an „kreativer intellektueller Aktivität“, und jeder Mensch ist Träger einer Form geistiger Einstellungen, die zur Aufrechterhaltung oder Veränderung von Weltanschauungen beitragen.[55] Eine soziale Klasse, die danach strebt, die Gesellschaft zu leiten – etwa die aufstrebende Klasse der Kapitalisten in vorkapitalistischen Gesellschaften oder die arbeitende Klasse heute –, muss darüber hinausgehen und Persönlichkeiten hervorbringen, die ihrer Klasse „Homogenität und ein Bewusstsein für ihre eigene Funktion nicht nur im wirtschaftlichen, sondern auch im sozialen und politischen Bereich“ verleihen.[56] Dies kann die Assimilierung „traditioneller Intellektueller“ beinhalten, erfordert aber auch die Schaffung organischer Intellektueller, die aus der Klasse, aus der sie stammen, hervorgehen, aber mit ihr verbunden bleiben.[57]
Im Falle der arbeitenden Klasse ist es notwendig, so Gramsci, „unablässig daran zu arbeiten, das intellektuelle Niveau […] des […] Massenelements […] zu heben, […] Intellektuelle eines neuen Typs hervorzurufen, die direkt aus der Masse hervorgehen und gleichwohl in Kontakt bleiben, um ,Korsettstangen‘ derselben zu werden“.[58] Gramsci fügt hinzu: „Dass alle Mitglieder einer politischen Partei als Intellektuelle angesehen werden sollen, […] kann leicht zu Spott verleiten. […] Aber […] nichts könnte zutreffender sein.“ Parteien mögen zwar ihre eigene interne Struktur, ihre eigenen Führungsebenen haben, aber die Mitglieder haben eine „richtunggebende und organisatorische“ Funktion.[59]
Bei der Entwicklung organischer Intellektueller geht es nicht darum, die Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Kämpfen herauszuholen und sie in die Bibliothek zu schicken, wo sie abgekoppelt von Aktivitäten über Büchern nachdenken. Die Grenzen dieses Ansatzes der Kaderbildung waren schon zu Gramscis Zeiten bekannt. Schon früh in seiner Laufbahn, einige Jahre vor der Entwicklung des Bolschewismus, hatte Lenin wie die meisten russischen Marxisten versucht, Studiengruppen unter den Arbeitern zu bilden. Laut einem Bericht eines Arbeiters, der an einer solchen Gruppe teilnahm, wurde ihnen mitgeteilt, dass sie „fähig sein müssten, den Ursprung des Universums und den Ursprung der Arten zu erklären, und sich deshalb die Theorien von Kant, Laplace, Darwin und Lyell aneignen müssten“. Lenin selbst trug Passagen aus Marx’ „Kapital“ vor und erklärte es den Arbeitern, was, wie seine Studenten später zugaben, eine gewisse Herausforderung darstellte. Neil Harding bemerkt dazu: „Das Unverständnis war erwartbar groß. Dies war […] der erste Kontakt eines 23-jährigen Intellektuellen mit den Arbeitern in einem Land, in dem die Kluft zwischen diesen beiden Schichten größer war als sonstwo in Europa“.[60] Obwohl die Treffen Lenin sicherlich eine rudimentäre Bildung über die Bedingungen der Arbeiter verschafften, neigte der didaktische Ansatz, sofern er überhaupt erfolgreich war, dazu, die Arbeiter anzuregen, sich durch ihr Studium von ihren Kollegen zu unterscheiden.
Anstatt das abstrakte, von der Tätigkeit losgelöste Lernen aus Büchern zu betonen, unterstreicht Gramsci wie Lukács die Notwendigkeit, Theorie und Praxis zu vereinen. Es geht darum, „die allgemeine praktische Tätigkeit, die die physische und soziale Welt ständig erneuert, zur Grundlage einer neuen und ganzheitlichen Auffassung der Welt zu machen“.[61] Er fügt hinzu: „Die Seinsweise des neuen Intellektuellen kann nicht mehr in der Beredsamkeit bestehen, die ein äußerer und momentaner Beweger von Gefühlen und Leidenschaften ist, sondern in der aktiven Teilnahme am praktischen Leben, als Konstrukteur, Organisator, ,ständiger Überzeuger‘ und nicht nur als einfacher Redner“.[62] Das bedeutet, sich stets die Frage Lenins zu stellen und zu versuchen, sie zu beantworten: „Was tun?“[63] Das Ziel ist, dass die organischen Intellektuellen, die in einer Partei zusammengeschlossen sind, den Menschen um sie herum Führung und Orientierung bieten und gleichzeitig gemeinsam über diese Tätigkeit nachdenken. Dies erfordert, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen zu „qualifizierten politischen Intellektuellen, Führern und Organisatoren“ aller relevanten „Aktivitäten und Funktionen“ im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich werden müssen.
Es ist jedoch notwendig, ein gründliches theoretisches Verständnis des Marxismus zu entwickeln, das über das bloße Lernen aus der Erfahrung hinausgeht.[64] In dieser Hinsicht beschreibt Gramsci eine revolutionär-sozialistische Organisation als die „Antithese der katholischen Kirche“, die versucht, das intellektuelle Niveau auf ein gemeinsames Dogma zu herabzusenken. Der Marxismus hingegen lehnt es ab, „die ,einfachen‘ Menschen ihrer primitiven Philosophie des gesunden Menschenverstands zu überlassen“. Stattdessen besteht er darauf, „den intellektuellen Fortschritt der Masse, nicht nur kleiner intellektueller Gruppen, politisch zu ermöglichen“.[65] Das bedeutet nicht, dass jedes Mitglied einer revolutionären Partei sofort die Antwort auf jede Frage wissen muss. Aber zumindest müssen sie, wenn sie einem Ideologen des Kapitalismus begegnen, darauf vertrauen können, dass in ihrer Gruppe organischer Intellektueller mit einer gemeinsamen Weltanschauung jemand selbstbewusst „besser argumentieren“ kann.[66] Das wiederum erfordert eine Kultur, in der regelmäßig rigorose theoretische Diskussionen stattfinden, in denen gängige Ideen in ihren alltäglichen Erscheinungsformen, aber auch in der selteneren Form, wie sie von traditionellen Intellektuellen unterbreitet werden, hinterfragt und angefochten werden.
