Gesetzesinitiativen, Transmenschen die Geschlechtsanpassung zu erleichtern, werden von rechts – und traurigerweise auch von links – angegriffen. Laura Miles legt dar, warum sich Sozialist:innen den Angriffen widersetzen müssen
Dieser Artikel wurde 2019 auf marx21.de veröffentlicht
Belästigt, attackiert, getötet – weltweit werden Transmenschen regelmäßig Opfer von Gewalttaten – bis hin zum Mord. Im Jahr 2018 wurden 369 Transmenschen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität ermordet. Im Jahr 2017 waren es 325, wiederum mehr als im Jahr davor. Diese Zahlen umfassen nicht die wesentlich höheren Zahlen von Selbsttötung.
Die meisten Mordopfer sind Transfrauen, obwohl auch Transmänner dazu zählen sowie Menschen, die sich als nichtbinär, also nicht oder nicht ausschließlich als Frau oder Mann identifizieren. Die meisten Opfer sind arm und nicht „weiß“. Etwa 60 Prozent arbeiten im Sexgewerbe – was auf die Marginalisierung und die Bedürftigkeit vieler Transmenschen hinweist.
Politische Angriffe auf LGBT+
Die vermehrten Hassverbrechen an lesbischen, schwulen, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen (LGBT+) spiegeln die wachsenden politischen Angriffe auf Trans- und LGB-Rechte wider. Verbale und mediale Angriffe befeuern tätliche Übergriffe. Trans- und Homophobie haben parallel zu dem Aufstieg der Rechten in einer Reihe von Ländern zugenommen.
Während des Präsidentschaftswahlkampfs Jair Bolsonaros in Brasilien wurde eine Transfrau ermordet und eine weitere von rechtsradikalen Schlägern schwer verletzt. Als eine der ersten Amtshandlungen entzog Bolsonaro dem neuen Menschenrechtsministerium die Zuständigkeit für die Angelegenheiten von lesbischen, schwulen, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen. Er nannte keine Behörde, die künftig für deren Angelegenheiten zuständig ist.
In Ungarn greifen Faschisten Pride-Märsche an und Viktor Orbáns rechtsextreme Regierung hat das Studienfach Genderforschung verboten, weil die „Genderideologie“ eine marxistische Verschwörung zur Untergrabung traditioneller Werte sei.
Donald Trump hat als eine seiner ersten Amtshandlungen Transmenschen aus der Armee verbannt und seitdem den nationalen Diskriminierungsschutz für lesbische, schwule, bi-, trans- oder intersexuelle Beschäftigte gestrichen. Seine jüngste und verheerendste Drohung ist die Neudefinition von Geschlecht. Nach dem Willen der Trump-Administration soll das Geschlecht unveränderlich bei der Geburt anhand der Genitalien eines Säuglings als „männlich“ oder „weiblich“ festgelegt werden und im Laufe eines Lebens nicht mehr verändert werden dürfen. Diese neue Definition würde die rechtliche Anerkennung von ungefähr 1,4 Millionen Menschen „ausradieren“, die amtlich anerkannt nicht mehr in dem Geschlecht leben, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurden.
Transphobie und Transrechte in Europa
Transphobie ist ein weltweites Phänomen kapitalistischer Gesellschaften, aber die Gesetzgebung unterscheidet sich von Staat zu Staat beträchtlich. Die Lage in Europa kann mit einem kurzen Satz aus dem Bericht von „Transgender Europe“ aus dem Jahr 2016 zusammengefasst werden: „Es gibt kein sicheres Land für Transmenschen“. Und das trotz der Einführung neuer Gesetze in jüngerer Vergangenheit in einer Reihe von Ländern. So haben in den vergangenen Jahren mehrere europäische Länder – Großbritannien, Irland, Frankreich, Deutschland, Malta, Dänemark – lesbisch-, homo-, bisexuell- und transfreundliche Gesetze auf dem Gebiet der Lebenspartnerschaften, der gleichgeschlechtlichen Ehe, der Hassverbrechen und der Geschlechtsanerkennung verabschiedet.
Auch wenn die Gesetze teilweise die Rechte und den Schutz von lesbischen, schwulen, bi-, trans- oder intersexuellen Menschen am Arbeitsplatz und in der Zivilgesellschaft stärken, finden diese kaum konsequent und mancherorts gar keine Anwendung. Übergriffe auf und Belästigung von Transmenschen sind in Europa genauso alltäglich wie in der übrigen Welt. In den Jahren 2008 bis 2016 wurden 123 Transmenschen in europäischen Ländern ermordet.
