Sudan

Sudan: Der gefährliche Streit der Generäle

Über die Hintergründe des drohenden Bürgerkrieges im Sudan und die Rolle der sudanesischen Widerstandskomitees. Von Charlie Kimber

Die Anführer der antidemokratischen Kräfte, die einen Militärputsch im Sudan inszeniert haben, haben sich zerstritten, und ihre Anhänger:innen kämpfen nun mit Waffen um die Macht. Am Sonntagmorgen meldete ein sudanesisches Ärztekomitee, dass mindestens 56 Zivilist:innen im ganzen Land getötet worden seien und dass es viele weitere militärische Opfer gebe.

Konkurrenzkampf der militärischen Eliten im Sudan

Der Sudan könnte durch einen erbitterten Konkurrenzkampf zwischen den militärischen Eliten auseinandergerissen werden. Die Menschen, die seit Ende 2018 für einen revolutionären Wandel im Sudan gekämpft haben, müssen sich unabhängig von diesen beiden reaktionären Gruppierungen organisieren. Sie müssen die reaktionären Gruppierungen von der Bildfläche verschwinden lassen. Menschen in der Hauptstadt Khartum sagten, sie hätten am Samstag schwere Schüsse und Panzerbeschuss gehört. Vorausgegangen waren gescheiterte Verhandlungen zwischen der Armee, paramilitärischen und zivilen Gruppen über eine Vereinbarung zur Teilung der Macht.

Eskalation nach dem Putsch

Seit dem Staatsstreich im Oktober 2021 wird der Sudan von einem Rat von Generälen geführt. Im Mittelpunkt des Streits stehen zwei Militärs. Der eine ist General Abdel Fattah al-Burhan, der Chef der Streitkräfte und faktisch der Präsident des Landes ist. Der andere ist sein Stellvertreter und Anführer der schnellen Eingreiftruppen (RSF), General Mohamed Hamdan Dagalo, besser bekannt als Hemeti. Die beiden Generäle schlossen sich zu einem Staatsstreich zusammen, um ein Abkommen zur Einführung einer zivilen Regierung zu zerschlagen. Das Militär hatte dies mit einem leichtgläubigen, liberalen Flügel der Bewegung vereinbart, die 2019 den Diktator Omar al-Bashir vertrieben hatte.

Teile-und-herrsche-Taktik

Das Militär würde seine Kontrolle niemals freiwillig abgeben. Und so haben die Generäle, als die Zeit für eine zivile Regierung gekommen war, den Schleier guter Demokraten fallengelassen und wieder einmal die Macht an sich gerissen. Das Militär, das auf eine lange Geschichte von Massenmord und Folter zurückblicken kann, baute darauf, die 45 Millionen Einwohner einzuschüchtern, damit diese seine Herrschaft ängstlich akzeptieren. Stattdessen traf es auf eine wütende Gegenwehr. Heroische Massenbewegungen auf der Straße, die sich auf Widerstandskomitees an der Basis stützten, schlugen zurück und machten es dem Regime unmöglich, seine Herrschaft vollständig zu stabilisieren. Das Militär befürchtete, von den revolutionären Kräften hinweggefegt zu werden. Daher suchte es nach einem neuen Arrangement, um einen Teil der Opposition zu befrieden und eine für den westlichen Imperialismus akzeptable Regierung zu bilden. Diese liberale Tarnung sollte den Weg für Finanzmittel und Handelsabkommen ebnen.

Die Interessen des Militärs im Sudan

Sowohl al-Burhan als auch Hemeti wollten sicherstellen, dass die Generäle ihren enormen Reichtum behielten und das einfache Volk von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen wurde. Darüber hinaus wollten sie verhindern, dass die Verbrechen des Militärs zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu gehört das Massaker an mindestens 186 Menschen in einem Protestcamp am 3. Juni 2019. Am 5. Dezember letzten Jahres einigten sich die Armee und ein Teil der Opposition unter Führung des Zentralrats der Kräfte für Freiheit und Wandel auf ein Rahmenabkommen. Darin wurde erneut zugesagt, innerhalb von zwei Jahren eine zivile Regierung einzusetzen und Wahlen abzuhalten. Doch fast unmittelbar danach erklärte al-Burhan den Truppen: »Hört nicht auf das, was Politiker über die Militärreform sagen. Niemand darf sich in die Angelegenheiten der Armee einmischen«.

Seitdem fürchten al-Burhan und Hemeti, dass der jeweils andere es auf sie abgesehen haben könnte. Um an der Spitze zu bleiben, hat al-Burhan wiederholt davon gesprochen, die 100.000 Mann starke RSF in seine eigenen Streitkräfte einzugliedern. Die RSF wollte dies zehn Jahre lang hinauszögern, aber die Armee verlangte, dies solle in zwei Jahren geschehen. Hemeti hat versucht, sich als wiedergeborener Demokrat auszugeben, der im Nachhinein glaubt, dass der Staatsstreich ein Fehler war, und nun ernsthaft an der Einführung einer zivilen Regierung interessiert ist. Niemand sollte diesen beiden Schlägern trauen, die in den letzten anderthalb Jahren gemeinsam für die Unterdrückung von Demonstrationen und Streiks gesorgt haben. Die RSF hat ihren Ursprung in der berüchtigten Janjaweed-Miliz, die brutal gegen die Rebellen in Darfur vorging und Hunderttausende von Menschenleben forderte.