Die Rolle der revolutionären Parteien besteht also darin, „fähige Führer auszubilden“; eine Partei „wählt, entwickelt und vermehrt die Führer, die notwendig sind, wenn eine bestimmte soziale Gruppe […] aus dem turbulenten Chaos in eine organisch vorbereitete politische Armee verwandelt werden soll“.[67] Das bedeutet nicht, dass die Vorstellungen der revolutionären Arbeiterinnen und Arbeiter völlig von dem breiteren Bewusstsein der arbeitenden Klasse abgekoppelt sind und sie eine von der Masse der Arbeiter:innen losgelöste Avantgarde bilden. Die arbeitende Klasse kann sich, wie Gramsci betont, von revolutionären Ideen angezogen fühlen; sie besitzt einen Kern von „gesundem Menschenverstand“, der sich in „embryonaler“ Form entwickelt und „gelegentlich und blitzartig“ auftaucht, wenn „die Gruppe als organische Gesamtheit handelt“.[68] Diese embryonale Weltanschauung ist der „gesunde Kern, der im ,gesunden Menschenverstand‘ existiert, der Teil von ihm, den man ,gesunden Menschenverstand‘ nennen kann und der es verdient, einheitlicher und kohärenter zu werden“.[69] Dieses Weltbild steht jedoch in Spannung zu anderen Formen, die „oberflächlich explizit oder verbal […] aus der Vergangenheit geerbt und unkritisch übernommen wurden“.[70] Das daraus resultierende „widersprüchliche Bewusstsein“ kann zu Passivität führen, aber gerade weil die beiden Vorstellungen in Spannung zueinander stehen, sind plötzliche Veränderungen in der Aktivität der Arbeiter:innen möglich.[71] Wenn es zu Kämpfen kommt, müssen die organischen Intellektuellen, die die revolutionäre Partei bilden, versuchen, den gesunden Menschenverstand, der im Kampf zum Ausdruck kommt, herauszuarbeiten, Theorie und Praxis zu vereinen und gleichzeitig neue Arbeiter für die Organisation zu gewinnen:
Die Parteien rekrutieren Individuen aus der arbeitenden Masse, und die Auswahl erfolgt gleichzeitig nach praktischen und theoretischen Kriterien. Die Beziehung zwischen Theorie und Praxis wird umso enger, je mehr die Konzeption von grundlegender und radikaler Innovation geprägt ist.[72]
Duncan Hallas formuliert dies ähnlich in einer zugänglicheren Sprache:
Die Aufgabe von Sozialisten:innen besteht darin, ihre Theorie und ihre Ziele mit den Problemen und Erfahrungen der Kämpfenden so zu verbinden, dass eine Synthese entsteht, die sowohl eine praktische Anleitung zum Handeln als auch ein Sprungbrett für den nächsten Schritt ist. Eine solche Synthese ist in dem Maße sinnvoll, als sie die Aktivitäten der Teilnehmenden leitet und angesichts der Praxis und veränderten Umstände, die sie selbst hervorbringt, angepasst wird.[73]
Die „ständigen Überzeuger“ heute
Bei sorgfältiger Anwendung sind diese Ansätze fruchtbar, wenn es darum geht, wie wir die Kaderbildung heute angehen sollten. Es ist sicherlich so, dass die extrem unbeständige politische Lage einen effizienten Kader erfordert, der in der Lage ist, Initiative zu ergreifen und klar und wirksam auf Ereignisse zu reagieren. Erinnert sei beispielsweise an die palästinensischen Angriffe auf Israel am 7. Oktober 2023. Es war alles andere als selbstverständlich, dass Arbeiter:innen, selbst diejenigen, die mit der palästinensischen Sache sympathisieren, sofort die richtigen Schlüsse ziehen oder sich trauen würden, danach zu handeln, vor allem angesichts der vielen proisraelischen Äußerungen von etablierten Politikern und in den bürgerlichen Medien. Im Laufe der Zeit änderte sich die öffentliche Stimmung angesichts des von Israel geführten völkermörderischen Kriegs, aber es war die anfängliche Reaktion von Teilen der Linken und propalästinensischen Aktivisten, die dazu beitrug, die Bewegung in Schwung zu bringen und den Weg für Massenproteste auf den Straßen und an den Universitäten zu ebnen. In Großbritannien produzierten Gruppen wie die Socialist Workers Party (SWP) eine riesige Menge an Material, nicht zuletzt durch diese Zeitschrift, die den Angriff in einen größeren politischen Kontext stellte, die lange Unterdrückung der Palästinenser und die wahrscheinliche Antwort von Benjamin Netanjahu erklärte, die Gründe, warum der Kampf eben diese Form annimmt, die Rolle des Zionismus und des Imperialismus in der Geschichte Israels und die Notwendigkeit einer Einstaatenlösung, die durch übergreifenden Klassenkampf in der Region herbeigeführt wird.[74]
Es wäre allerdings eine armselige revolutionäre Partei, wenn die Mitglieder einfach nur darauf warten würden, dass die Zentrale ihnen erklärt, was sie denken oder wie sie reagieren sollen. Die Vorstellung von den Kadern als gehorsame Fußsoldaten, die einen von einem „großen Führer“ erdachten Plan ausführen, ist eine stalinistische Erfindung. Organische Intellektuelle von Gruppen wie der SWP benötigten ein umfassendes, unabhängiges Theorieverständnis, um die ihnen begegnenden Argumente zu widerlegen und Arbeiter:innen oder Studierende zu leiten und der Bewegung eine Richtung zu geben. Die Theorie, auf die sie sich stützten, beruhte nicht nur auf dem Verständnis der Geschichte der Region, sondern auch auf den kondensierten Erfahrungen früherer Kämpfe für Palästina, an denen Mitglieder beteiligt waren; auf einer umfassenderen Einschätzung der britischen Politik; auf der Fähigkeit, die nötige Organisationsweise und Taktiken zu erfassen, um Aktive zu mobilisieren, und so weiter. Theorie allein garantiert nicht die richtige Taktik. Politik ist komplex, unvorhersehbar und voller Ungewissheit, was das Eingreifen in Kämpfe zu einer Kunst wie auch zu einer Wissenschaft macht, aber Theorie ist wesentlich, um die allgemeinen Konturen der Lage zu definieren und so die Intervention anzuleiten.[75]
