Clara Zetkin – Die große Unbekannte

Der Sozialistin Clara Zetkin ist es zu verdanken, dass am 8. März überall auf der Welt der Internationale Frauentag gefeiert wird. Auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz schlug sie 1910 die Einführung vor. Katrin Schierbach über das Denken und Wirken der großen Revolutionärin

Mit der Novemberrevolution erreichte die Frauenbewegung eins ihrer Ziele, für das sie lange gekämpft hatte: das allgemeine Frauenwahlrecht. Schon in den Vorkriegsjahren stand das Frauenwahlrecht im Zentrum der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung. Gestärkt durch den von Clara Zetkin 1907 mitbegründeten Internationalen Frauentag demonstrierten Hunderttausende Frauen dafür und diskutierten ihre Rechte. Im Jahr 1918 wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland im Zuge der revolutionären Bewegung endlich durchgesetzt.

Clara Zetkin blieb über 50 Jahre lang aktive revolutionäre Sozialistin. Sie war 1889 Delegierte auf dem in Paris stattfindenden Internationalen Arbeiterkongress und gründete die Sozialistische Internationale mit. Gut 25 Jahre arbeitete sie als Chefredakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”. Sie baute gemeinsam mit vielen anderen Aktivistinnen die proletarische Frauenbewegung in Deutschland auf. Zum Ende des Ersten Weltkriegs verließ sie die SPD und wurde erst Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) und später ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Die Bandbreite ihrer politischen Themen war groß: Frauenbefreiung, Antirassismus, revolutionäre Ausrichtung der Sozialdemokratie, Internationalismus und Widerstand gegen den Ersten Weltkrieg, Antifaschismus, Bildung und Schule, Kunst.

Zetkin als Revolutionärin

Zetkin war davon überzeugt, dass der Kapitalismus nur durch eine Revolution überwunden werden könne. Das Privateigentum an Produktionsmitteln müsse aufgehoben und vergesellschaftet werden, die Produktion gemeinsam und demokratisch von unten geplant werden. Dafür müsse der bürgerliche Klassenstaat durch eine Massenbewegung gestürzt und entwaffnet werden. Eine Revolution sei aber auch deshalb nötig, damit die Menschen ihre durch den Kapitalismus geprägten Vorstellungen überwinden und eine solidarische, klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung erschaffen könnten.

Um eine revolutionäre Massenbewegung aufzubauen, vertrat sie gemeinsam mit Rosa Luxemburg das Konzept der „revolutionären Realpolitik” – die Arbeiterinnen und Arbeiter müssten ihre Lebens- und Arbeitssituation durch den Kampf für Reformen verbessern und gleichzeitig eine revolutionäre Bewegung hin zum Sozialismus mit aufbauen, da sich ihre Lebensbedingungen innerhalb des Kapitalismus nicht dauerhaft und grundsätzlich verbessern ließen. Clara Zetkin meinte, dass die Revolution nicht sofort alle tief sitzenden Vorurteile wegwischen könnte, die sich über Generationen in den Köpfen der Frauen und Männer festgesetzt hätten. Sie schaffe jedoch die soziale Grundlage dafür.

Die Befreiung der Frau

Schon in ihrer ersten internationalen Rede im Jahr 1889 in Paris stritt Zetkin für die Befreiung der Frau. Zetkin ging davon aus, dass alle Frauen unterdrückt sind, aber je nach Klassenlage unterschiedliche Interessen haben. Am Beispiel der Dienstbotinnen machte sie diesen Interessengegensatz deutlich. Im Jahr 1882 arbeiteten 15 Prozent aller Arbeiterinnen als Dienstbotinnen. Sie hatten nur wenige freie Stunden in der Woche, mussten rund um die Uhr auf Abruf zur Verfügung stehen. Für sie galt weder Arbeitsschutz noch das Recht auf Bildung von Gewerkschaften. Und sie waren sexuellen Übergriffen ihres Dienstherren oftmals schutzlos ausgeliefert.

