Welche Strategie für die Klimabewegung?

Wie kann die Klimabewegung gewinnen? Ist Pazifismus der Schlüssel oder sollten wir alle lernen, wie man eine Pipeline in die Luft jagt? Die Autoren Andreas Malm und Noam Chomsky legen in ihren Büchern unterschiedliche Schwerpunkte, beide vermeiden aber, eine offensichtliche Schwäche der Bewegung anzusprechen. Ein Bookwatch von Simo Dorn

Die Klimabewegung sucht seit einigen Jahren nach der wirkmächtigsten und nachhaltigsten Proteststrategie um die Frage der Klimagerechtigkeit langfristig zu beantworten. In dieser Debatte prallen die unterschiedlichsten Strategien und Protestformen aufeinander, die sich nicht alle miteinander verbinden und in einer universellen Blaupause formulieren lassen.

Pipeline sprengen oder Pazifismus

Der Sozialist und Umweltaktivist Andreas Malm, den Naomi Klein als »einer der originellsten Denker« zu den Themen Klima und Ökologie bezeichnet, ist frustriert und wütend darüber, dass die Klimabewegung bisher seiner Meinung nach kaum Fortschritte erkämpft hat. In seinem Buch »Wie man eine Pipeline in die Luft jagt – Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen« (Matthes & Seitz Berlin 2020) schildert er leidenschaftlich aus der Perspektive eines Aktivisten, wie Politiker:innen, Medien und Konzerne trotz Jahrzehnte langer friedlicher Massenproteste für Klimaschutz, einfach weiter machen, als gäbe es keine Klimakrise.

Wie kann der Druck also erhöht werden? In seinem mitreißenden Manifest fordert Malm nichts weniger als die Eskalation: Die Bewegung müsse die Förderung fossiler Brennstoffe selbst zum Stillstand bringen – mit unserem Handeln, unseren Körpern, mit allem, was uns zur Verfügung steht. Es sei an der Zeit, das kaputt zu machen, was uns kaputt machen wird. »Die Kunst, die es hierbei zu meistern gilt, ist die der kontrollierten politischen Gewalt«. Gewaltfreiheit, so Malm, sorge für Sympathien, die wir uns im Angesicht der drohenden Katastrophe nicht mehr leisten könnten und denen kein Funke eines Systemwandels hin zu einer klimagerechten Welt innewohne. So diskutiert er in seinem Buch unterschiedlichste Strategien der Sabotage. Die Beispiele gehen vom Aufstechen der Autoreifen von Klimakiller-SUV bis zur Sprengung von Öl-Pipelines. Dabei grenzt sich Malm von Konzepten des individuellen Öko-Terrorismus oder einer Öko-Guerilla, wie sie von Anarchist:innen um Deep Green Resistance vorgeschlagen werden, scharf ab. Diese Vorschläge seien »Fieberträume« und ein militanter Klimakampf müsse vermeiden, in solche Untiefen abzusinken.

Das Buch liest sich spannend, und Malm begibt sich in eine lohnende Auseinandersetzung mit dem pazifistischen Flügel der Klimabewegung, der »Gewaltfreiheit« zum Rebellionskonsens erklärt. Malm entkräftet die Argumente für ein striktes Festhalten an einer pazifistischen Strategie überzeugend. Welche Methoden die organisierte Bewegung anwendet oder annimmt, muss, wie Malm zeigt, in jeder Situation entschieden werden. In manchen Situationen kann es richtig oder sogar notwendig sein, über das hinauszugehen, was legal ist oder was heute als vernünftig oder angemessen empfunden wird. Es ist alles eine Frage, welche Mittel zum Ziel führen und welche unwirksam sind oder Schaden anrichten. Allerdings bleibt Malm bei seiner Polemik eindimensional. Militanz und Radikalität setzt er mit Gewalt gleich. Dabei gerät der eigentliche Gegner – der Kapitalismus – bei ihm aus dem Fadenkreuz.

Massenbewegung aufbauen

Der mittlerweile 92-jährige US-Autor Noam Chomsky ist hier deutlicher. Auch er ist, wie Malm, kein Pazifist. In seinem Buch »Rebellion oder Untergang! – Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation« (Westend Frankfurt/Main 2021) plädiert der Linguist für die Organisation von internationalen Massenbewegungen, die das System der Ausbeutung der Natur und die Bedrohung menschlicher Existenz von unten angeht. Er spricht sich für eine Vielzahl an Strategien aus bis hin zum zivilen Ungehorsam. Die Frage der Militanz knüpft er aber an bestimmte Bedingungen: »Es ist nutzlos, zu mehr Militanz aufzurufen, wenn die Bevölkerung noch nicht dazu bereit ist und diese Bereitschaft kann nur durch geduldige Arbeit geschaffen werden. Das mag frustrierend sein, wenn wir an die nur zu reale Dringlichkeit der existenziellen Gefahren denken. Aber egal, ob das frustrierend ist oder nicht, wir können diese vorbereitenden Schritt nicht überspringen.«

