Nach ersten Demonstrationen gegen den von Präsident Macron ernannten rechten Premierminister Barnier bereiten Gewerkschaften nun Aktionstage vor. Von John Mullen
Genau wie Trump hat auch Macron wenig Respekt vor der Demokratie. Nach dem Sieg der Linken gegen die Rechte und gegen die Faschist:innen im Juni und angesichts eines Parlaments, in dem das Linksbündnis, die Neue Volksfront NFP, bei den Wahlen die meisten Abgeordneten stellte, ernannte der Präsident einen Premierminister von der Verliererseite. Denn die Linke hatte versprochen, seine Angriffe auf die Renten rückgängig zu machen und den Mindestlohn zu erhöhen, neben vielen anderen Dingen.
Nachdem sich der französische Präsident acht Wochen lang geweigert hatte, einen Premierminister zu ernennen, entschied er sich nun für den alten, rechtsgerichteten Parteisoldaten Michel Barnier. Die Tatsache, dass er alt ist (73), ist keine wirkliche Überraschung. Das Amt ist wie ein Schleudersitz, so dass man jemanden brauchte, der keine Karriere mehr zu riskieren hatte (der vorherige Premierminister Gabriel Attal war erst 35 Jahre alt).
Barnier ist rassistisch und homophob
Barnier ist dafür bekannt, dass er 1981 gegen die Legalisierung der männlichen Homosexualität stimmte. Vor einigen Jahren war er Chefunterhändler für das Abkommen über den Brexit mit dem Vereinigten Königreich. Er war auch Landwirtschaftsminister und Außenminister in der Zeit des konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Vor einigen Jahren überraschte er mit seinem Vorschlag für eine drakonische, rassistische Einwanderungskontrolle diejenigen, die ihn für einen gemäßigten Politiker gehalten hatten. Er gehört einer Partei an, Les Républicains, die in der ersten Runde der Wahlen im Juni 6,6 Prozent der Stimmen erhielt und 50 Abgeordnete in der Nationalversammlung hat (die Neue Volksfront hat 160).
Sophie Binet, Vorsitzende des einflussreichen Gewerkschaftsbundes CGT, erklärte, die Ernennung Barniers zeige „die Verachtung für die Entscheidung der Wähler:innen“. Thomas Portes, Abgeordneter von La France Insoumise, ein Eisenbahner, der für sein Engagement in der Palästina-Solidaritätsbewegung bekannt ist, kommentierte: „Der politische Kompass von Michel Barnier ist sein Hass auf das Volk.“ Barnier schien seinen Elitismus heute zu bestätigen, indem er behauptete, er werde „die Menschen unter uns“ berücksichtigen.
Barnier ist Macrons zweite Wahl
Er war bei weitem nicht die erste Wahl Macrons. Wenn sich das Linksbündnis gespalten hätte und ein sozialliberaler sozialistischer Premierminister genug Unterstützung von der Rechten erhalten hätte, um zu überleben, wäre es für Macron einfacher gewesen. Die gespaltene Führung der Sozialistischen Partei stimmte jedoch letzte Woche knapp gegen eine Regierung unter Bernard Cazeneuve, der die Sozialistische Partei vor zwei Jahren verlassen hatte, aber in ihrer Tradition blieb.
Ohne unmittelbare Aussicht auf eine Spaltung des Linksbündnisses zog Macron es vor, sich für einen offen rechtsgerichteten Politiker zu entscheiden. Barnier kündigte sofort an, dass seine Prioritäten Recht und Ordnung sowie die Begrenzung der Einwanderung seien. Er sagte auch, dass es „Veränderungen und Brüche“ geben werde, aber ob nach links oder nach ganz rechts, sagte er nicht.
Die Krise wird anhalten
Die Ernennung Barniers eröffnet eine neue Phase in der tiefen politischen Krise in diesem Land, aber es ist noch lange nicht die letzte. Barnier wird enorme Schwierigkeiten haben, im Parlament eine Mehrheit für eine Gesetzgebung zu bekommen. Er könnte schnell eine Vertrauensabstimmung verlieren, wenn das Parlament am 3. Oktober wieder zusammentritt.