Clara Zetkin und die proletarische Frauenbewegung solidarisierten sich mit der Bewegung für das Abitur für Mädchen und das Frauenstudium. Für Arbeiterinnen konnte die Möglichkeit zu studieren jedoch nicht an erster Stelle stehen. Ihre zentrale Forderung war der Achtstundentag, damit sie neben der Erwerbsarbeit überhaupt Zeit finden konnten, um sich zu bilden.

In ihrer Rede forderte Zetkin zunächst, es müsse keine gesonderten Regelungen für Arbeiterinnen geben. Die Forderungen nach einem Achtstundentag und allgemeinen Schutzbestimmungen reichten jedoch nicht aus, um die doppelte Unterdrückung und Belastung der Arbeiterinnen zu berücksichtigen. So entwickelten diese dann Forderungen zur Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, wie das Verbot von Nachtarbeit und gesundheitsschädlichen Produktionsweisen, Einführung von Schwangeren- und Mutterschutz, längeren Mittagspausen für Frauen, freien Samstagnachmittagen und des achtstündigen Maximalarbeitstags. Zetkin forderte Mindestlöhne, Tarifregelungen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und staatliche Kontrollen der Schutzbestimmungen durch Fabrikinspektorinnen.

Zetkin und Bildungspolitik

Damit auch Arbeiterkinder eine bessere Bildung erhielten, forderte Clara Zetkin eine Volksschule für alle – einen einheitlichen Schultyp von der Volksschule bis zur Universität für alle, unabhängig von der sozialen Herkunft und dem Geschlecht. Sie forderte, dass der Unterrichtsinhalt nicht der Vermittlung kaisertreuer und kirchentreuer herrschender Ideen dienen dürfe. Mädchen und Jungen müssten gemeinsam erzogen werden. Hier zeigt sich auch Zetkins modernes Verständnis der Geschlechterrollen: „So wenig, wie z. B. alle Männer mit den Keimen der Befähigung, Schuhmacher, Soldat oder Maler zu sein, geboren werden, so wenig sich bei ihnen allen diese vielleicht vorhandenen Keime entwickeln können, ebenso wenig bringt jede Frau die Begabung für den pädagogischen Beruf mit auf die Welt (…) Die Begabung für den erzieherischen Beruf ist wie jedes andere Talent nach Individuen und nicht nach Geschlechtern verteilt.”

Proletarische Frauenbewegung

Mittels der Zeitschrift „Die Gleichheit” und in der politischen Praxis bauten Zetkin und viele Mitstreitende die proletarische Frauenbewegung auf. Und dies so erfolgreich, dass die proletarische Frauenbewegung in ihrer Größe und in ihrer Wehrhaftigkeit als äußerst einflussreiche Bewegung im Kaiserreich gilt.

Die Aktivistinnen unternahmen besondere Anstrengungen, um Frauen zu organisieren. In der „Gleichheit” veröffentlichten sie Texte für Lese- und Diskussionsabende, da Frauen durch die Doppelbelastung von Arbeit und Familie oft nur schwer an den klassischen Parteiaktivitäten teilnehmen konnten. Kleine Lesegruppen erwiesen sich als geeigneter, um Schwellenängste abzubauen. Die Aktivistinnen besuchten die Heimarbeiterinnen während ihrer Arbeitszeit, um gemeinsam zu diskutieren. Zetkin veröffentliche Berichte aus den Gewerkschaften, von Arbeitskämpfen und internationalen Bewegungen. Zusammen mit Berichten von den Vertrauenspersonen der „Gleichheit” über ihre Aktivitäten sollten sie die Kämpfe vor Ort stärken.

Gleichzeitig führte Zetkin auch innerhalb ihrer Partei, der Sozialdemokratie, einen harten Kampf gegen Tendenzen, die „Frauenfrage” als nebensächlich abzutun oder so zu tun, als seien besondere Anstrengungen und ein Kampf für Reformen in der Frage nicht notwendig, da sich die Frauenunterdrückung mit der Revolution von selbst erledige.

