Nachdem Macron Neuwahlen ausgerufen hatte, demonstrierten viele in Paris spontan gegen den RN

Macron wird uns nicht gegen Le Pen verteidigen

Macron hat nach dem Sieg der Rechtsextremen bei der Europawahl Neuwahlen ausgerufen und riskiert so, den Faschismus weiter zu stärken. Von John Mullen

Bei den Europawahlen am 9. Juni in Frankreich hat die faschistische Marine Le Pen einen großen Sieg errungen. Ihre Partei hat 31,4 % der Stimmen erhalten, gegenüber 23,3 % vor fünf Jahren. Die Partei von Präsident Macron erhielt nur 14,6 %. Die meisten Beobachter waren schockiert, als Macron umgehend vorgezogene Parlamentswahlen für Ende Juni ankündigte. Er hofft darauf, seine parlamentarische Mehrheit zurückzubekommen. Er ist bereit, das Risiko einzugehen, den Faschismus weiter zu stärken.

Die Wahlen vom vergangenen Sonntag waren die ersten bedeutenden Wahlen, seit Macron eine zweite Amtszeit als Präsident gewonnen, aber seine absolute Mehrheit im Parlament verloren hat (2022). Es waren auch die ersten Wahlen seit der historischen Explosion des kreativen Klassenkampfes im Jahr 2023, der sich gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters richtete. Diese Bewegung erlitt trotz ihrer Dynamik und enormen Popularität eine Niederlage, da sich die nationalen Gewerkschaftsführer weigerten, einen Generalstreik zu organisieren.

Macrons Niederlage, Le Pens Erfolg

Bei den letzten Europawahlen im Jahr 2019 waren 47 Millionen Menschen als Wähler registriert. Vierundzwanzig Millionen blieben zu Hause. Fünf Millionen stimmten für die Faschisten, fünf Millionen für Macron und seine Verbündeten, zwei Millionen für andere Rechte. Drei Millionen stimmten für die Grünen, anderthalb Millionen für die linksradikale France Insoumise (Frankreich in Aufruhr), anderthalb Millionen für die Sozialistische Partei und ihre Verbündeten. Eine Million Wahlzettel waren ungültig.

Diesmal erhielt Le Pens Nationale Sammlungsbewegung (RN, früher Front National) weit über sieben Millionen Stimmen. Macrons Liste erhielt weniger als die Hälfte davon. Das Bündnis um die Sozialistische Partei liegt bei 13,8 % und die France insoumise bei 9,9 %. Die traditionellen rechtsgerichteten Republikaner liegen bei 7,3 %. Die Kommunistische Partei erhielt nur 2,4 %, die Grünen 5,5 %. Eine weitere faschistische Gruppe, Reconquest, die von Eric Zemmour angeführt wird und offen rechts von Le Pen steht, erhielt ebenfalls 5,5 %.

Der Wahlkampf der Linken 

Auf der linken Seite versucht die Sozialistische Partei langsam, sich von ihrem historischen Zusammenbruch zu erholen. Dieser ist auf ihre Zeit in der Regierung zurückzuführen, in der sie neoliberale Angriffe auf die Arbeitnehmer organisierte. Im Jahr 2022 lag sie bei den Präsidentschaftswahlen bei unter 2 % der Stimmen. Die Lektion für uns ist zweifellos, dass die Sozialdemokratie vom Typ Blair oder Schröder immer wieder zurückkommen kann, insbesondere wenn die sozialen Massenbewegungen keine klaren Siege erringen. Ihre Vision der Gesellschaft wird von den Mainstream-Medien stark unterstützt. Viele Wähler sind versucht, sich eher mit einer langsameren, weniger harten Version der Diktatur des Marktes zufrieden zu geben, als eine echte Alternative zu wählen.