Ein wichtiger Aspekt von Führung in solchen Momenten ist die Vorgeschichte der Aktivist:innen. Wenn organische Intellektuelle, wie Gramsci sagte, die „ständigen Überzeuger“ in der arbeitenden Klasse sind, beruht ihre Fähigkeit zur Führung auf dem Vertrauen, das sie in früheren Phasen des Kampfes in Bezug auf viele andere Fragen erworben haben. Die Ausübung der Hegemonie hängt in diesem Zusammenhang nicht davon ab, dass alle Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Fragen zu 100 Prozent zustimmen. Vielmehr reicht es aus, dass einige voll und ganz überzeugt sind, während andere den Revolutionär:innen lediglich einen Vertrauensvorschuss geben – weil sie in der Vergangenheit eine gute praktische und ideologische Führung geboten haben. Hier neigen die Arbeiter:innen dazu, die Integrität von Revolutionären nicht nur danach zu beurteilen, ob sie in der Lage sind, Argumente vorzubringen, die die Stimmung in der Bevölkerung treffen, was viele reformistische Aktive routinemäßig tun, sondern auch die unbeliebten Argumente. So haben viele SWP-Kader während der Streiks von 2022/23 Arbeitskämpfe angeführt. Dabei ging es nicht nur um die Organisation und Koordinierung von Streiks, sondern auch darum, vor der Beschränkung der Gewerkschaftsbürokratie zu warnen und Funktionär:innen zu kritisieren, die nicht ausreichend wirksame Aktionen organisierten, Kämpfe unterliefen oder versuchten, Unterstützung für einen schlechten Tarifabschluss zu erhalten. Obwohl diese Positionen nicht immer und überall auf Zustimmung stießen, als sich die Streikwelle noch im Aufwind befand, wurde eine größere Zahl von Beschäftigten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen für diese Kritik empfänglich. Auch hier beruhten die Argumente nicht nur auf praktischen Erfahrungen, sondern spiegelten auch die Bemühungen wider, das Wesen der Gewerkschaften und das Verhältnis zwischen Basis und Bürokratie zu theoretisieren.[76]
Die entscheidende Bedeutung der Theorie
Obwohl Buchwissen allein nicht ausreicht, um organische Intellektuelle zu formen, bleibt eine Kultur des Lesens, der Debatte und der Diskussion auf hohem Niveau dennoch ein wesentlicher Bestandteil der Kaderbildung. Entgegen der Darstellung Lenins als machiavellistischer Person, die Theorie leichtfertig für pragmatische Ziele benutzt, hat der Bolschewismus in jeder Phase seiner Geschichte die marxistische Theorie rigoros zu entwickeln und anzuwenden versucht. Alex Callinicos schreibt:
Eine seriöse intellektuelle Biografie Lenins würde weniger seine leichtfertige Einstellung zur Theorie offenbaren als vielmehr die systematische Art und Weise, in der ihn jede bedeutende Wendung der Ereignisse dazu veranlasste, darüber nachzudenken, wie die Situation aus theoretischer Sicht am besten zu verstehen war. Vor der Revolution von 1905 bildete eine rigorose Analyse insbesondere der russischen Agrarstrukturen in „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ (1899) die theoretische Grundlage für Lenins Kritik an populistischen Hoffnungen auf einen ländlichen Sozialismus. […] Wegen der Krise, die der Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der internationalen sozialistischen Bewegung auslöste, überdachte Lenin die sozialistische Theorie und Strategie, was sich vor allem in den „Philosophischen Heften“ aufgrund der Lektüre Hegels und in „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ niederschlug. Dieser Prozess kulminierte in „Staat und Revolution“, der unvollendeten Schrift über die marxistische Staatstheorie, die er im Sommer 1917, zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution, auf der Flucht schrieb.[77]
Auch wenn nur wenige von uns das erreichen können, was Lenin auf dem Gebiet der Theorie erreicht hat, könnte nichts für die Entwicklung einer revolutionären Partei schädlicher sein als eine theoriefeindliche Atmosphäre. Sich einer groben Intellektuellenfeindlichkeit zu beugen, bedeutet, die Logik des kapitalistischen Arbeitsprozesses im Betrieb zu akzeptieren: die Trennung von Konzeption und Ausführung, wobei Erstere alleinige Angelegenheit der Kapitalisten:innen und ihrer angeheuerten Managements ist.[78] Wenn ein solcher Ansatz auf die Partei übertragen wird, überlässt er die Theorie spezialisierten „traditionellen Intellektuellen“ und durchtrennt den Faden, der Theorie und Praxis verbindet.
Theoretische Klarheit unter den Mitgliedern zu schaffen, ist für eine kleine revolutionäre Gruppe besonders wichtig, und alle echten revolutionären Parteien sind heute leider eher klein. In einem Brief von 1975 an den portugiesischen Sozialisten Bruno da Ponte verdeutlicht Cliff dies in Bezug auf die in der portugiesischen Revolution von einer linksradikalen Gruppe gegründete Vereinigte Revolutionäre Front: „Sie wird weder eine kleine scharfe, noch eine große, schwere, wenn auch stumpfe Axt sein. Mit beidem kann ein Baum gefällt werden, aber einen Baum mit einer kleinen stumpfen Axt zu fällen, ist unmöglich.“[79] Mit anderen Worten: Ohne das Gewicht einer Massenorganisation, ist es unerlässlich, den Arbeiter:innen mit einem hohen Maß an politischer Klarheit zu begegnen.
Die Betonung der Notwendigkeit des Lesens ist nicht gleichbedeutend mit der Befürwortung einer Beliebigkeit der Theorien, was einen Großteil des „akademischen Marxismus“ kennzeichnet, der abgekoppelt von der Praxis seine Ideen nur selten erprobt. Natürlich ist es notwendig, viel zu lesen und die wichtigsten Debatten der Linken nachzuvollziehen. Es war wichtig, dass Marxistinnen und Marxisten Naomi Kleins „No Logo“ Ende der 1990er Jahre, Michael Hardts und Antonio Negris „Empire“ Anfang der 2000er Jahre, Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ in den 2010er Jahren oder Andreas Malms „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ in jüngerer Zeit lasen.[80]All diese Bücher wurden von einer bedeutenden Minderheit in den Bewegungen gelesen, an denen die revolutionäre Linke teilnahm, und die darin geäußerten Ideen hatten weit mehr Einfluss auf die Diskussionen, als sie gelesen wurden. Diese Werke mussten jedoch vom Standpunkt einer klassischen marxistischen Tradition aus kritisch gelesen werden. Der klassische Charakter dieser Tradition liegt gerade in der Betonung der Möglichkeit der Selbstbefreiung der arbeitenden Klasse durch eine Revolution.[81] Das bedeutet nicht, dass die Zugehörigkeit zu dieser Tradition Marxistinnen und Marxisten von Kritik befreit – selbst der klassische Kanon ist alles andere als eindeutig, und er wird beständig weiterentwickelt. Der Kapitalismus und der Klassenkampf werfen ständig neue Situationen und Herausforderungen auf, und ohne weitere theoretische Entwicklung entsteht Dogmatismus, der letztlich die Praxis beeinträchtigt.[82] Dennoch bietet der klassische Marxismus, wenn er als lebendige und sich entwickelnde Tradition aufgefasst wird, eine Grundlage, die in der Perspektive der Selbstbefreiung der arbeitenden Klasse wurzelt und von der aus andere theoretische Ansätze bewertet werden können.
Bedauerlicherweise ist diese klassische Tradition durch eine Reihe historischer Prozesse an den Rand gedrängt worden. Dazu gehören die Auswirkungen des Stalinismus ab Ende der 1920er Jahre, die Wiederbelebung der Sozialdemokratie im wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Abschwung der Arbeitskämpfe ab Ende der 1970er Jahre. Revolutionäre Organisationen sind wichtig, um die Auseinandersetzung mit diesem klassischen Ansatz zu fördern.