Im Jahr 1893 schrieb Clara Zetkin: „Die Arbeiter müssen aufhören, in der Arbeiterin in erster Linie eine Frau zu sehen, der man, je nachdem sie jung, hübsch, sympathisch, heiter oder es nicht ist, den Hof macht und der gegenüber man sich eventuell je nach dem Grade der eigenen Bildung oder Unbildung Rohheiten und Zudringlichkeiten erlaubt. Die Arbeiter müssen sich vielmehr daran gewöhnen, die Arbeiterin in erster Linie als Proletarierin zu behandeln und als Genossin der Arbeit und der Klassensklaverei und als gleichwertige, unentbehrliche Mitstreiterin im Klassenkampf.”

Zetkin zur „Gebärstreikdebatte”

In der Gebärstreikdebatte im Jahr 1913/1914 vertrat Zetkin teils widersprüchliche, teils falsche Einstellungen. Mit ihren Beiträgen stellte Zetkin heraus: Die Forderung nach einem Gebärstreik löse nicht die Probleme von Frauen und dürfte nicht als Abkürzung im Kampf für eine gerechte Gesellschaft verstanden werden. Auch dürfte er nicht mit rechten Argumente im Sinne des Bevölkerungstheoretikers Thomas Malthus verbunden sein, der eine höhere Geburtenrate in proletarischen Familien und vermeintlich weniger wertvolles Leben anprangerte. Sie betonte, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen zu Fehlgeburten und körperlicher Schädigung von Kindern führten.

Sie forderte jedoch nicht den freien Zugang zu Verhütungsmitteln. Sie billigte zwar der einzelnen Frau zu, zu entscheiden, ob sie Verhütungsmittel nutzte. Ebenso verurteilte sie die Polizei und deren „Büttelschnüffelei wider den Vertrieb und Verbrauch empfängnisverhütender Mittel”. Gleichzeitig erwähnte sie in ihrer Rede gegen den Gebärstreik aber auch, dass der „präventive Geschlechtsverkehr” (Verkehr mit Verhütungsmitteln) schädlich sei.

Im Laufe der folgenden Jahre änderte Zetkin ihre Meinung. Als Mitglied der Zentrale der KPD und Vorsitzende der Fraueninternationale unterstützte sie in der Weimarer Republik den Aufbau der Kampagne gegen den Paragraphen 218 und stellte sich gegen das päpstliche Verbot in der 1930 erschienenen Enzyklika „Casti Connubii”, Verhütungsmittel zu benutzen.

Gegen den Ersten Weltkrieg

Schon in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs veröffentlichte Zetkin mit Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Franz Mehring eine gemeinsame Erklärung gegen den Krieg. Trotz Zensur und Hausdurchsuchungen nutzte sie ihre Stellung als Chefredakteurin der „Gleichheit” dafür, für die Antikriegshaltung und eine kritische Position gegenüber der Mehrheitssozialdemokratie zu werben.

Sie organisierte inmitten des Ersten Weltkriegs das erste internationale Treffen der Sozialdemokratie seit Kriegsbeginn. Ende März 1915 trafen sich in Bern 25 Sozialistinnen aus Deutschland, Frankreich, England, Italien, den Niederlanden, Polen, Russland und der Schweiz zur internationalen sozialistischen Frauenkonferenz. Gemeinsam beschlossen die Vertreterinnen den an alle Arbeiterinnen der kriegsführenden Staaten gerichteten Friedensappell „Frauen des arbeitenden Volkes!”, der maßgeblich von Zetkin verfasst worden war.

Bis Juli 1915 sollen 300.000 Exemplare des Friedensappells in rund 100 Ortschaften in Deutschland verteilt worden sein. In ganz Deutschland nahmen Aktionen gegen den Krieg zu – vermehrt unter der Führung von Frauen, deren Männer und Söhne an die Front mussten.