Der bei weitem nützlichste Wahlkampf der Linken war der von Manon Aubry von France Insoumise, in dem radikal linke Reformer zu einer „Bürgerrevolution“ aufriefen. An der dynamischen Kampagne, bei der im ganzen Land von Tür zu Tür gegangen und dafür geworben wurde (was im französischen Wahlkampf unüblich ist), waren viele neue Aktivisten beteiligt. Für erfolgreiche Massenversammlungen mussten oft überfüllte Säle geöffnet werden, wie letzte Woche in dem multiethnischen Arbeitervorort Garges les Gonesse. Die Kandidaten besuchten die Universitäten, während an regelmäßigen Bildungswochenenden eine neue Generation politischer Führungskräfte ausgebildet wurde. Der Wahlkampfslogan der FI lautete „die Kraft, alles zu ändern“. Die wichtigsten Forderungen sind eine Erhöhung des Mindestlohns, die Rückkehr zur Rente mit 60, ein Einfrieren der Preise für Grundnahrungsmittel und andere lebensnotwendige Güter sowie ein Verbot von Waffenverkäufen an Israel.

Gegen Völkermord in Gaza

Der Wahlkampf stellte den Widerstand gegen den Völkermord in Gaza in den Vordergrund. FI weigerte sich, die Angriffe der Hamas auf Israel als „Terrorismus“ abzutun. Infolgedessen wurden mehrere Versammlungen von den Polizeibehörden verboten. Gegen einen FI-Führer laufen polizeiliche Ermittlungen wegen „Verteidigung des Terrorismus“. Jeden Tag werden Mélenchon und andere FI-Führer in den Medien beschuldigt, Juden zu hassen. Viele Menschen glauben diese Lügen.

Auf der Grundlage dieses Programms konnte die France insoumise ihren Stimmenanteil landesweit von 6,3 % bei den letzten Europawahlen auf 9,9 % steigern. In den multiethnischen Arbeitervorstädten rund um Paris erreichte sie oft über 30 % der Stimmen (58 % in La Courneuve, 51 % in Saint Denis, 53 % in Bobigny). Das zeigt, dass die radikale Linke mit ihrer Politik Stimmen gewinnen kann.

Die Führung der FI (mit der Marxisten wie ich viele Meinungsverschiedenheiten haben) hat sich in den letzten Jahren in wichtigen Fragen nicht beirren lassen und verfolgt einen radikalen Kurs. Als Jugendliche im vergangenen Jahr nach einem rassistischen Mord durch einen Polizisten in Dutzenden von Städten randalierten, erklärte Mélenchon, Hauptvorsitzender der FI: „Man hat uns gesagt, wir sollen zur Ruhe aufrufen. Wir fordern Gerechtigkeit!“. Darüber hinaus hat die FI eine prinzipiell antikolonialistische Position zur gegenwärtigen Krise in Neukaledonien beibehalten und prangert lautstark den Rassismus gegen Muslime an.

Le Pen und der RN

Die rechtsextreme Nationale Sammlungsbewegung RN, die Partei von Marine Le Pen, baut auf der rassistischen Idee auf, die französischen Werte gegen die angebliche Gefahr durch Einwanderer und Muslime zu verteidigen. Erst kürzlich sagte Le Pen, dass das muslimische Kopftuch an allen öffentlichen Orten verboten werden sollte. Inzwischen führt der junge, gut gekleideten Faschist Jordan Bardella die Partei an. In den letzten Jahren ist es ihr äußerst erfolgreich gelungen, die meisten Menschen davon zu überzeugen, dass sie eine politische Partei wie jede andere sei. Um dieses Bild zu vermitteln, wurde der Vater von Marine Le Pen, Jean-Marie, aus der Organisation ausgeschlossen. Die 82 Abgeordneten der RN sind im Allgemeinen sehr darauf bedacht, Kontroversen zu vermeiden. Währenddessen nehmen sie an jedem Flohmarkt teil, schütteln Hände und versuchen, normal auszusehen. Kürzlich brach die RN unter dem Vorwand, schockiert zu sein, die meisten ihrer Verbindungen zur AfD in Deutschland ab, nachdem sich deren Spitzenkandidat Maximilian Krah positiv über die SS geäußert hatte.

