Mit seiner Äußerung in einem ZDF-Interview am Rande des G7 Gipfels Mitte Juni, »das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle«, sorgte Kanzler Merz für Verwunderung und teils sogar für Empörung. Tatsächlich signalisierte sein polarisierender Satz seine indirekte Zustimmung zum Angriff Israels und der USA auf den Iran und seine Atomanlagen. Frank Dunne erklärt die Hintergründe.
Unter dem Namen »Operation Rising Lion« startete Israel in den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2025 Luftangriffe auf iranische Atomanlagen, die das Land für sein Atomprogramm nutzt: Urananreicherung, Konversionsanlagen und Brennelementfabriken.
Zudem bombardierte Israel Atomwissenschaftler und hochrangige Militärs. Eine Woche später griffen die USA ein und setzten bunkerbrechende Mega-Bomben, über die nur die USA verfügen, gegen die Atomanlagen ein. Die Angriffe töteten im Iran etwa 650 Menschen und verletzten 2.000 weitere.
Darf der Iran Atomwaffen haben?
Laut dem von den damaligen Atommächten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China 1968 initiierten Atomwaffensperrvertrag, dem Non Proliferation Treaty, hat der Iran kein Recht auf atomare Bewaffnung.
Dieser Vertrag verpflichtet die unterzeichnenden Staaten ohne Atomwaffen, keine Atomwaffen zu entwickeln oder anderweitig zu beschaffen. In diesem Sinne war eine Behörde geschaffen worden, die »Internationale Atomenergie-Organisation«, im Rahmen der UNO, die die jeweiligen Atomprogramme überwacht.
Der Vertrag verpflichtet allerdings auch die bestehenden Atommächte, ihr bestehendes Arsenal abzubauen. Das Ziel des Vertrages ist eine Welt ohne Atomwaffen.
Das heißt, die Atommächte verstoßen laufend gegen die von ihnen selbst als bindend bezeichneten Verträge. Noch 1996 bestätigte der Internationale Gerichtshof, dass Artikel VI des Vertrages sogar die rechtlich bindende Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung beinhaltet.
Doppelmoral: Israel besitzt selbst Atomwaffen
Israel hat den Vertrag nie unterzeichnet. Das bedeutet, dass Israel nicht verpflichtet ist, auf Atomwaffen zu verzichten und ihr Atomprogramm durch die IAEO überwachen zu lassen.
Es bedeutet aber auch, dass kein Staat, der den Vertrag unterzeichnet hat, Israel Material oder Technologie liefern darf, das zur Herstellung von Atomwaffen geeignet ist. Insofern verstoßen eine Reihe von Staaten gegen den Atomwaffensperrvertrag – insbesondere Frankreich, ohne dessen Unterstützung das israelische Atomprogramm nicht existieren würde.
Das schwedische Friedensforschungsinstitut SIPRI geht davon aus, dass Israel gesichert etwa 80 bis 200 nukleare Sprengköpfe besitzt und diese in Raketen, Flugzeugen und von Deutschland gelieferten U-Booten einsetzen kann.
Atomwaffen sind eine Bedrohung für die Menschheit
Die atomare Bewaffnung und Massenvernichtungswaffen Israels und anderer Staaten beweist ihren Willen, die Konkurrenzlogik des Kapitalismus auf die Spitze zu treiben und für Einflusssphären und Rohstoffsicherung nicht nur grausame Kriege zu führen, sondern dabei auch den massenhaften Tod von Menschen und bei einer Kriegseskalation sogar das Ende der Menschheit in Kauf zu nehmen.
Die nationale Standortlogik der kapitalistischen Wirtschaft führt zu immer weiteren Kriegen, mit verheerenden Folgen.
Grundsätzlich gehören Massenvernichtungswaffen auf den Müllhaufen der Geschichte. Weder der Iran noch irgendein anderes Land sollte Atomwaffen besitzen oder anstreben. Das rechtfertigt aber keineswegs den Angriff Israels und der USA und die politische Rückendeckung aus Deutschland und anderen westlichen Staaten.