Revolution in Russland

Die Revolution in Russland gab Zetkin recht, dass es möglich war, den Kapitalismus zu stürzen. Zetkin begrüßte die Russische Revolution von 1917 und warb auch 1918 in der Novemberrevolution in Deutschland dafür, dass die Arbeiter und Soldaten, nachdem sie den Krieg beendet und den Kaiser gestürzt hatten, die Macht nicht mit der Bourgeoisie teilen, sondern sie wie in Russland selbst übernehmen sollten.

Zetkin gegen den Faschismus

In den Anfangsjahren der Weimarer Republik entwickelte Zetkin als eine der Ersten in der Kommunistischen Internationale (Komintern) mit ihrem Bericht „Der Kampf gegen den Faschismus” eine Analyse dieses neuen gesellschaftlichen Phänomens: Sie erkannte, dass das „Proletariat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen Feind” vor sich habe. Bei aller Unterschiedlichkeit der faschistischen Bewegungen in den einzelnen Ländern gebe es Gemeinsamkeiten: ein scheinrevolutionäres Programm, das „an die Stimmungen, Interessen und Forderungen breitester sozialer Massen anknüpft” und die Anwendung „brutalsten, gewalttätigen Terrors”.

Zetkin kam zu der Schlussfolgerung, dass nur eine proletarische Einheitsfront den Faschismus würde niederringen können: Die kommunistischen Parteien sollten demnach ernsthaft versuchen, mit den Führungen reformistischer Organisationen eine begrenzte Zusammenarbeit zu vereinbaren und auf gemeinsame Aktivitäten zu drängen.

Einheitsfrontpolitik

Gleichzeitig bedeutet diese Einheitsfront nicht, programmatische Zugeständnisse an die Bündnispartner oder den „Unverstand der Massen” zu machen, im Gegenteil. Die organisatorische und politische Unabhängigkeit ist notwendige Voraussetzung dafür, den Kampf zu gewinnen. Denn dem Faschismus könne letztlich der Nährboden nur entzogen werden, wenn es gelänge, den verzweifelten Massen eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung jenseits des Kapitalismus aufzuzeigen.

Die Stalinisierung der Komintern verhinderte, dass diese richtige Taktik verfolgt und der Faschismus geschlagen wurde. Ihren Positionen blieb Zetkin dennoch bis an ihr Lebensende treu: Im Jahr 1932, am Vorabend der Machtübergabe an Hitler und ein Jahr vor ihrem Tod, forderte sie in ihrer Rede als Alterspräsidentin des Reichstags auf, mit vereinten Kräften gegen den Faschismus zu mobilisieren: „In der auch in Deutschland sich formierenden Einheitsfront der Werktätigen dürfen die Millionen Frauen nicht fehlen, die noch immer Ketten der Geschlechtssklaverei und dadurch härtester Klassensklaverei ausgeliefert sind. In den vordersten Reihen muss die Jugend kämpfen, die freies Emporblühen und Ausreifen ihrer Kräfte heischt, aber heute keine andere Aussicht hat als den Kadavergehorsam und die Ausbeutung in den Kolonnen der Arbeitsdienstpflichtigen.”

Die Autorin:

Katrin Schierbach schreibt über die Frauenbewegung und ist aktiv in der LINKEN.

Das Buch:

Rebels Guide: Wer war Clara Zetkin?
Von Florian Fandrich, Vanessa Isabel Rieker, Katrin Schierbach, Vincent Streichhahn, Irmgard Wurdack
Edition Aurora
Berlin 2018
92 Seiten
EUR 4,50

Zum Weiterlesen:

Katrin Schierbach
Befreiung und Selbstbefreiung in der Russischen Revolution.
In: theorie 21, Nr. 7, 2017, 100 Jahre Oktoberrevolution

Simone Käfer, Kathrin Schierbach, Irmgard Wurdack
Die proletarische Frauenbewegung 1860 bis 1933
In: theorie 21, Nr. 5, 2015, Geschlecht, Klasse, Sozialismus


Titelbild: Ullstein