Untersuchungen zeigen, dass fast jede Transperson, die sich als solche zu erkennen gibt oder als solche „geoutet“ wurde, Opfer von Anfeindungen, Misshandlung oder Gewalt ist. Junge Transmenschen, vor allem jene, die in der Sexarbeit tätig oder Migranten und/oder Schwarze sind oder aus Asien stammen, tragen ein noch höheres Risiko, diskriminiert, angefeindet oder tätlich angegriffen zu werden.
Trotz dieser erschreckend hohen Zahlen haben nur etwa ein Dutzend europäischer Staaten Gesetze, die transphobe Gewalt explizit verbieten.
Einige skandinavische Länder haben eine relativ transfreundliche Gesetzgebung eingeführt. Nach über einem Jahrzehnt entschlossener Kampagnentätigkeit von Aktivisten und Aktivistinnen verabschiedete das norwegische Parlament Mitte 2016 ein Gesetz, das es Transmenschen erlaubt, ihren Geschlechtsstatus selbst zu definieren. Damit ist Norwegen einer von nur vier Staaten, neben Dänemark, Irland und Malta, in denen die Registrierung der Geschlechtsidentität völlig unabhängig von medizinischen (ob körperlichen oder psychiatrischen) Untersuchungen oder Eingriffen möglich ist. Außerhalb Europas gestatten Kolumbien, Argentinien und der US-Bundesstaat Kalifornien die Selbstdefinition.
Aber das übrige Europa hinkt weit hinterher. Und manche Länder haben fast gar keine Fortschritte gemacht. In Ungarn, Zypern, Moldawien und Albanien sind chirurgische Eingriffe zur Anpassung der Geschlechtsidentität verboten, und Ungarn und Albanien haben die Kategorie Transgender nicht im Gesetz.
Lage für Transmenschen in Deutschland
Wie ist die Situation in Deutschland? Die „Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität“ geht von 60.000 bis 100.000 Transpersonen in Deutschland aus. Die Zahl der Hassverbrechen an Lesben, Schwulen und Transmenschen bleibt auch in Deutschland erschreckend hoch, wie die Ergebnisse einer jüngsten Anfrage im Bundestag zeigen. Gemeldet wurden im letzten Jahr 313 Straftaten. Aber die Dunkelziffer ist wesentlich höher. MANEO, das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, nennt die Zahl von 324 Übergriffen allein in der Hauptstadt im Jahr 2017.
In Deutschland wirken sich vor allem zwei Gesetze auf das Leben und die Hoffnungen von Transmenschen aus: Zum einen das im Jahr 1981 verabschiedete Transsexuellengesetz (TSG), das Menschen die Möglichkeit eröffnet, ihren Namen, die Geburtsurkunde und weitere Dokumente zu verändern, und ihnen Zugang zu medizinischer Hilfe einschließlich chirurgischen Eingriffen zur Unterstützung ihres Geschlechts verschafft – allerdings unter strengen Voraussetzungen wie gerichtlichen Anhörungen und medizinischen Gutachten.
DIE LINKE schreibt zu Recht: „Nach fast vier Jahrzehnten Erfahrung mit dem Transsexuellengesetz hat sich jedoch gezeigt, dass Transsexuelle in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt werden und dass ihr Recht auf (geschlechtliche) Selbstbestimmung verletzt wird. Dem TSG liegt ein biologischer Geschlechterbegriff zugrunde, der den Bedürfnissen von transsexuellen Menschen nicht gerecht wird und die Probleme der Betroffenen nicht erfasst.“
Fremdbestimmung und Pathologisierung
Im Jahr 2013 beschloss jedoch der Bundestag, dass ein Verzicht auf Eintragung des Geschlechts in das Geburtenregister und auch eine nachträgliche Löschung zulässig seien, was ein Fortschritt für Intersex- und nichtbinäre Menschen ist. Nachdem im Jahr 2017 das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das Personenstandsrecht einen weiteren positiven Geschlechtseintrag zulassen muss, beschloss der Bundestag Ende 2018, dass im Geburtenregister neben „männlich“ und „weiblich“ auch die Option „divers“ wählbar sein muss. Allerdings ist hierfür in der Regel ein ärztliches Attest erforderlich.