Israel: »Drecksarbeit« als Wachhund des Westens im ölreichen Westasien
Es steckt augenscheinlich viel mehr hinter den Bombardierungen des Irans. Israel ist eine Atommacht, die seit fast zwei Jahren mit einer hochmodernen Militärmaschinerie einen Völkermord an der Bevölkerung Gazas betreibt, den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt hat und gleichzeitig den Libanon, Syrien, den Jemen und den Iran angegriffen hat – das alles mit der Unterstützung der militärisch höchstgerüsteten westlichen Länder. Die Begründung der ständigen Kriegshandlungen: Selbstverteidigung.
Die aggressive Vorwärtsverteidigung Israels ergibt sich aus der Rolle eines siedler-kolonialen Staates: gegründet von europäischen Siedlern auf gestohlenem Land, unter beständiger Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, steht Israel in einem ständigen Gegensatz zu palästinensischen Bevölkerung.
Das Projekt, ein »Land ohne Volk« für ein »Volk ohne Land« zu schaffen, war nur mit brutaler Gewalt und massiver Unterstützung der Kolonialmächte möglich – die selben Kolonialmächte, die die Ölreiche Region nach dem Ersten Weltkrieg nach ihren Interessen aufgeteilt, Regime eingerichtet, Diktatoren installiert haben.
Israel war dadurch von Anfang an der natürliche Verbündete der westlichen Imperialisten bei der Unterwerfung und Kontrolle der Ölregion. Die Atommacht ist der stets angriffslustige Wachhund, der für das westliche Staatenbündnis, inklusive Deutschland, die brutale, bluttriefende »Drecksarbeit« leistet – und das nicht erst seit Oktober 2023.
Wachhund der Westmächte
Bereits 1951 schrieb die israelische Zeitung Haaretz:
»Die feudalen Regime [im Nahen Osten] dort müssen solche Zugeständnisse an die nationalistischen Bewegungen machen, die manchmal eine ausgeprägte sozialistisch-linke Färbung haben … Daher hilft die Stärkung Israels den Westmächten, das Gleichgewicht und die Stabilität im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Israel soll zum Wachhund werden.
Es ist nicht zu befürchten, dass Israel eine aggressive Politik gegenüber den arabischen Staaten betreiben wird, wenn dies den Wünschen der USA und Großbritanniens ausdrücklich widerspricht. Sollten die Westmächte es jedoch aus irgendeinem Grund vorziehen, die Augen zu verschließen, könnte man sich darauf verlassen, dass Israel einen oder mehrere Nachbarstaaten bestraft, deren Unhöflichkeit gegenüber dem Westen die Grenzen des Zulässigen überschreitet.«
Und tatsächlich: Seit der Staatsgründung terrorisiert der israelische Staat nicht nur die palästinensische Bevölkerung, sondern auch die Nachbarstaaten, wenn diese westliche Interessen bedrohen.
So griff das Land 1956 zusammen mit Großbritannien und Frankreich Ägypten an, um die Kontrolle über den für die Weltwirtschaft extrem wichtigen Suezkanal zu erringen, nachdem dieser von Ägypten verstaatlicht worden war, beteiligte sich ab 1958 am französischen Kolonialkrieg in Algerien, beendete mit einem »Präventivkrieg« 1967 den Versuch des ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser, Ägypten und Syrien in einem »pan-arabischen« Staat zu vereinigen und bombardiert seit 1980 wieder und wieder den Iran und seine Nuklearanlagen.
Besonders auch in der jüngsten Vergangenheit attackierte Israel einige Nachbarstaaten. So griff das Land laut offiziellen Angaben der israelischen Armee allein seit Dezember 2024 mehr als 480 Ziele in Syrien an.
Der Nahe Osten bleibt umkämpft
Westasien inklusive der Arabischen Halbinsel und der Region um das Kaspische Meer ist nach wie vor eine der ölreichsten Regionen der Welt. Öl ist trotz der Klimakrise immer noch eins der wichtigsten Schmiermittel, die das kapitalistische System dringend benötigt. Mit dem Zugriff auf die Region und deren Ölquellen können Konkurrenten unter Druck gesetzt und geschwächt und die eigene Versorgung gesichert werden.
Und für Mächte, die Ambitionen haben, militärisch im imperialistischen Gefüge eine Rolle zu spielen, ist der gesicherte Zufluss von Öl unverzichtbar. Panzer, Kampfflugzeuge, Raketen und Drohnen stellen mit leerem Tank kein Drohszenario dar.