Es gibt noch weitere Herausforderungen für Arbeiter:innen, die ihr Verständnis des Marxismus entwickeln wollen, selbst wenn sie einer revolutionären Organisation beigetreten sind. Zeit ist angesichts des Drucks, den der Kapitalismus auf uns ausübt, eine offensichtliche Einschränkung. Allerdings haben sich Arbeiter:innengruppen in der Vergangenheit immer dann Zeit zum Lesen genommen, wenn sie politisch engagiert und deshalb auch motiviert dazu waren. Die Lohnarbeitenden in den fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern haben heute in der Regel viel mehr verfügbare Zeit als vor 160 Jahren, als Marx’ „Kapital“ veröffentlicht wurde. Damals „trafen sich die Arbeiter der German General Labor Union of New York […] wöchentlich in der Lower East Side in einem ,niedrigen, schlecht belüfteten Raum im Tenth Ward Hotel‘, um gemeinsam das „Kapital“ zu lesen“.[83] In Großbritannien gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als etwa ein Drittel der Arbeiterschaft Analphabeten waren und die meisten anderen nur über rudimentäre Bildung verfügten, einen regen Verkauf radikaler Zeitschriften in den Arbeitervierteln, von Webern gegründete Klubs, um linksgerichtete Zeitungen zu kaufen, von Töpfern eingerichtete Leseräume, Buchhandlungen und Kaffeehäuser, in denen subversive Literatur konsumiert werden konnte, sowie Lesegruppen in kleinen Städten und Dörfern.[84] Ein noch größeres Hindernis für das Lesen als die Zeit ist die Entfremdung, unter der die Beschäftigten leiden, und die ihre potenziellen intellektuellen oder kreativen Fähigkeiten herabsetzt. Diesen Faktoren entgegenzuwirken, eine Kultur der Auseinandersetzung über Theorie aufzubauen, ist ein politisches Projekt. Sie muss bewusst erkämpft und erneuert werden. Ein Teil der Funktion von Bildungsveranstaltungen oder Tagesschulen, die von Parteien wie der SWP organisiert werden, besteht darin, über die Vermittlung eines Grundwissens über den Marxismus hinaus die Bereitschaft zur eigenständigen Lektüre und kollektiven Theoriediskussion zu wecken, und den Arbeiter:innen das Selbstvertrauen zu vermitteln, dies auszuprobieren.
Um zum Lesen anzuregen, sollte eine revolutionäre Organisation immer auch den Wert der Theorie zu beweisen versuchen. Das wird Mitgliedern eher begreiflich, wenn sie in Debatten in den Gewerkschaften oder Kampagnengruppen eingreifen, auf Ortsversammlungen der Partei oder auf größeren Bewegungsveranstaltungen sprechen usw., und vor allem, wenn diese Erfahrungen von den Parteimitgliedern kollektiv ausgewertet werden.[85] Der Verkauf sozialistischer Publikationen, sei es auf der Straße, auf Demos oder Veranstaltungen oder regelmäßig in einem betrieblichen Umfeld, hat eine ähnliche Funktion, weil Sozialist:innen dabei mit weiteren Schichten von Arbeitern und Arbeiterinnen in Kontakt kommen und ihre Ideen auf den Prüfstand gestellt werden. Roger Cox, ein ehemaliger Industriearbeiter und Aktivist der SWP und ihrer Vorgängerorganisation, der International Socialists, hat das in einem Interview in dieser Zeitschrift gut auf den Punkt gebracht:
Ich habe 15 Exemplare von Socialist Worker in meiner Betriebsabteilung verkauft […]. Ich sage jüngeren Mitgliedern oft, dass unsere Ideen sinnlos erscheinen können, weil wir sie ständig wiederholen müssen. Ich musste diese Zeitung verkaufen, was immer schwierig war. Du bist am Band auf und ab gegangen: „Socialist Worker?“, und die Leute sagten: „Um die Schwarzen und Iren zu verteidigen?“ Es war eine Qual, aber du musstest es tun. Eines Tages saß ich auf der Toilette, kackte und las den Guardian. Und da kommen ein paar Typen rein. Einer von ihnen ist ein ausgemachter rassistischer Idiot namens George, der zu dem anderen Kerl, dem ich die Zeitung verkauft habe, sagt: „Verdammte Nigger, die hierherkommen, usw.“ Der Typ dreht sich um und sagt: „George, warum hältst du nicht die Klappe?“ Und er macht ihn mit den Argumenten, die er in der Zeitung gelesen hat, fertig. Dann dämmert es dir: Es ist deine Beständigkeit, die auf die Probe gestellt wird. Jede Woche stellen sie dich auf die Probe. Du hast also jede Woche diese Anspannung und musst da durch. Sagst du heute dasselbe wie letzte Woche? Wenn nicht, warum nicht? Sie müssen dir vertrauen können.“[86]
Kader und Demokratie
Die Frage der Kaderbildung lässt sich nicht getrennt von der Frage der Parteidemokratie betrachten. Es ist eine Binsenweisheit, dass leninistische Organisationen auf dem sogenannten demokratischen Zentralismus beruhen. Dies wird oft in einer sehr formalistischen Weise interpretiert: demokratische Debatte gefolgt von disziplinierter Einheit in der Aktion. In Wirklichkeit besteht jedoch eine eher organische Beziehung zwischen den beiden Elementen, wobei die Demokratie dazu beiträgt, die Erfahrungen der kämpfenden Klasse einzubeziehen, und die Zentralisierung der Partei ermöglicht es, die daraus entwickelte Perspektive in der Praxis zu erproben. Hallas erklärt gut die unverzichtbare Bedeutung einer echten Debatte:
Eine Massenpartei wird im Gegensatz zu einer Sekte notwendigerweise von ungeheuer starken Kräften beeinflusst. […] Diese Kräfte finden zwangsläufig auch innerhalb der Partei ihren Ausdruck. Um die Partei auf Kurs zu halten (in der Praxis, um ihren Kurs in einer sich verändernden Lage ständig zu korrigieren), äußert sich die komplexe Beziehung zwischen der Führung, den verschiedenen Kaderschichten und den Arbeitern und Arbeiterinnen, die sie beeinflussen und von denen sie beeinflusst werden, im innerparteilichen politischen Kampf und muss sich auch darin äußern. Wenn dieser durch administrative Maßnahmen künstlich erstickt wird, wird die Partei von ihrem Kurs abkommen.[87]
Dies entspricht dem von Gramsci umrissenen Ansatz:
(Der demokratische Zentralismus ist) ein „Zentralismus“ in Bewegung, das heißt eine ständige Anpassung der Organisation an die wirkliche Bewegung, eine Abstimmung der Anstöße von unten mit dem Kommando von oben, eine fortwährende Einordnung der aus der Tiefe der Masse aufschießenden Elemente in den festen Rahmen des Führungsapparates, der die Kontinuität und die regelmäßige Akkumulation der Erfahrungen sichert: er ist „organisch“, weil er der Bewegung Rechnung trägt, welche die organische Weise ist, in der sich die geschichtliche Wirklichkeit enthüllt, und nicht in der Bürokratie mechanisch erstarrt, und gleichzeitig berücksichtigt er das, was relativ stabil und dauerhaft ist […].[88]
Er ergänzt, dass in den Parteien der arbeitenden Klasse das „Stabilitätselement notwendig (ist), um die Hegemonie nicht für privilegierte Gruppen zu sichern, sondern für die fortschrittlichen Elemente, organisch fortschrittlich im Gegensatz zu anderen verwandten und verbündeten, aber zusammengestückten und schwankenden Kräften“.[89]
Damit der demokratische Zentralismus wirksam funktionieren kann, braucht er einen Kader mit einem gemeinsamen theoretischen Ansatz, der aktiv interveniert und Erfahrungen reflektiert und das Gelernte in die innerparteilichen Diskussionen einbringt. Entscheidend ist die Einheit von Theorie und Praxis. Eine von der Praxis losgelöste Debatte neigt zu abstrakten Schulweisheiten, eine von der Theorie losgelöste Debatte hingegen zu impressionistischen und oberflächlichen Ansätzen.
