Zwei Jahre Ukrainekrieg: Alarmstimmung im Westen

Von Alex Callinicos

Der zweite Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine wird von einer seit dem Kalten Krieg beispiellosen Panik in den europäischen Hauptstädten begleitet. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen hat die Nato erkannt, dass sie die Stärke Russlands unterschätzt hat, als sie ihre militärische Unterstützung für Kiew als Reaktion auf den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine ausweitete. Das ist der Grund für die Warnungen vor einem Krieg zwischen Russland und der Nato, wie sie als Erste Grant Shapps, Verteidigungsminister der Torys, und der britische Chef des Generalstabs, Patrick Saunders, ausgesprochen haben.

Russlands „Landstreitkräfte sind in der Ukraine geschwächt worden, aber seine Luftwaffe und seine Kriegsmarine sind weitgehend intakt, und nicht zu vergessen ist Russland immer noch eine bedeutende Atommacht“, sagte ein britischer Vertreter des militärischen Nachrichtendienstes der Financial Times. „Geschwächt“ oder nicht – Moskaus Truppen haben soeben die ukrainische Armee zur Aufgabe ihres Brückenkopfs bei Awdijiwka, nahe der von Russland kontrollierten Stadt Donezk in der Ostukraine, gezwungen.

Die Financial Times kommentierte: „Ein Grund für die Alarmstimmung bei westlichen Politikern ist Russlands Wiederbelebung seines industriellen Verteidigungsapparats im vergangenen Jahr, und das in einer Geschwindigkeit, die viele im Westen nicht für möglich gehalten hätten. Russland hat in einem Jahr vier Millionen Artilleriegeschosse und mehrere Hundert Panzer hergestellt. Laut Prognose ukrainischer Regierungsvertreter werden in diesem Jahr 400.000 weitere Männer eingezogen werden, was immer noch keine Vollmobilisierung bedeutet.“

Zum anderen folgt der Tod des rechtsliberalen Oppositionsführers Alexej Nawalny in einem sibirischen Straflager dem ebenfalls verdächtigen Tod von Jewgeni Progoschin, der im vergangenen Sommer einen militärischen Aufstand gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin angezettelt hatte. Es gibt weitere Anzeichen für ein hartes Durchgreifen in Russland. Boris Nadeschdin, der als Antikriegskandidat zu den Präsidentschaftswahlen im kommenden Monat antreten wollte, wurde nicht zugelassen. Ein weiterer Kritiker von Putins Krieg, der marxistische Soziologie Boris Kagarlitzki, wurde von einem Militärgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt, absurderweise wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“.
Ob dieses Vorgehen Putins nun Zeichen von Selbstbewusstsein oder Angst ist, sei dahingestellt, in jedem Fall zeigt es, dass er nicht aufgibt. Auf der Seite des Westens zeigt sich die Schwäche deutlicher. Europas riesiger verarbeitender Industrie ist es nicht gelungen, auf die Herstellung der Waffen und der Munition, die die Ukraine braucht, umzustellen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, fordert jetzt die staatliche Subventionierung der Waffenproduktion und bricht dabei mit dem in Brüssel herrschenden Dogma der freien Marktwirtschaft.

Die Regierenden rüsten zum Krieg

Gleichzeitig hängt das neue militärische Hilfspaket Joe Bidens für die Ukraine wegen der Opposition der Republikaner im Senat fest. Interessanterweise rufen gerade die Neoliberalen immer lauter nach mehr Unterstützung für Kiew.

Zanny Minton Beddoes, Chefredakteurin des freimarktwirtschaftlich ausgerichteten Economist, sagte dem Politsatiriker Jon Stewart, dass „Unterstützung der Ukraine, Geld für die Ukraine die billigste Weise für die USA ist, ihre Sicherheit zu verstärken. Die Ukrainer:innen erledigen das Kämpfen, sie sind es, die getötet werden. Die USA und Europa beliefern sie mit Waffen, und damit setzen wir uns gegen Putin zur Wehr.“

Martin Wolf von der Financial Times belehrt uns hochtrabend, dass die „,Ukrainemüdigkeitʻ unentschuldbar“ sei. Was auch er eigentlich meint, ist: „Die Unterstützung der Ukraine ist zudem billig. Kein westlicher Soldat riskiert sein Leben. Die zu vereinbarenden Summen belaufen sich auf weniger als 0,25 Prozent des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts von EU, Großbritannien und den USA.“

Kommentare wie diese sind eine Bestätigung dafür, dass Socialist Worker absolut recht hatte, diesen Krieg von Anfang an als einen Kampf zu beschreiben, bei dem die USA und ihre Verbündeten die Ukraine als einen Stellvertreter bewaffnen und beraten, um einen gefährlichen Rivalen zu schwächen. Sie dachten, wie Beddoes meinte, sie könnten Putin auf billige Weise zurückdrängen.

Der russische Einmarsch in die Ukraine ist keinesfalls zu rechtfertigen. Trotz der Geschichtsfälschung Putins in seinem kürzlichen Interview mit dem ultrarechten US-Journalisten Tucker Carlson haben die Ukrainer:innen das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Aber auch die Reaktion des Westens ist nicht zu rechtfertigen. Die Ukraine wird zerrissen in dem Kampf zweier imperialistischer Titanen.
Es ist inzwischen bekannt, dass Boris Johnson in den ersten Wochen des Kriegs ein mögliches Abkommen zwischen Kiew und Moskau sabotiert hat. Es gibt nun Gerüchte, dass ein neuer Vorschlag Putins für einen Waffenstillstand in den westlichen Hauptstädten abgelehnt wurde. Dieser verheerende Krieg kann nur durch Druck der Massen auf beiden Seiten beendet werden.


Alex Callinicos ist Mitglied des Central Committee der Socialist Workers Party in Großbritannien.

Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.

Titelbild: flickr