Und so konzentriert sich das Interesse der Weltmächte und einiger regionaler Mächte auf die strategische Ausweitung oder zumindest Bewahrung ihres Einflusses: USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China, Israel, die Türkei, Saudi-Arabien und nicht zuletzt der Iran mischen mit.
USA brauchen Israels »Drecksarbeit« mehr denn je
Iran ist ein wichtiges Land für die chinesische Ölversorgung: In diesem Jahr wurden mehr als 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag aus dem Iran nach China exportiert. Spätestens seit dem »Project for a new American Century« der US-Administration von Bush Jr. ab dem Jahr 2000 ist die US-Politik in der Region darauf ausgerichtet, die Kontrolle über die Region zu einem Instrument in der geopolitischen Auseinandersetzung mit China zu nutzen.
Die US-Niederlagen in Afghanistan und im Irak haben allerdings dem chinesischen Staat ermöglicht, mehr Einfluss in der Region zu gewinnen. Der chinesischen Diplomatie ist es jüngst sogar gelungen, eine Partnerschaft zwischen den beiden verfeindeten Staaten Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln – eine Entwicklung, die den Interessen Washingtons zuwiderläuft. Israel und seine »Drecksarbeit« sind wichtiger für die US-Strategie denn je.
Besonders seit der Eskalation des Palästina-Konflikts mit dem Ausbruch antikolonialer Gewalt am 7. Oktober 2023 und dem Sturz der Assad Diktatur in Syrien ist die Situation sehr dynamisch und unberechenbar. Berechenbar ist nur eins: Weil das Interesse so vieler Mächte auf dieser Region liegt, droht, dass diese Region durch die imperialistische Konkurrenz weiter das Schlachtfeld ihrer Machtansprüche bleibt.
Ein Gegenentwurf zur »Drecksarbeit« kann nur die Aktivität der Massen von unten gegen »ihre« regionalen Machthaber sein, die den jeweiligen imperialistischen Mächten zuarbeiten. Unsere Perspektive lautet „Befreiungsarbeit“ statt »Drecksarbeit«!
Friedliche Nutzung der Atomtechnologie?
Bei seiner Atomforschung beruft sich der Iran auf das im Atomwaffensperrvertrag verbriefte Recht auf friedliche Nutzung von Atomtechnik, etwa zur Stromerzeugung oder medizinischen Zwecken.
Doch es ist so gut wie unmöglich, eine friedliche von einer militärischen Nutzung zu trennen. Die IPPNW, Internationale Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzt:innen in sozialer Verantwortung e. V., schreiben in ihrer Informationsbroschüre »Bombenrisiko Atomkraft«
»Wer für die Energieversorgung auf Atomkraft setzt, schafft oder erhält damit immer auch Optionen zum Bau von Atomwaffen. Über je mehr Spaltmaterial, Atomanlagen und nukleartechnisches Know How ein Staat oder eine Organisation verfügt, desto besser ist er beziehungsweise sie in der Lage, dies auch für militärische Zwecke zu nutzen. Zivile Atomkraft schafft auf längere Sicht sogenannte ‘virtuelle Atomwaffenmächte’.«
Und weiter:
»Der Run auf die Bombe begründete einst den großen Einstieg in Atomforschung und -technik; die Nutzung der Kernspaltung zur Energiegewinnung war eher ein Abfallprodukt dieser Anstrengungen. Inzwischen sind zivile Atomprogramme mit ihren sensitiven Technologien und Materialien wiederum die Grundlage für einen stets möglichen Weg zur Atombombe geworden. Einige Staaten haben das schon erfolgreich vorgemacht. Für andere ist die Aussicht, zur Atommacht aufsteigen zu können, mit ein Grund für ihr großes Interesse am Einstieg in die Atomkraftnutzung. Wer die nukleare Proliferation, also die Weiterverbreitung atomwaffenfähiger Materialien und Anlagen, wirksam verhindern will, muss auch darauf hinarbeiten, die dual-use-fähige zivile Atomkraftnutzung zu beenden. Der erste und glaubwürdigste Schritt in diese Richtung ist der eigene Einsatz für den Atomausstieg.«
Bildnachweis: Die Atomanlagen von Isfahan nach den Bombardierungen, CC BY 4.0 Attribution 4.0 International