Stellvertretertum und Gerüste bauen
Wie aus dem bisher Gesagten hervorgehen sollte, ist das aktive Eingreifen in den Kampf der arbeitenden Klasse das Lebenselixier der marxistischen Organisation. Eine Schwierigkeit ergibt sich jedoch, wenn die arbeitende Klasse relativ schwach ist, wie in Großbritannien in den letzten Jahrzehnten. Die Streikwelle von 2022/3 hat dieses Muster durchbrochen und mehr Möglichkeiten zum Lernen und Intervenieren geboten, aber insgesamt ist das Ausmaß anhaltender Selbstaktivität der Arbeiter:innen begrenzt geblieben.
Bevor er der bolschewistischen Partei beitrat, warnte Trotzki vor der Gefahr des „Substitutionismus“, des Stellvertretertums, bei dem die Partei an die Stelle der arbeitenden Klasse tritt. Dies würde zu einer Art substitutionistischer Kettenreaktion führen, in der „die Parteiorganisation sich an die Stelle der Partei als Ganzes setzt; dann setzt sich das Zentralkomitee an die Stelle der Organisation; und schließlich setzt sich der ,Diktator‘ an die Stelle des Zentralkomitees“.[90] Trotzki änderte nach 1917 seine Meinung und hielt danach unerschütterlich an der Unterstützung der Schaffung von Organisationen nach bolschewistischem Vorbild fest. Cliff sah jedoch auch die Möglichkeit eines Stellvertretertums im Bolschewismus und sagte, das Gegenmittel dazu sei die „Aktivität der Klasse selbst“.[91] Lenin setzte, wie wir gesehen haben, auf die Kraft der Arbeiter:innenaufstände von 1905 oder 1917, um solchen Tendenzen im Bolschewismus entgegenzuwirken.
Gegenwärtig wird eine kleine revolutionäre Partei wie die SWP wohl kaum versuchen, sich an die Stelle der arbeitenden Klasse zu setzen, aber wir können im Rahmen eines begrenzten Kampfes die Gefahr anderer Elemente der substituionistischen Kettenreaktion sehen. Wegen des niedrigen Niveaus der Selbstaktivität der Arbeiterinnen und Arbeiter ist es selten möglich, selbstbewusste Kämpfer:innen mit Erfahrung in der Führung von Kämpfen für eine revolutionäre Organisation zu gewinnen.[92] Da der Marxismus so weit vom „gesunden Menschenverstand“ in der Gesellschaft entfernt ist, bringen viele derer, die revolutionären Organisationen beitreten, nicht viel von dem allgemeinen Verständnis mit, das die radikale Linke historisch geprägt hat. Selbst unter Studierenden gibt es zwar häufig radikale Denkansätze, auch solche, die sich auf den Marxismus beziehen, doch sind diese in der Regel recht weit von der klassischen marxistischen Tradition entfernt und verbinden nur selten Theorie und Praxis. Diese Beschränkungen verleiten erfahrene Kader der Partei dazu, Führungsfunktionen in der Partei zu übernehmen – beispielsweise die Organisation ihrer Gliederungen und die Übernahme der Verantwortung für die Artikulation ihrer Grundideen oder die Leitung der Intervention in Kämpfe. Das kann neuere Mitglieder daran hindern, zu lernen oder ihre Kreativität in die Aktivitäten der revolutionären Linken einzubringen. Unter diesen Umständen können Organisationen zwar wachsen, aber ohne ihre Kader zu erneuern oder zu entwickeln.[93]
Um hier Abhilfe zu schaffen, sind bewusste Anstrengungen erforderlich. Die Ausbildung neuer Mitglieder ist von entscheidender Bedeutung, kann aber nicht von der Notwendigkeit getrennt werden, das theoretische Niveau der Partei als Ganzes anzuheben – das Ziel besteht nicht nur darin, das derzeitige Niveau des theoretischen Verständnisses zu reproduzieren, sondern es für alle anzuheben, indem die oben beschriebene Art von der Debattenkultur geschaffen wird. Dies muss mit der Praxis verknüpft werden, und zwar mit einem durchdachten Ansatz zur Einbeziehung der Mitglieder in diese Praxis. Zum Beispiel sollte regelmäßig auf Versammlungen neuer und alter Mitglieder darüber diskutiert werden, was in einer bestimmten Kampagne getan wird und warum, und die Erfolge oder Misserfolge dieser Taktiken bewerten. Neue Mitglieder sollten ermutigt werden, Referate auf Ortsgruppentreffen zu halten und organisatorische Aufgaben zu übernehmen, während sie mit den erfahreneren Mitgliedern besprechen, wie das am besten zu leisten ist. Bei der Organisation geht es immer um „handwerkliche Fähigkeiten“, mit Elementen von „Kunstfertigkeit, Umsicht, Kenntnis von Sichtweisen und Fallstricken und kreativer Anpassung“. Dieses handwerkliche Wissen ist übertragbar, oft eher durch „eine Lehre“ als durch traditionelle akademische Mittel“.[94] Jemand persönlich an die Hand zu nehmen, kann in dieser Hinsicht hilfreich sein. Eine umfassende Entwicklung von Kadern heißt jedoch meist, von einer Reihe erfahrener Mitglieder mit unterschiedlichen Stärken und Ansätzen zu lernen. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass neuere Mitglieder lernen, wie sie in länger anhaltenden, aber oft konfliktreichen Beziehungen mit Menschen, die politisch rechts von ihnen stehen, arbeiten können – durch Einheitsfrontpolitik in Bewegungen oder Arbeit in den Gewerkschaften. Das erfordert komplexe Diskussionen und ist daher in Ermangelung von Massenkämpfen, die von Betrieben ausgehen, ein wichtiges Terrain, auf dem die Mitglieder beginnen können, sich in Strategie und Taktik zu üben. Erfahrene Mitglieder – die in der Regel den Vorteil haben, dass sie sich unter den linken Aktiven in ihrem Bereich einen Namen gemacht haben und so den Aufbau breiterer Bewegungen erleichtern – sind für diese Arbeit von entscheidender Bedeutung, aber auch neuere Mitglieder sollten bei jeder Gelegenheit einbezogen werden.
