BlackLivesMatter Kundgebung auf der Straße des 17. Juni am Großen Stern in Berlin am 27. Juni 2020.

Das Problem im Stadtbild heißt Rassismus

Friedrich Merz provoziert mit rassistischen Aussagen zum »Stadtbild«, um von Kürzungen im Sozialbereich abzulenken. Er stärkt damit vor allem die AfD und den antimuslimischen Rassismus insgesamt. Von Gerrit Peters

Bundeskanzler Friedrich Merz fiel zuletzt wieder durch beispiellose Hetze auf. Weil es im »Stadtbild noch dieses Problem« (der Menschen mit erkennbarer Migrationsgeschichte) gäbe, müssten Abschiebungen intensiviert werden, sagte er auf einer Pressekonferenz. Merz’ Ausführungen erinnern in erschreckender Weise an die Zeilen des NSDAP-Propagandaministers Joseph Goebbels, der 1941 zu den in Berlin lebenden Jüdinnen und Juden schrieb: »Sie verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.«

Rassismus und sexualisierte Gewalt von oben

Als der Kanzler einige Tage später gefragt wurde, ob er sich für die Aussage entschuldigen würde, antwortete er: »Ich habe gar nichts zurückzunehmen« und erklärte dem Reporter mit einem süffisanten Grinsen weiter, was er denn genau gemeint habe. Denn wer »seine Töchter« fragen würde, bekäme »eine ziemlich klare und deutliche Antwort«, was er mit seinem Rassismus gemeint hätte, so Merz. Es ist offensichtlich, was hier suggeriert wird: migrantische Männer seien eine Gefahr für deutsche Frauen.

Der Bundeskanzler inszeniert sich nun also als Beschützer von Frauen. Es ist derselbe Friedrich Merz, der 1997 dagegen gestimmt hat, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird und derselber Friedrich Merz, der kein Problem mit der strukturellen Überbelegung und Unterfinanzierung von Frauenhäusern hat. Um rassistische Hetzkampagnen zu rechtfertigen, werden die Rechte und die Sicherheit von Frauen missbraucht.

Ablenkung und Spaltung

Erwerbslosigkeit, Drogenkonsum, Obdachlosigkeit und Kleinkriminalität haben strukturelle Ursachen. Merz macht bewusst geflüchtete Menschen, bzw. jene, die angeblich so aussehen, dafür verantwortlich. Noch mehr will er uns einreden, dass jede:r die oder der nicht »biodeutsch« aussieht, ein Problem für das »Stadtbild« darstellt. Merz will mit seinen Aussagen provozieren und vom »Herbst der Reformen« ablenken. Es ist ihm lieber, wenn sich über seine rassistischen Ausführungen gestritten wird, als wenn sich Menschen zu Recht über die »harten Reformen« zur Senkung der Kosten »im gesamten sozialen Bereich« aufregen. Diese Reformen sind ein Frontalangriff auf die arbeitende Bevölkerung. Durch rassistische Spaltungen der arbeitenden Bevölkerung soll der gemeinsame Widerstand gegen die Ausweitung der täglichen Ausbeutung verhindert werden. Je weniger Beschäftigte sich an Arbeitskämpfen wie Streiks beteiligen, desto weniger Verhandlungsmacht können sie gegenüber den Kapitalist:innen entfalten. 

Wasser auf die Mühlen der AfD

Merz erhofft sich Stimmen von der AfD zu gewinnen, wenn er deren rassistischen Nazi-Sprech übernimmt. Auch Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im nächsten Jahr, stimmte mit ein in den rassistischen Chor: »Viele Menschen scheuen öffentliche Verkehrsmittel nachts, insbesondere Frauen haben spätabends Angst, in Bahnhöfe zu gehen. Das sind einfach unerträgliche Zustände, damit haben wir uns zu beschäftigen.« Weiter sagte er: »Wenn wir es nicht machen, dann ist es quasi ein Wahlaufruf, AfD zu wählen.«

Merz und Özdemir könnten nicht falscher liegen. Ihre rassistischen Aussagen normalisieren die menschenfeindliche Ideologie der AfD. Nazis werden sich dadurch berufen fühlen, selbst für »Recht und Ordnung« zu sorgen und Migrant:innen zu terrorisieren. Die AfD fühlt sich in ihrer Linie bestärkt und würde mit ihrer neuen Jugendorganisation jene Straßentruppen aufbauen, um die »Probleme im Stadtbild« bundesweit zu beseitigen. Das bedeutet »Remigration«: ein Klima der Angst und der Gewalt.

Rassismus der »Mitte«

Es ist richtig, dass Merz für seine Hetze auch scharfe Kritik erntet. Es ist jedoch heuchlerisch, wenn Rassismus von der gesellschaftlichen Linken nur skandalisiert wird, wenn er von CDU oder AfD verbreitet wird. Denn auch in scheinbar progressiven Kreisen ist antimuslimischer Rassismus weit verbreitet. Das äußert sich manchmal sehr offensichtlich. Beispielsweise wenn in einer vermeintlich linken Zeitung der Völkermord in Gaza geleugnet wird. Oder wenn die Freilassung der israelischen Geiseln durch die Hamas gefeiert und gleichzeitig die über 9.000 palästinensischen Geiseln, die immer noch in israelischen Gefängnissen sitzen, ignoriert werden. Die selektive Anerkennung von Leid und Gewalt offenbart allerdings auch hier eins: Rassismus. 

Es ist gerade der antimuslimische Rassismus der »bürgerlich-demokratischen Mitte«, der die Hetze eines Friedrich Merz oder der AfD legitimiert. Dort findet der gesellschaftliche Rechtsruck statt. Denn von der Diffamierung der Palästina-Solidarität als pauschal antisemitisch ist es nicht mehr weit bis zum Mythos des angeblich »importiertem Antisemitismus«, der Erzählung, mit der die AfD sich selbst verharmlost und mit der sie gegen Migrant:innen und Geflüchtete hetzt.

Antifaschismus muss antirassistisch sein

Der gesamtgesellschaftlich tief verankerte Rassismus – allen voran der antimuslimische Rassismus –, von linken Tageszeitungen bis zur CDU, legitimiert erst die rassistischen Deportationsfantasien der AfD. Es gilt, Rassismus konsequent zu bekämpfen, nicht selektiv. Der Kampf gegen die faschistische AfD muss ein antirassistischer Kampf sein, der unteilbar solidarisch an der Seite der Menschen steht. 

Es ist gut, dass in verschiedenen Städten Demonstrationen unter dem Motto »Wir sind das Stadtbild« oder »Wir sind die Töchter« stattgefunden haben, teilweise direkt vor CDU-Parteizentralen. Dieser Schwung muss nun mit in die Proteste gegen die Neugründung der AfD-Parteijugend am 29. November in Gießen genommen werden.


Titelbild: Leonhard Lenz

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