Die Medien stellen ihn als „Konsenspolitiker“ dar. In Wirklichkeit hofft er darauf, dass die Stimmen der rund 140 faschistischen Abgeordneten ihm helfen werden, zu überleben. Er wird also mit Fantasien über die Bedrohung der französischen Identität durch die Einwanderung usw. aufwarten. Das wird wohl nicht funktionieren: Marine Le Pen ist nicht bereit, die Juniorpartnerin eines diskreditierten Präsidenten zu spielen, auch wenn sie im Moment eine abwartende Haltung verkündet. Alle Parteien der Neuen Volksfront haben erklärt, dass sie einen Misstrauensantrag stellen werden, sobald das Parlament wieder zusammentritt.
Der scheidende Macron-Premierminister Gabriel Attal sagte: „Die französische Politik ist krank, aber es gibt ein Heilmittel, vorausgesetzt, wir wenden uns vom Sektierertum ab“. Mit „Sektierertum“ meint er den Wunsch nach echtem Wandel, höheren Löhnen, Steuern für Wohlhabende und die Bekämpfung von Rassismus und Islamophobie.
Widerstand gegen Barnier und Macron
Der Widerstand beginnt sich zu organisieren. La France Insoumise (Frankreich in Aufruhr) und eine Reihe von Jugendorganisationen riefen für den Samstag nach Barniers Ernennung landesweit zu über 150 Demonstrationen zur Verteidigung der Demokratie auf. Auch die Grüne Partei rief dazu auf, sich diesen Demonstrationen anzuschließen. Die Sozialistische Partei hingegen lehnte es ab, sich der Mobilisierung anzuschließen.
Es ist unmöglich, die Politik und die Prioritäten der Neuen Volksfront zu charakterisieren, ohne einen Blick auf die Parteien zu werfen, aus denen sie sich zusammensetzt und die keineswegs fusioniert haben. La France Insoumise ist die radikalste, dynamischste und entschlossenste der vier Parteien der NPF. Sie hat eine Kampagne zur Amtsenthebung Macrons gestartet, weil er die Wahlergebnisse nicht respektiert hat. Die Kommunistische Partei, die Sozialistische Partei und die Grünen unterstützen dies nicht.
Die französische Verfassung verbietet die Neuwahlen vor Juni nächsten Jahres, so dass es sich um eine lange Krise handeln wird. Ermutigt durch das massive Votum für das NFP-Programm im Juni, das die Rücknahme der Angriffe auf Renten und Arbeitslosenunterstützung, Legalisierung für Migrant:innen ohne Papiere und Lohnerhöhungen für Niedriglöhner:innen vorsieht, kündigen die Gewerkschaftsführungen für Anfang Oktober Aktionstage an. Um die Umsetzung der Dutzenden ausgezeichneter Reformen des NFP-Programms zu erzwingen, muss der Widerstand der Arbeiterbewegung jedoch weit über das hinausgehen, was den nationalen Gewerkschaftsführungen vorschwebt.
Widerstand im Parlament und auf der Straße
Es besteht keine Notwendigkeit, die Tätigkeit im Parlament gegen diesen Widerstand auf der Straße und am Arbeitsplatz auszuspielen. Natürlich ist Letzteres letztlich entscheidender. Aber es ist dem Wahlbündnis und der massiven Kampagne gegen die Wahl von Le Pen zu verdanken, dass wir heute in Frankreich keine faschistische Regierung haben. Und parlamentarische Arbeit kann wichtig sein. Der Erfolg der parlamentarischen Linken, die Faschist:innen aus dem Präsidium des Parlaments herauszuhalten, hat seine Bedeutung. Das von der Linken dominierte Präsidium wird keine Abgeordneten suspendieren, die in der Versammlung palästinensische Flaggen zeigen, wie es im letzten Jahr der Fall war. Je weniger Faschist:innen in institutionellen Positionen sitzen, desto besser.
Wenn Macron damit durchkommt, die Wahlergebnisse zu ignorieren, ohne dass es zu einem Massenaufstand kommt, wird Le Pen in ihrem Kampf, die Demokratie durch etwas viel Unheilvolleres zu ersetzen, sehr gestärkt sein. Antikapitalist:innen müssen die sehr begrenzte Demokratie, die uns das Parlament gibt, energisch verteidigen. Wir müssen eine linke Regierung fordern, da die Linke bei den Wahlen als erste gewählt wurde. Und die Kampagne zur Amtsenthebung Macrons wegen seiner Missachtung demokratischer Verfahren muss unterstützt werden.
John Mullen ist Marxist und Aktivist bei La France Insoumise in der Region Paris. Seine Website lautet randombolshevik.org. Foto: Marie Lise Mullen