Dabei kann es nicht darum gehen, neue Genoss:innen ins kalte Wasser zu werfen und zu sehen, ob sie untergehen oder schwimmen. Vielmehr können wir auf einige Ideen des marxistischen Psychologen und Pädagogen Lev Vygotsky (deutsch auch: Lew Wygotski) zurückgreifen.[95] Vygotsky und seine Mitdenker vertraten die Ansicht, dass „selbst auf der Ebene des Lernens […] ,Geist‘ eine soziale Beziehung und keine individuelle, im Kopf gespeicherte Eigenschaft ist. […] Menschen lernen durch Handeln in konkreten, historisch bedingten Situationen, indem sie versuchen, inmitten sozialer Widersprüche Kohärenz herzustellen.“[96] Vygotsky ist Pädagoginnen und Pädagogen vielleicht am besten für Konzepte wie die „Zone der nächsten Entwicklung“ bekannt, die Kluft zwischen dem, was ein Kind selbstständig tun kann, und dem, was es „durch Problemlösung unter Anleitung von Erwachsenen oder in Zusammenarbeit mit fähigeren Gleichaltrige“ erreichen kann.[97] Durch die Arbeit in dieser Zone, mit angemessener Unterstützung durch Gleichaltrige oder Lehrer:innen, könnten die Schüler:innen sowohl größere Fähigkeit entwickeln, ihre Aufgabe unabhängig zu bewältigen, als auch abstrakte und allgemeine Formen der theoretischen Einsicht entwickeln, die auf eine Reihe konkreter Situationen angewandt werden könnten.[98]
Es wäre ein Fehler, neue Mitglieder einer Organisation als „Kinder“ oder erfahrene Mitglieder als „Erwachsene“ oder lediglich als „Lehrer“ zu behandeln. Wie ich dargelegt habe, sollte die Kaderbildung ein fortlaufender Prozess in einer Partei als Ganzes sein, und wie Lenin erkannte, muss die Partei in kritischen Momenten aus den Kämpfen der Klasse lernen – und neuere Mitglieder können entscheidend dazu beitragen, diese Lektionen zu verarbeiten. Dennoch lässt sich hier ein breiteres Konzept von Bewusstsein und Lernen finden, das über enge Bildungskontexte hinaus gilt.[99]Marxist:innen haben versucht, Vygotskys Ideen zu verallgemeinern, um die Lern- und Entwicklungsprozesse in sozialen Bewegungen zu verstehen. Wie John Krinsky und Colin Barker sagen:
Das Bewusstsein in all seinen Aspekten ist nicht einfach etwas, das nur durch eine quasinatürliche individuelle psychologische Entwicklung entsteht, sondern es wird aufgebaut, vermittelt durch die aktiven sozialen Beziehungen der Individuen zu anderen. Das gilt auch für die Strategiebildung in sozialen Bewegungen: Die Idee des kooperativen sozialen Lernens erstreckt sich auch auf das Lernen von Erwachsenen, deren Leben in gewissem Sinn eine ständige „strategische“ Arbeit ist.[100]
Ich sehe keinen Grund, warum ein solcher Ansatz nicht auch auf das kollektive Lernen übertragen werden könnte, das innerhalb einer revolutionären Partei stattfindet, wenn sie versucht, strategisch in der Welt einzugreifen. Gemeinsame Bemühungen, durch eine revolutionäre Partei zu intervenieren, sollten weniger erfahrene Mitglieder dazu bringen, über das hinauszugehen, was sie als Einzelne erreichen könnten, aber mit dem Gerüst und der Unterstützung erfahrenerer Genoss:innen und der kollektiven Reflexion über die Ergebnisse. Grob gesagt: Kein Mitglied sollte tun, was ein weniger erfahrener Genosse mit geeigneter Unterstützung tun kann, und keine Genossin sollte allein tun, was sie in Zusammenarbeit mit einem weniger erfahrenen Mitglied tun könnte. Dabei darf keine Atmosphäre entstehen, in der erfahrene Genossinnen und Genossen als Quelle aller Weisheit angesehen werden oder von der Notwendigkeit der Weiterentwicklung ausgenommen sind, und es darf die Kreativität der neuen oder alten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Partei nicht erstickt werden.
Schlussfolgerung
Die jüngsten Ereignisse scheinen darauf hinzudeuten, dass wir einen Wendepunkt in der Geschichte erreicht haben, einen Moment, in dem der Kapitalismus in heftigere Turbulenzen gerät, viele der Institutionen und Strukturen zerstört, durch die er sich in der jüngeren Geschichte reproduziert hat, und eine Reihe von Krisen auslöst.[101]
Die auffälligste Reaktion darauf ist der weltweite Aufstieg Rechtsextremer, die aus dem Chaos Kapital schlagen wollen, verkörpert insbesondere durch die Rückkehr Donald Trumps als US-Präsident. Wir wissen nicht genau, welche Möglichkeiten sich in diesem Zusammenhang für den Kampf und den Widerstand der radikalen Linken ergeben werden – aber wir können sicher sein, dass die Zukunft ganz anders aussehen wird als die jüngste Vergangenheit. Wir werden vor einer immer schärferen Version der von Rosa Luxemburg benannten Alternativen stehen: Sozialismus oder Barbarei. Wenn wir alle Möglichkeiten, die sich uns bieten, effektiv nutzen wollen, ist die Frage der Erneuerung der revolutionären sozialistischen Tradition von entscheidender Bedeutung. Die Kaderbildung, die Entwicklung organischer Intellektueller, die den Kämpfen um sie herum Richtung geben können, ist wesentlich, wenn wir angesichts des wachsenden Grauens Hoffnung bieten wollen.
Joseph Choonara ist Herausgeber von International Socialism. Er ist Autor von „Das Kapital lesen“ (M21 e. V., 2018) und „Kapitalismus entschlüsseln: Eine Anleitung zur marxistischen politischen Ökonomie“ (Edition Aurora, 2015).
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[1] Dieser Artikel entstand aus einer Debatte in der Socialist Workers Party Anfang 2025. Die Gespräche mit Genossinnen und Genossen auf mehreren Parteiveranstaltungen waren für mich sehr hilfreich. Dank an Mark Thomas, Sascha Radl und Tomáš Tengely-Evans für Kommentare zu früheren Entwürfen.
[2] Das Oxford English Dictionary (OED) belegt die Verwendung des Begriffs in den „kommunistischen Ländern“ ab 1928, doch taucht er in ähnlicher Bedeutung bereits 1919 in Beiträgen auf, die in der Communist International, dem englischsprachigen Organ der Komintern, veröffentlicht wurden, zum Beispiel in Ausgabe 5 in einem Bericht über die russische Jugendbewegung.
