Symbol für die Apartheid: Acht Meter hohe Mauer trennt die Palästinenser von ihrem Land.

Das Problem heißt »Zionismus«!

Angesichts des Völkermords in Gaza kritisieren viele Netanjahu und seine rechte Regierung. Doch der Kern des Problems ist Zionismus, argumentiert Gerrit Peters.

»Netanjahu selbst ist jetzt ein Problem« sagte Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen Mitte August der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten« bezüglich Israels jüngster Offensive im Gazastreifen, die ihrer Meinung nach »zu weit geht«. Außerdem führte sie aus: »Wir haben ein großes politisches Problem mit einer sehr, sehr rechtsgerichteten Regierung in Israel, die […] derzeit auch gegen die Interessen Israels arbeitet«. Aber was sind überhaupt die Interessen Israels und könnte darin nicht viel mehr das Problem liegen?

Eklat um Antisemitismus Konferenz

Im März sorgte eine Konferenz des israelischen Ministeriums für »Diaspora-Angelegenheiten und Bekämpfung des Antisemitismus« für Aufsehen. Die Deutsche Welle bezeichnete die Teilnehmenden als ein »Who is Who der radikalen Rechten in Europa«. Hochrangige Gäste, wie z.B. der britische Chefrabbiner Ephraim Mirvis, Volker Beck, früherer Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen Bundestagsfraktion und heutiger Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft sowie Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, sagten ihre Teilnahme an der Konferenz daraufhin ab.

Der Eklat um die Antisemitismus Konferenz reiht sich ein in die kontinuierliche Rechtsentwicklung von Netanjahus Likud Partei. Im Februar wechselte sie von einer Kooperationsvereinbarung mit der Fraktion der »Europäischen Konservativen und Reformer« (EKR) in einen Beobachterstatus bei den »Patrioten für Europa« (PfE). Bei der EKR sind immerhin schon die rechtspopulistische Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni, die für ihre Bewunderung von Mussolini bekannt ist, und die polnische PiS Partei organisiert. In der PfE, einem Sammelbecken für Faschisten, sind neben Orbans Fidesz-Partei auch Le Pens Rassemblement National, Geert Wilders Freiheitspartei und Herbert Kickls FPÖ angesiedelt.

Kontinuierliche Rechtsentwicklung

Den anhaltenden Rechtsschwenk in der israelischen Politik allein auf Netanjahus Likud zu beschränken, wäre verkürzt. Seit Dezember 2022 hat Israel laut der Morgenpost »die am weitesten rechts stehende Regierung […], die das Land je hatte«. Beispielhaft dafür stehen vor allem zwei Minister: Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit und Bezalel Smotrich, Minister für Finanzen und die Verwaltung des besetzten Westjordanlandes. Beide sind der extremen religiösen Rechten zuzuordnen. Ben-Gvir wurde 2007 von einem israelischen Gericht wegen rassistischer Aufhetzung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Smotrich hatte schon im März 2023 die »Ausradierung« des palästinensischen Dorfes Huwara gefordert. Beide träumen von einem Großisrael, das sich je nach Auslegung über ganz Palästina, Teile Syriens, Iraks und Irans, sowie über Jordanien, Teile Ägyptens und Saudi-Arabiens erstreckt.

Die Verrohung der israelischen Gesellschaft

Nicht nur in der israelischen Politik ist eine deutliche Rechtsentwicklung und Verrohung zu beobachten. Auch in der Gesellschaft kann eine solche Tendenz beobachtet werden. Der bekannte israelische TV-Produzent Elad Barashi schrieb auf dem Nachrichtendienst X in einem mittlerweile gelöschten Tweet über die Menschen in Gaza: »Sie verdienen den Tod! Männer, Frauen und Kinder – egal wie, wir müssen einfach einen Holocaust an ihnen ausüben.« Er führte weiter aus, wie seine Mordphantasien umgesetzt werden sollen: »Gaskammern. Zugwaggons und andere grausame Formen des Todes für diese Nazis.« Seinen Job für den Netanjahu-nahen Sender Channel 14 verlor Barashi deshalb nicht. Statt sich von seiner Aussage zu distanzieren, schrieb er: »Ich entschuldige mich nicht, ich wünsche den Terroristen […] immer noch dasselbe.»

Die Journalistin Pauline Jäckels führt in der taz dazu aus: »Barashis Aussagen mögen in ihrer klaren Bezugnahme zu den Methoden der deutschen Nationalsozialisten schockieren. Wer aber den öffentlichen Diskurs in Israel verfolgt, dürfte eigentlich nicht überrascht sein, dass öffentliche Aufrufe zum Genozid gegen die Menschen in Gaza folgenlos bleiben. Barashis Holocaustfantasien reihen sich ein in zahllose Aufrufe israelischer Spitzenpolitiker […]«. Allein von Oktober 2023 bis Januar 2024 wurden von der palästinensischen Organisation Law for Palestine 500 Aussagen israelischer Politiker:innen dokumentiert, in denen gefordert wird, in Gaza einen Völkermord zu begehen.