Die Rolle der Widerstandskomitees

Einer der positiven Aspekte der Widerstandskomitees besteht darin, dass sie immer auf »Nein zu Verhandlungen, Nein zu Partnerschaften und Nein zur Legitimierung der Putschisten“ bestanden haben. Doch dies wird nun auf die Probe gestellt werden. Es war besorgniserregend, dass eine der Quellen, die von den Widerstandskomitees genutzt wurden, am Samstag twitterte, »dass alle Bürger, wenn nötig, die nächstgelegenen sicheren Zufluchtsorte aufsuchen sollten«. »Der Weg zur Stabilität besteht darin, die Forderungen der Revolution zu erfüllen, indem man die Putschisten stürzt, die Armeen vereinigt und eine einzige nationale Berufsarmee aufstellt, die in der Lage ist, das Land zu schützen«, hieß es.

Streiks und Massendemonstrationen

Gewiss, die Putschisten müssen weg. Aber die Forderung nach einer »vereinigten« oder »professionellen« Armee nährt die Illusion, dass innerhalb der staatlichen Streitkräfte eine militärische Gruppe entstehen kann, die auf der Seite des Volkes steht. Es darf keine Kompromisse mit irgendeinem der Militärkommandeure geben. Die Anti-Putsch-Kräfte müssen aktiver werden und ein alternatives Zentrum der politischen Macht zu al-Burhan und Hemeti schaffen. Streiks, verbunden mit Massendemonstrationen, können für die Widerstandskomitees ein Weg sein, die Kontrolle in die eigenen Hände zu nehmen.


Zeitleiste der Revolution


Dezember 2018: Eine Verdreifachung der Preise für Brot und andere Grundgüter führt zu Protesten. Sie werden schnell zu einer politischen Revolte gegen das Regime von Omar al-Bashir, der seit einem Militärputsch 30 Jahre lang regiert hatte. Trotz der Repressionen nehmen die Proteste in den folgenden drei Monaten zu.

April 2019: Anstatt am Ende eines Marsches in Khartum abzureisen, besetzten die Demonstranten das Gelände um das Militärhauptquartier und begannen ein unbefristetes Sit-in. Sie errichteten Barrikaden, um sich vor Angriffen zu schützen, organisierten Lebensmittel, Wasser und Sicherheit, starteten Kulturprojekte und führten ständige Diskussionen. Das Beispiel griff auf einige andere Städte über. Und die Arbeitnehmer begannen, nicht nur als Einzelpersonen, sondern als organisierte Gruppen aus den Betrieben zu protestieren.

11. April 2019: Aus Angst vor dem Ausmaß der Proteste verkündet die Militärführung, dass Bashir abgesetzt worden ist. Doch die Militärs bleiben an der Macht. Die Proteste und Sitzstreiks gehen weiter, und am 28. und 29. Mai kommt es zu einem gewaltigen Generalstreik der Arbeiter.

3. Juni 2019: Angeführt von den berüchtigten paramilitärischen Rapid Support Forces stürmen die Streitkräfte des Militärrats das Sit-in in Khartum und töten mindestens 180 Menschen. Die Proteste und Streiks gehen jedoch weiter.

August 2019: Anstatt die Proteste zu nutzen, um das Militär zu entmachten, wird in einem faulen Abkommen eine „Machtteilung“ zwischen dem Militär und der pro-demokratischen Bewegung vereinbart.

Oktober 2019: Zahlreiche Menschen gehen auf die Straße, wütend über das langsame Tempo der Veränderungen und die wirtschaftliche Not.

Juli 2020: Bis zu einer Million Menschen marschieren, um „den Weg der Revolution zu korrigieren“.

Oktober 2021: Das Übergangsabkommen sieht vor, dass die Militärs zurücktreten, aber sie starten einen Putsch, um an der Macht zu bleiben. Es kommt zu sofortigen Straßenprotesten.

6. November 2021: Eine Million Menschen demonstrieren im ganzen Sudan gegen das Militär. Sie blockieren Straßen und machen deutlich, dass sie die Kontrolle durch das Militär nicht akzeptieren werden.

21. November 2021: Abdalla Hamdok, der entmachtete zivile Premierminister, einigt sich mit General Abdel Fattah al-Burhan darauf, für eine Übergangszeit eine Regierung aus Technokraten zu führen. Die meisten Oppositionellen, die gegen den Staatsstreich sind, verurteilen diesen Schritt als Täuschungsmanöver, das den Anschein eines Wandels erwecken soll, während das Militär faktisch an der Macht bleibt.

2. Januar 2022: Anhaltende Massenproteste erzwingen den Rücktritt Hamdoks. Die Vereinten Nationen und die westlichen Mächte versuchen weiterhin, einen Kompromiss zwischen den Menschen auf der Straße und den Generälen zu finden.


Mehr Informationen und Solidaritätsadressen unter menasolidaritynetwork.com


Der Artikel erschien zuerst auf Englisch bei der britischen Website Socialist Worker. Übersetzung: Rene Paulokat‏


Bild: Steve Evans / Wikimedia