[3] Im Englischen hat sich der Autor für die Schreibweise „cadrisation“ anstelle von „cadreisation“ entschieden. Beide Schreibweisen sind nicht im OED zu finden. In der Übersetzung haben wir uns überwiegend für das Wort Kaderbildung entschieden; d. Übers.
[4] Die Bolschewiki waren ursprünglich eine Fraktion der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, neben den Menschewiki, von denen sie sich 1903 abspalteten. Die Beziehungen zwischen den beiden Fraktionen veränderten sich im Laufe der Zeit, wobei die Bolschewiki sich 1912 als unabhängige Organisation bildeten.
[5] Siehe Choonara (2014). Hallas (1996: 44–45).
[6] Dieses grundlegende Verständnis von Lenins Konzept der Partei verdanke ich Tony Cliff (1986); Chris Harman (1989); und John Molyneux (1978).
[7] Trotzki (1981); Rabinowitch (2017); und Cliff (1996: 63–66) bieten jeweils starke Gegenargumente zu dieser Ansicht.
[8] Februar, nach dem alten Julianischen Kalender, der in Russland noch in Gebrauch ist.
[9] Trotzki (1960: 104–105, 108, 130); Liebman (1980: 117–118).
[10] Zu der Frage, inwieweit es sich bei den Bolschewiki um eine echte proletarische Organisation handelte, die sich vor allem aus jungen Arbeitern zusammensetzte und eine enge Beziehung zu den Fabriken und anderen großen Betrieben hatte, siehe: Molyneux (2016: 70–74).
[11] Wie Birchall (2001: 54) darlegt, hat Victor Serge wesentlich dazu beigetragen, die Geschichten revolutionärer Kader, die weitgehend vergessen wurden und die Revolution in Russland und 1918–23 in Deutschland machten, zu umreißen; siehe „Vie des révolutionnaires“ (Hachette Livre 1921) und „Notes d’Allemagne“ (La Brèche 1998).
[12] Trotzki (1960: 102).
[13] Haupt/Marie (1974: 222). Kajurow diente später als Führer in der Roten Armee. Er wurde 1936 von der Geheimpolizei erschossen, nachdem er sich geweigert hatte, ein für ihn geschriebenes Geständnis über eine Verschwörung zur Beseitigung Stalins zu unterschreiben.
[14] Trotzki (1960: 138–139).
[15] Molyneux (2016: 78–82).
[16] In der Stadt Iwanowo-Woznesensk beispielsweise gab es bei Ausbruch der Revolution gerade einmal zehn Bolschewiki – im Spätsommer waren es bereits 5.440 Mitglieder. Cliff (1985: 150–151).
[17] Cliff (1985: 97–139). Trotzki (1987: 31–36). Liebman (1980: 125–134, 151–154). Obwohl Lenin dies damals nicht zugab, bedeutete diese Veränderung die stillschweigende Übernahme einer Version von Trotzkis Strategie der permanenten Revolution, die zuvor von führenden Bolschewiki, einschließlich Lenin, kritisiert worden war.
[18] Zitiert nach: Cliff (1996: 70).
[19] Cliff (1986: 35).
[20] Trotzki (1976: 345).
[21] Siehe Molyneux (2016: 46–51). Harding (2009: 151–152).
[22] Lenin (Bd. 5: 369).
[23] Lenin (Bd. 5: 466–467).
[24] Harding (2009: 184–185).
[25] Zu der allgemeineren Frage, ob Lenin meinte, der Marxismus müsse von außen in die arbeitende Klasse getragen werden, wie oft auf der Grundlage von Passagen aus „Was tun?“ behauptet wird, siehe Molyneux (2016: 64–67); Harman (1989: 14–18).
[26] Lenin (Bd. 5: 470-472).
[27] Lenin (Bd. 8: 207–208).
[28] Zit. n. Harding (2009: 231).
[29] Lenin (Bd 15: 5).
[30] Lenin (Bd. 15: 286–287).
[31] Lenin (Bd. 15: 460–461). Molyneux (2016: 69–70) vertritt zu Recht die Auffassung, dass die Erfahrung von 1905 und die danach einsetzende Reaktion für die Konsolidierung von Lenins Konzeption der revolutionären Partei von zentraler Bedeutung waren. Es erforderte auch eine scharfe Konfrontation mit einigen der Intellektuellen, die sich um 1905 der Organisation angeschlossen hatten und damit beschäftigt waren, verschiedene in der russischen Intelligenz kursierende philosophische Moden in den Bolschewismus zu importieren und ultralinke Positionen zu vertreten, die angesichts des Niedergangs der Revolution und der Notwendigkeit eines geordneten Rückzugs wenig Sinn ergaben. Als sie im Haus des Schriftstellers Maxim Gorki in Capri eine „bolschewistische Schule“ gründeten, um Kader nach ihrem Vorbild auszubilden, antwortete Lenin mit der Gründung einer eigenen Schule in Longjumeau bei Paris. Er brach eine Lanze für die Philosophie, die bis dahin als neutrales Terrain innerhalb der Partei galt, und schrieb sein Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“, um seinen Hauptrivalen Alexander Bogdanow herauszufordern; siehe Harding (2009: 277–281); Cliff (1986: 281–293).
[32] Siehe Hallas (1985); Molyneux (2016: 96–98); und Gareth Jenkinsʼ Artikel in dieser Ausgabe von International Socialism (Nr. 185).
[33] Cliff (1993: 303, 307); Hallas (1979: 89).
[34] Cliff, 1993: 291–294.
[35] Cliff (1993: 303, 307); Hallas (1979: 89).
[36] Trotzki (1997: 85).
[37] Beispiele dafür finden sich in den verschiedenen Bänden von Trotzkis Schriften über diesen Zeitraum.
[38] Cliff (1993: 300–303) weist darauf hin, dass die von Trotzki angewandten organisatorischen Lösungen das Problem verstärkten. Neben einer extrem kopflastigen internationalen Struktur plädierte Trotzki dafür, dass jede internationale Sektion seiner Anhänger ihr eigenes Verständnis von Strategie und Taktik entwickeln sollte, indem sie sich gegenseitig kritisierten und anleiteten. Die Versuche taktisch unerfahrener Gruppen von Trotzkist:innen, eine solche Kritik zu üben, oft in relativer Unkenntnis der Bedingungen vor Ort, erzeugten viel Reibung und wenig Licht.
[39] Siehe die Darstellung in Hallas (1979); Molyneux (2013: 123–143); Callinicos (1990).
[40] Lukács (1924: Kap. 1).
[41] Lukács (1924: Kap. 1).
[42] Cliff (1986: 253–254); siehe: Lukács (1924: Kap. 3).
[43] Luxemburg (1987: 240). Dies greift auch Lukács auf (1924: Kap. 1).
[44] Lukács (1924: Kap. 2).
[45] Lukács (1977: 43).
[46] Lenin (Bd. 24: 25).
[47] Lukács (1924: Kap. 2).