Selbstfestlegung oder Selbsterklärung gilt nicht für Transmenschen in Deutschland. Trans zu sein wird nach wie vor als eine Art geistiger Krankheit betrachtet. Eine Änderung des Geschlechts setzt nach den bestehenden rechtlichen Regelungen des Transsexuellengesetzes eine Begutachtung durch Sachverständige voraus. In der Praxis ist dies ein sehr langwieriges, strenges und entwürdigendes Diagnoseverfahren. Die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung schreibt: „Das Prozedere einer Körperveränderung ist in Deutschland mit obligatorischer Psychotherapie, Alltagstest, Kostenübernahmeverfahren und Begutachtung sehr langwierig. Häufig werden medizinische Behandlungen an trans* Personen ohne oder nur mit wenig Mitspracherecht durchgeführt. Die Behandlungen orientieren sich oft statt an persönlichen Bedürfnissen und Wünschen an sozialen Erwartungen und rechtlichen Bestimmungen und haben schwerwiegende Folgen für das Leben der trans* Personen.“
Im Mai dieses Jahres legte die Große Koalition nun einen Gesetzentwurf vor, mit dem sie das Transsexuellengesetz reformieren will. Doch die Reform verbessert nichts – beim Geschlechtseintrag werden Menschen auch künftig fremdbestimmt und pathologisiert. Statt zwei Gutachten wie bislang, soll es zwar jetzt nur noch eine Beratung geben, doch ein gerichtliches Verfahren bleibt immer noch notwendig. Zudem findet diese sogenannte Beratung bei denselben Psychologinnen und Ärzten statt, die auch die Gutachten erstellt haben. Auch wenn der Prozess nun Beratung statt Begutachtung genannt werden soll, bleibt der Inhalt der gleiche. Am Ende der Beratung soll kein Gutachten erstellt werden, sondern eine „begründete Bescheinigung“ darüber, „ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet“.
Die neuen Regeln würden Betroffene somit weiter fremdbestimmen. Zurecht kritisiert Doris Achelwilm, Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik der LINKEN im Bundestag den Entwurf als „Schmalspurlösung“. Er werde „dem Ziel geschlechtlicher Selbstbestimmung nicht gerecht und setzt den staatlichen Anspruch gegenüber trans*-Menschen, sich prüfen und pathologisieren zu lassen, fort“, erklärte Achelwilm.
Ideologischer Krieg gegen Transmenschen
In fast allen Ländern, so auch in Deutschland, sind es die radikale und die religiöse Rechte die Transrechte und „Genderideologie“ zu einem ihrer Hauptziele erklärt haben.
Im Mittelpunkt dieses ideologischen Kriegs der Rechten steht der Versuch zu verhindern, dass sich Menschen mit unterdrückten Gruppierungen solidarisieren. Stattdessen wollen sie auf Nation, „Rasse“ und traditionellen Familienwerten gründende Identitäten fördern.
Einige rechte religiöse Transphobe, vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien, arbeiten mithilfe von säkularen Frontorganisationen wie „Hands Across the Aisle“ (HATA – Wir reichen uns die Hand). Sie organisieren Kampagnen gegen die rechtliche Gleichstellung von Transmenschen und hängen ihrer Heuchelei das Mäntelchen eines scheinbaren Liberalismus um.
Aber auch manche Linke schließen sich der rechten Argumentation an. In Großbritannien wurde die Organisation „A Woman’s Place UK“ (WPUK) von transkritischen Feministinnen in der Lehrergewerkschaft NUT und der Dienstleistungsgewerkschaft PCS gegründet. Sie behaupten, die Transelbstidentifizierung und die Anerkennung nichtbinärer Identitäten, seien ein Angriff auf Frauenrechte und würden Nicht-Transfrauen einem größeren Risiko männlicher Gewalt und Belästigung aussetzen.
Manche Feministinnen sehen Transfrauen nicht als „echte Frauen“ an, weil sie immer noch männliche Geschlechtsteile besitzen. So schreibt Katharina Maunz in ihrem Beitrag: „Warum Radikalfeminismus nicht ´transfeindlich´ ist“: „Menschen mit männlichen Geschlechtsteilen, ergo Männer (egal wie sie sich fühlen oder geben) kann ich in meine radikalfeministischen Kämpfe nicht miteinbeziehen, weil sie aufgrund ihrer spezifischen biologischen und somit sozialen Situation eine strukturelle Unterdrückung niemals erfahren.“
Geschlechtlichkeit ist nicht-binär
Die spalterische und pessimistische Ansicht, wonach Rechte für Trans- und nichtbinäre Personen ein Angriff auf die hart erkämpften Frauenrechte seien, spielen rechten Argumenten direkt in die Hände. Dies ermöglicht es Menschen, die gegen Frauenrechte sind, sich als profeministisch auszugeben, wenn sie Transrechte im Namen der „unanfechtbaren Realität“ des Zweigeschlechtlichkeit und der biologischen Grundlage von Geschlecht angreifen.
