Jalta Konferenz: Churchill, Stalin, Roosevelt

Zweiter Weltkrieg: Ein antifaschistischer Krieg?

Der Zweite Weltkrieg wird häufig als antifaschistischer Krieg bezeichnet. Doch die Haltung der Alliierten zum Faschismus war eher ambivalent, meint Stefan Ziefle

Am 8. Mai feierte die Bundesregierung gemeinsam mit ihren wichtigsten Nato-Verbündeten die Befreiung Deutschlands vom Terror des Nationalsozialismus – zu Recht. Aber anlässlich des Jahrestags propagierten sie ein Bild des Zweiten Weltkriegs, das so nicht ganz richtig ist: Die »freie Welt«, also hauptsächlich die Westalliierten, hätte sich vereint, um dem Grauen des Faschismus militärisch ein Ende zu setzen.

Der Weltkrieg wird dabei zu einer Blaupause für alle gegenwärtigen Kriege stilisiert, bei denen »Demokratien« gegen »Schurkenstaaten« kämpfen. Und, das ist die besondere Aussage der Bundesregierung, das neue, demokratische Deutschland gehöre jetzt zu den Guten. Die Lehre ist in dieser Lesart die Verpflichtung, sich in aller Welt auch mit kriegerischen Mitteln für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen.

Diese Art der Propaganda erleben wir schon lange, beispielsweise als Joschka Fischer den Krieg gegen Serbien im Frühjahr 1999 mit angeblichen serbischen Konzentrationslagern rechtfertigte, Saddam Hussein zum »neuen Hitler« erklärt wurde oder Benjamin Netanjahu den Atomdeal mit dem Iran als »Münchner Abkommen« verunglimpfte.

Sympathien mit dem Faschismus

Doch solche Analogien hinken. Ein offensichtlicher Unterschied ist, dass zum Beispiel der Iran, im Gegensatz zu Deutschland, in seiner gesamten Geschichte noch nie ein anderes Land angegriffen hat. Deutschland war in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine aufstrebende Industrienation, die wirtschaftlich die bis dahin führenden Weltmächte eingeholt hatte und nun versuchte, eine entsprechende Großmachtrolle zu erwerben – zwei Weltkriege waren die Folge. Von solch einer Rolle sind Länder wie Iran, Serbien oder der Irak weit entfernt.

Eine Ähnlichkeit gibt es aber doch: Die enge Zusammenarbeit mit dem heutigen Saudi-Arabien oder dem Irak der 1980er Jahre zeigen, dass die Haltung der Großmächte zu einem Regime recht flexibel ist. Sie wird nicht dadurch bestimmt, welche Regierungsform es hat, sondern, wessen Interessen es dient.

So war es auch in den 1930er Jahren: Viele »Demokraten« hegten Sympathien mit dem Faschismus. Die revolutionäre Welle in Europa, die den Ersten Weltkrieg beendet hatte, war zwar abgeebbt, aber der Schreck saß den Eliten noch tief in den Knochen. Als in Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929 die soziale Spaltung von einer politischen Radikalisierung begleitet wurde, sahen viele Unternehmer und ihre konservativen und liberalen Freunde in der Politik die faschistischen Massenbewegungen als willkommenes Gegengewicht zu den stärker werdenden Kommunisten. Der britische Premierminister Winston Churchill, selbst notorischer Antisemit, war zum Beispiel ein bekennender Bewunderer des italienischen Faschisten Benito Mussolini.

Moskaus neue Freunde im Westen

In Deutschland haben diese Kreise Hitler zur Macht verholfen. Auch in anderen Industrieländern gab es aufstrebende faschistische Bewegungen, die von Teilen der Wirtschaft unterstützt wurden. Aber die soziale und politische Krise war in den meisten Ländern nicht so tief wie in Deutschland. Vor allem waren die Arbeiterinnen und Arbeiter anderer Länder nach der kampflosen Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung gewillt, sich gegen den Faschismus zu wehren.

In Spanien beantworteten sie beispielsweise den Putsch Francos mit einem Aufstand, der folgende Bürgerkrieg dauerte Jahre. Tausende antifaschistische Aktivistinnen und Aktivisten aus der ganzen Welt strömten auf die iberische Halbinsel, um eine weitere Niederlage zu verhindern. Die Regierungen in London, Paris und Washington hingegen hatten kaum mehr als Lippenbekenntnisse beizutragen. Auch die Regierung in Moskau war danach bestrebt, eine Radikalisierung der Bewegung gegen Franco zu verhindern, um ihre neuen Freunde im Westen nicht zu verschrecken. Die eigenen Interessen waren allen wichtiger als ein Sieg gegen den Faschismus.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschlechterten sich die Beziehungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA zu Deutschland keineswegs. Viele Konservative bewunderten die harte Haltung der Nazis gegen Kommunisten und Gewerkschafter. Die britische Politik war von dem Ziel geleitet, ein Kräftegleichgewicht zwischen Deutschland und der Sowjetunion herzustellen. Die USA hofften, die alten und neuen europäischen Großmächte würden sich gegenseitig neutralisieren, damit keine europäische Hegemonialmacht entstünde, die ihre Dominanz in Lateinamerika und im Pazifik gefährden würde.