Die RN behauptet, die einfachen Menschen in Frankreich zu verteidigen, obwohl sie gegen eine Erhöhung des nationalen Mindestlohns (2022) und gegen einen Mietpreisstopp (2023) gestimmt hat. Ihre gewählten Vertreter haben gegen einen leichteren Zugang zur Abtreibung (2015) und gegen eine Aufstockung der Mittel zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt (2016) gestimmt. Sie haben gegen viele umweltfreundliche Vorschriften und gegen die Stärkung der Verantwortung der Unternehmen zur Vermeidung von Umweltschäden gestimmt (2021). Ihre Abgeordneten haben die meisten neoliberalen Reformen Macrons unterstützt. Die RN setzt sich für die Kernenergie und gegen die Windkraft ein. Sie verspricht, die Erbschaftssteuer für Reiche zu senken und Sozialwohnungen nur für Menschen mit französischer Staatsangehörigkeit bereitzustellen. Sie will die Haftstrafen erhöhen und die Strafverfolgung von gewalttätigen Polizisten noch schwieriger machen.

Macron/LePen: Ein Duett, kein Duell

Der Aufstieg der RN wurde entscheidend dadurch begünstigt, dass Macron wiederholt deren Visionen unterstützte. Er verabschiedete islamfeindliche Gesetze, verbot muslimische Rechtsschutzorganisationen und unterstützte die brutale Polizeirepression. Macrons Minister, die behaupten, dass Universitäten „von Islamisten kontrolliert“ werden, und Macrons schießwütige Polizisten, die junge arabische Männer töten, sind genau das, was die Faschisten brauchen, um ihren Einfluss weiter auszubauen.

Heutzutage zielen die endlosen Schulungskurse der Regierung für Beamte zur „Verteidigung des Laizismus“ darauf ab, das Misstrauen gegenüber allen Muslimen zu einem Volkssport zu machen, dabei helfen sie vor allem der extremen Rechten. Macron hat Marine Le Pen letzte Woche noch weiter in den Mittelpunkt gerückt, indem er einer Fernsehdebatte zwischen seinem Premierminister Gabriel Attal und dem RN-Führer Jordan Bardella zustimmte. Damit vermittelte er den Eindruck, dass die Linke keine Rolle spielt, sondern nur Macrons Bande gegen die Extremisten. In der Debatte vermied es Attal sorgfältig, Rassismus oder Faschismus zu erwähnen.

Eine antifaschistische Kampagne

Die Faschisten hoffen, ihre Gewinne bei den Parlamentswahlen in drei Wochen zu konsolidieren. Die Organisation hat immer noch große Schwierigkeiten, einen Parteiapparat aufzubauen. Sie hatte während der gesamten Europawahlkampagne nur acht öffentliche Veranstaltungen, weit weniger als andere Parteien. Doch die Dringlichkeit einer groß angelegten nationalen antifaschistischen Kampagne wird immer deutlicher.

Macron wird seine Partei einmal mehr als einzige Alternative zum „Extremismus“ der Rechten und der Linken präsentieren. Aber dieser Diskurs, der seine neoliberalen Angriffe auf die Renten und die Arbeitslosenunterstützung verdeckt, überzeugt von Jahr zu Jahr weniger Menschen. Die Linke muss eine radikale Alternative präsentieren. Während ich schreibe, laufen Verhandlungen zwischen linken Kräften über die Möglichkeit einer vereinigten linken Front für die Parlamentswahlen. Die Sozialistische Partei möchte ein Bündnis auf der Grundlage eines sanften Neoliberalismus und ohne Unterstützung für Palästina. Die France Insoumise möchte ein Bündnis auf der Grundlage eines radikalen linken Programms. Eine dynamische linke Wahlkampagne ist notwendig, um die Faschisten zurückzudrängen.

John Mullen ist ein revolutionärer Sozialist im Raum Paris und ein Unterstützer der France Insoumise. Seine Website lautet randombolshevik.org

Foto: Nachdem Macron Neuwahlen ausgerufen hatte, demonstrierten Menschen spontan in Paris gegen den rechten RN (Daniel Lartichaux)

Übersetzt von Redaktion