Im Gegensatz zu geläufigen essenzialistischen Behauptungen sowohl transkritischer Rechter wie transkritischer Linker ist sogar das angeblich biologisch angelegte Geschlecht und nicht nur das gesellschaftlich konstruierte nichtbinär. In ihrem jüngst erschienenen Artikel „Why Sex is Not Binary“ in der New York Times argumentiert die Biologin Anne Fausto-Sterling, dass Geschlecht wesentlich komplexer ist als die einfache zweigeteilte chromosomale Unterscheidung.
Fausto-Sterling meint, eine strikt binäre Definition von männlich und weiblich gesetzlich festzulegen, sei sowohl moralisch als auch wissenschaftlich falsch. Seit Jahrzehnten argumentiert sie, zusammen mit anderen Biologen wie Keith Moore (oder in Deutschland Ulrike Klöppel und Heinz-Jürgen Voß), dass es keinen isolierten Maßstab gibt, anhand dessen Menschen einer von zwei Geschlechtskategorien eindeutig zugeordnet werden können. Es gibt mehrere Ebenen von Geschlecht – chromosomale, fötal-gonadale, fötal-genitale, interne reproduktive, pubertär-hormonale, pubertär-morpholigische –, die alle durch das Zusammenspiel entgegenwirkender Gennetzwerke vermittelt werden. Das sollte der Idee, wonach ein einfacher genetischer Test wirklich aussagekräftig sei, einen Riegel vorschieben. Gegenteilige Behauptungen wurzeln vielmehr in der Politik und der Ideologie als in der Wissenschaft.
Jene Sozialisten und Feministinnen, die sich solche Argumente zu eigen machen und Transfrauen absprechen, Frau zu sein, und Transmännern, Mann zu sein, geben Reaktionären, die die Uhren sowohl in Bezug auf LGBT+ als auch auf Frauenrechte zurückdrehen wollen, Schützenhilfe von links.
Gemeinsame Kämpfe gegen Unterdrückung
Frauenkämpfe und Kämpfe von Transmenschen zu trennen, schwächt beide. Die irische Erfahrung zeigt, wie es anders geht: Mit gemeinsamen Kämpfen von Frauen und Transmenschen können Fortschritte durchgesetzt und Rechte verteidigt werden. Nachdem in der Republik Irland im Jahr 2015 das Gesetz zur Geschlechtszugehörigkeit und gleichgeschlechtlicher Ehe erkämpft worden war, errang die Kampagne zur Liberalisierung der Gesetze zu Schwangerschaftsabbruch einen verblüffenden Sieg. An dieser Kampagne waren Feministinnen, Gewerkschafter, Sozialistinnen und Transaktivisten beteiligt.
Für mich als Marxistin ist wichtig zu betonen, dass es strukturelle wie materielle Gründe für Unterdrückung in Klassengesellschaften gibt. Ich kritisiere die „Identitätstheorie“ (wie auch die „Privilegientheorie“), weil hier die Frage der Klasse und des Klassenkampfs heruntergespielt wird und sehr begrenzte individuelle statt kollektiver Widerstandsstrategien angeboten werden.
So wie unsere Sexualität ist auch unsere Geschlechtsidentität eine tiefsitzende Realität und keine „Laune“ oder ein „Gefühl“. Sie entsteht in dem Geflecht komplexer Interaktionen zwischen unserem Bewusstsein als eigenständige Individuen, unserem physischen Körper und wie wir diesen wahrnehmen, den Erwartungen anderer und unseren materiellen Bedingungen.
Sozialist:innen sollten bedingungslos das Recht unterdrückter Menschen unterstützen, ihre Sexualität und Geschlechtsidentität auszudrücken. Wenn die Rechten Identitätstheorien angreifen, indem sie dem Kampf gegen Unterdrückung die Legitimität absprechen, dürfen Linke niemals Argumente gegen Transrechte übernehmen, die die Tür für rechte Angriffe öffnen.
Bedingungslose Solidarität mit den Unterdrückten bedeutet, die Transselbstidentifizierung und die nichtbinäre Geschlechtszugehörigkeit ohne Wenn und Aber zu unterstützen.
Laura Miles ist Sozialistin aus Großbritannien. Sie ist Autorin des Buchs „Transgender Resistance“.
Übersetzt aus dem Englischen von David Paenson.