Hitler-Stalin-Pakt ändert die Situation

Erst der Hitler-Stalin-Pakt im August 1939 veränderte die Situation. Schon vorher hatten Nazis und Stalinisten punktuell zusammengearbeitet, zum Beispiel in der Rüstungsforschung – während gleichzeitig Kommunisten in Deutschland in den KZs landeten. Aber nun wurde deutlich, dass die Aufteilung Mittel- und Osteuropas zwischen Deutschland und Russland im beiderseitigen Interesse war und Stalin an einem deutschen Angriff auf Frankreich und Großbritannien nichts auszusetzen hatte.

Dadurch wurde der deutsche Imperialismus zu einer unmittelbaren Bedrohung für die imperialen Interessen Großbritanniens und nun setzte sich in London die Position durch, dass »der Faschismus gestoppt« werden müsse. In Washington und Moskau brauchte diese Erkenntnis noch weitere zwei Jahre. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurde Nazideutschland in der stalinschen Propaganda aus einer »friedliebenden Nation« zu einem faschistischen Monster.

Selbst im Krieg war der »Kampf gegen den Faschismus« immer den strategischen und geopolitischen Zielen der Alliierten untergeordnet. Großbritannien verzichtete darauf, die Kolonien in die Eigenständigkeit zu entlassen, was nicht nur erhebliche militärische Ressourcen freigesetzt hätte, sondern dort auch massenhafte Unterstützung für die Kriegsanstrengungen gegen Deutschland und Japan hätte hervorrufen können.

Die französischen Eliten kooperierten größtenteils mit den Nazis. Dies ging bis hin zu Sabotage aus den Reihen des Offizierskorps. Die französische Luftwaffe beispielsweise ist beim deutschen Einmarsch praktisch nicht zum Einsatz gekommen. Viele der Luftwaffenoffiziere bevorzugten eine Besatzung durch die Nazis mit den zu erwartenden Massenverhaftungen von Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschaftern gegenüber einer Fortsetzung der Volksfrontregierung, an der auch die Kommunisten beteiligt waren.

Allierte schwächen den Widerstand

Griechische Partisanen wurden von den Westmächten nicht unterstützt, weil sie ihnen zu links waren. Als sie die Wehrmacht aus dem Land vertrieben hatten, bemühte sich Großbritannien darum, die alte Monarchie zu restaurieren. Dabei setzte es die berüchtigten faschistischen »Sicherheitsbataillone« ein, die mit der faschistischen Besatzungsmacht kooperiert hatten. Während dieser gewaltsamen Intervention starben Zehntausende Griechen.

Die polnische Widerstandsbewegung hingegen war antikommunistisch und wurde entsprechend vom Westen unterstützt. Stalin aber, der an einem unabhängigen Polen kein Interesse hatte, unterband diese Hilfe im entscheidenden Moment. Beim Warschauer Aufstand 1944 stoppte die Rote Armee ihren Vormarsch, um der Wehrmacht die Niederschlagung des Aufstands zu ermöglichen. Den Westalliierten verbot sie die Lieferung von Nachschub an die Aufständischen.

Die US-geführte Invasion in der Normandie fand erst statt, als offensichtlich war, dass die Rote Armee im Osten gewinnen würde. Die Westalliierten wollten nun sicherstellen, dass Stalin nicht bis zum Atlantik vorrücken würde. Der »Wettlauf auf Berlin« begann. Nach der deutschen Kapitulation und vor dem Hintergrund des entstehenden Kalten Krieges erklärte Churchill, man habe »das falsche Schwein geschlachtet«.

Durchsetzung imperialer Interessen

Der Zweite Weltkrieg diente also in erster Linie nicht dem Kampf gegen den Faschismus, sondern der Durchsetzung imperialer Interessen. Zwar beendete er die Barbarei des Nazi-Regimes, aber er legte gleichzeitig die Grundlage für die kommenden Gemetzel und die drohende atomare Vernichtung der gesamten Menschheit im Kalten Krieg.

Karl Liebknechts Ausspruch aus dem Jahr 1915 bleibt richtig: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land.« Doch schrieb er damals auch: »Gegen die Kriegstreiber diesseits und jenseits der Grenzen!« Auch das gilt noch heute.

Dieser Beitrag ist im Juni 2019 auf marx21.de erschienen

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