Erschreckende Umfrageergebnisse

In einer repräsentativen Umfrage unter jüdischen Israelis sprachen sich »82 Prozent der Befragten für die Vertreibung der Bewohner des Gazastreifens aus, während 56 Prozent die Ausweisung palästinensischer Bürger aus Israel befürworten.« Mit 47 Prozent gaben fast die Hälfte der Befragten an, dass »die israelische Armee IDF bei der Eroberung einer feindlichen Stadt […] alle Einwohner töten sollte«. Eine weitere Umfrage der »Hebrew University« aus Jerusalem kommt zu dem Ergebnis, dass rund 75% der jüdischen Israelis der Aussage zustimmen, es gebe »keine Unschuldigen in Gaza«.

Aber woher kommt die hohe Zustimmung für den laufenden Genozid und die ethnischen Säuberungen sowohl im Westjordanland als auch in Gaza? Die Antwort im Jüdischsein der Isrealis zu suchen wäre nicht nur falsch, sondern auch antisemitisch. Sie liegt vielmehr in der Ideologie des Zionismus.

Die Kapitulation vor Antisemitismus

Der Zionismus ist eine politische Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts als Antwort auf den europäischen Antisemitismus entstand. Theodor Herzl, der Begründer des Zionismus, sah Antisemitismus nicht als eine Diskriminierungsform, die es zu bekämpfen gilt, sondern als ein natürliches und unabwendbares Phänomen an. 1895 schrieb er dazu in Paris: »Vor allem erkannte ich, wie sinn- und nutzlos der Versuch ist, den Antisemitismus zu bekämpfen«. Anders als revolutionäre Sozialist:innen, wie beispielsweise Rosa Luxemburg, selbst Jüdin, die gemeinsam mit nicht-jüdischen Arbeiter:innen in ihrer Heimat gegen Unterdrückung kämpften, bestand Herzls Lösung darin, dass jüdische Menschen ihre Heimat verlassen und einen eigenen Staat gründen sollten.

Damals wie heute suchten Zionist:innen die Nähe zu antisemitischen Kräften. Herzl erklärte, dass für die Errichtung eines jüdischen Staates »die Antisemiten unsere zuverlässigsten Freunde […] unsere Alliierten sein werden«.

Die Ursache des Konflikts

Der Ort für die Errichtung des Staates Israel, das historische Gebiet Palästina, war allerdings von einer mehrheitlich nicht-jüdischen Bevölkerung bewohnt. Den zionistischen Führern war bewusst, dass sie für ihre Idee eines rein jüdischen Staates die einheimische, nicht-jüdische Bevölkerung vertreiben mussten. Israels erster Premierminister, David Ben Gurion, sagte 1938 in einer Rede: »Lasst uns die Wahrheit untereinander nicht ignorieren […] politisch gesehen sind wir die Angreifer und sie verteidigen sich […] Das Land gehört ihnen, […] und aus ihrer Sicht wollen wir ihnen ihr Land wegnehmen.«

Im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 wurden dann auch über 700.000 Palästinenser:innen brutal aus ihrer Heimat vertrieben und ihr Land von zionistischen Siedler:innen gestohlen. Und dieser Landraub ist nicht abgeschlossen, wie die derzeitige Vertreibung von Palästinener:innen in Ost-Jerusalem, im Westjordanland und vor allem in Gaza beweist. Dort wo Palästinenser:innen (noch) nicht vertrieben wurden, hat sich ein System der Apartheid entwickelt, wie Amnesty International, Human Rights Watch und B’Tselem festgestellt haben.

Entmenschlichung als Folge

Der israelisch-amerikanische Professor für Holocaust- und Völkermordstudien Omer Bartov sagte Anfang August in der Frankfurter Rundschau, dass Israelis Palästinenser:innen aus »dem Kreis menschlicher Solidarität« ausgeschlossen hätten. Sie hätten in den Augen ihrer Unterdrücker:innen »keine Rechte, keine Würde, kein Lebensrecht«. Als Grund führt Bartov dafür die seit 1967 andauernde Besatzung des Westjordanlandes und Gazas an.

Genau wie Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen, die Netanjahu als das Problem benennt, greift auch Bartovs Analyse zu kurz, denn letztendlich identifizieren beide nicht die eigentliche Ursache der Probleme. Der palästinensische Journalist Ahmed Shihab-Eldin antwortete auf der Plattform X dagegen treffend auf Frederiksen: »Israel ist das Problem. Der Zionismus ist das Problem. Völkermord ist das Problem. Apartheid ist das Problem. Massenmord an Kindern ist das Problem. Ethnische Säuberungen sind das Problem. Kolonialismus ist das Problem. Netanjahu ist ein Symptom.«