[48] Lukács (1924: Kap. 3); siehe auch: Lukács (1977: 83).
[49]Lukács (1923: 248).
[50]Lukács (1924: Kap. 3).
[51] Lukács (1924: Kap. 3).
[52] Lukács (1924: Kap. 3). Molyneux (2012: 165–168) verbindet meines Erachtens zu Recht diese Elemente von Lukács’ Schriften mit früheren Problemen in Werken wie „Geschichte und Klassenbewusstsein“, wie dem Begriff des „zugerechneten Klassenbewusstseins“, den Lukács mit der Partei zu verbinden scheint.
[53] Lukács (1924: Kap. 3).
[54] Die Ausgabe 114 der Zeitschrift International Socialism enthält vier Artikel, die sich mit dem Leben und dem Werk Gramscis befassen und Informationen über Kontext und Probleme der Interpretation der Notizbücher bieten.
[55] Gramsci (1971: 8, 9, 323). (Um diesen Artikel zügig auf Deutsch zu veröffentlichen, haben wir die meisten Gramsci-Zitate aus dem Englischen übersetzt. Der Argument Verlag hat die Gefängnishefte in 10 Bänden veröffentlicht; d. Übers.)
[56] Gramsci (1971: 5).
[57] Gramsci (1971: 10); Gramsci (1971: 6), vergleicht dies mit der Bauernschaft, die viele italienische Intellektuelle hervorbrachte, die sich jedoch von den Interessen ihrer Klasse lösten, was sie als organische Intellektuelle disqualifizierte. Siehe auch Gramsci (1971: 204).
[58] Gramsci (1971: 340).
[59] Gramsci (1971: 16).
[60] Harding (2009: 72–76).
[61] Gramsci (1971: 9).
[62] Gramsci (1971: 10).
[63] Barker/Johnson/Lavalette (2001: 5).
[64] Gramsci (1971: 10). Die Sprache ist hier besonders kryptisch: „Von der Technik als Arbeit geht man zur Technik als Wissenschaft und zur humanistischen Geschichtsauffassung über, ohne die man ,spezialisiert‘ bleibt und nicht ,richtunggebend‘ (spezialisiert und politisch) wird.“
[65] Gramsci (1971: 332–333).
[66] Gramsci (1971: 339).
[67] Gramsci (1971: 191).
[68] Gramsci (1971: 327).
[69] Gramsci (1971: 328).
[70] Gramsci (1971: 333).
[71] Gramsci (1971: 333).
[72] Gramsci (1971: 335).
[73] Hallas (1996: 47).
[74] Siehe beispielsweise die Artikel in International Socialism 181.
[75] Callinicos (2007: 27).
[76] Siehe beispielsweise Choonara (2023 a, 2023 b).
[77] Callinicos (2007: 24–25).
[78] Braverman (1974).
[79] Cliff (1975). Cliff hat diese Metapher mehrfach verwendet. Die Quelle scheint Prediger 10:10 zu sein: „Wenn die Axt stumpf geworden ist / und ihr Benutzer hat sie nicht vorher geschliffen, / dann braucht er mehr Kraft – / Wissen hätte ihm den Vorteil gebracht, dass er sein Werkzeug vorbereitet hätte.“ (Bibel, Einheitsübersetzung 2016, EU).
[80] Klein (1999); Hardt/Negri (2000); Piketty (2014); Malm (2021).
[81] Zu Marx’ Identifizierung dieses Prinzips und seiner Bedeutung für die Definition einer klassischen marxistischen Tradition siehe: Draper (1966, 1977); Molyneux (1983); Löwy (2005).
[82] Trotzkis Entwicklung der Theorie der permanenten Revolution stellt eine solche Erneuerung dar. Siehe Hallas (1979: 7–26). Tony Cliff (1974) musste seinerseits mit der trotzkistischen Orthodoxie brechen, als er seine Theorie des bürokratischen Staatskapitalismus entwickelte. Spätere Entwicklungen wie Chris Harmans Analyse des politischen Islams aus dem Jahr 1994 haben entscheidend zum Umgang mit solchen Bewegungen im Globalen Süden oder der Bekämpfung von Islamophobie in Ländern wie Großbritannien beigetragen.
[83] Battistoni, 2025. Mein Dank geht an Charlie Kimber, der mich auf dieses Beispiel aufmerksam gemacht hat.
[84] Thompson (1980: 783, 787–789). Als ich Mitte der 1990er Jahre in die SWP eintrat, haben mich die Regale älterer Genossinnen und Genossen, egal welcher Herkunft, in ihrer Wohnung mit zerlesenen marxistischen Büchern und Zeitschriften sehr beeindruckt.
[85] Ich habe viel gelernt, als ich auf Parteiveranstaltungen Lücken in meinem eigenen theoretischen oder historischen Wissen feststellen musste.
[86] Cox (2019: 116).
[87] Hallas (1979: 84).
[88] Gramsci (1996: 1606).
[89] Gramsci (1971: 189).
[90] Cliff (1996: 56). Trotzki über den Substitutionismus (1970).
[91] Cliff (1996: 70).
[92] Hallas (1996) betont in einem ursprünglich 1971 veröffentlichten Beitrag die Notwendigkeit, die revolutionäre Organisation wieder mit Schichten militanter Arbeiter:innen zu verbinden – und er dachte dabei an die radikalisierten gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in Großbritannien die Kämpfe anführten.
[93] Die SWP ist in den letzten drei Jahren um etwa ein Viertel gewachsen; das Ausmaß der Kaderbildung hat mit diesem Wachstum noch nicht Schritt gehalten.
[94] Barker/Johnson/Lavalette (2001: 6).
[95] Für eine allgemeine Einschätzung siehe Bassett (2024). Vygotsky war in den Anfangsjahren der Sowjetunion aktiv und starb 1934. Seine Werke waren unter Stalin von 1936 bis 1956 verboten. (Wir verweisen auf eine Vielfalt von ins Deutsche übertragenen Aufsätzen und Büchern Vygotskys. Um diesen Artikel zügig auf Deutsch zu veröffentlichen, haben wir hier die Zitate aus dem Englischen übersetzt; d. Übers.)
[96] Krinsky (2013: 117).
[97] Vygotsky (1978: 86).
[98] Diese Erkenntnis wurde von Persönlichkeiten wie Vasily Davyodv weitergeführt. Siehe Engeström, 2005: 164–165.
[99] Siehe Collins, 2000, der versucht, Vygotsky mit anderen Denkern wie Valentin Voloshinov zu integrieren, um ein breiteres Konzept der Sprache und des sozialen Bewusstseins zu entwickeln, das für die Untersuchung des Volksprotests geeignet ist.
[100] Krinsky und Barker, 2016, S. 216.
[101] Choonara, 2025.
Bildnachweis: Gramsi über den Köpfen von Lenin, Engels und Marx mit Textauszügen auf einer Hauswand, CC BY-NC-SA 2.0