Für Chomsky geht es bei den Kämpfen um Klimagerechtigkeit und um nukleare Abrüstung um die gleiche existenzielle Bedrohung. Sie können mit denselben Strategien und müssen mit demselben Engagement angegangen werden. Beiden Autoren ist die Dringlichkeit der Bedrohung durch die Klimakrise bewusst. Doch während Malm in einer anmutenden Kurzschlussreaktion zu Gewalt gegen die Infrastruktur der Bedrohung aufruft, durchdenkt Chomsky die Situation weitreichender, wohl wissend, dass Massenbewegung von unten sehr viel mehr Zeit braucht um handlungs- und wirkmächtig zu werden. Allerdings bietet Chomsky im Buch selbst wenig Konkretes. Dabei wäre beispielsweise der Erfolg der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland einen genaueren Blick wert gewesen. Das gilt auch für Malm. Denn dass 2011 die Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie festlegte, wäre ohne die jahrzehntelange Anti-AKW-Bewegung nicht denkbar gewesen. Der Erfolg dieser Massenbewegung lag aber nicht darin begründet, dass die Bewegung ihre Strategie änderte und beispielsweise sich darauf konzentrierte, die Infrastruktur der Atomindustrie anzugreifen. Die Bewegung handelte nicht nach dem Motto: Macht kaputt, was euch kaputt macht.

Lehren aus der Anti-AKW-Bewegung

Zwar gab es innerhalb der Bewegung auch immer einen »militanten« Flügel – von der »Schlacht um Grohnde« Ende der 1970er über Proteste gegen Kernkraftwerke in den 1980er Jahren oder gegen Atommülltransporte in den 1990er Jahren gab es immer eine Minderheit, die auch gewalttätige Aktionen bei Platzbesetzungen bis hin zu Sabotage und Anschläge auf Infrastruktur als legitimen Teil des politischen Protests verstand. Genutzt hat es wenig: Grohnde und Brokdorf wurden gebaut und auch die Castoren rollten – trotz militanter Proteste oder Sabotageaktionen. Dass die Anti-AKW-Bewegung sich am Ende doch durchsetzen und Stärke entwickeln konnte, lag vor allem daran, dass sie immer wieder Aktionsformen konzipierte, die Massenbeteiligungen möglich machten. Sie trotzte der staatlichen Repression und Gewalt, weil sie es ablehnte, sich in einen »gewalttätigen« und einen »friedlichen« Teil spalten zu lassen. Sie praktizierte zivilen Ungehorsam und baute breite Bündnisse und Netzwerke auf, welche das Anliegen der Bewegung über mehrere Generationen hinweg weiter trugen. Und sie erkämpfte sich den Rückhalt in der Bevölkerung, weil sie in der Lage war, die Lügen und Propaganda der Atomindustrie und ihrer Verbündeten in Politik und Medien erfolgreich zu bekämpfen – durch Bücher, Zeitschriften, Filme, Veranstaltungen und letztlich durch stetige Mobilisierungen auf der Straße.

Und anders als in den 1980er und 1990er Jahren waren vor allem nach Fukushima auch die Gewerkschaften endlich sichtbarer Teil des Protests. Die Proteste gipfelten am 26. März 2011 in der bundesweiten größten Massendemonstration der Anti-AKW-Bewegung mit rund 250.000 Teilnehmern. Drei Monate später im Juni 2011 beschloss der Bundestag daraufhin den Atomausstieg mit festen Terminen. Dass weder Malm noch Chomsky auf diese Erfolgsgeschichte eingehen, verwundert.

Strategischer und organisatorischer Akteur

Welchen Weg die Klimabewegung einschlagen wird, wird entscheidend für den Ausgang unseres Kampfes sein. Die Zeit drängt, und wir haben nur diesen einen Versuch. Vor diesem Hintergrund ist es wenig hilfreich, dass diese beiden Autoren der radikalen Linken eine offensichtliche Schwäche der Klimabewegung nicht ansprechen. Was sowohl in Malms, als auch in Chomskys Buch fehlt, ist, den Blick auf einen Bündnispartner der Klimabewegung zu werfen, der nicht nur das Potential hat, Reformen im Hier und Jetzt durchzusetzen, sondern auch den Schlüssel für eine ganze andere Gesellschaft in der Hand hält: die Arbeiter:innenklasse. Die organisierten Lohnabhängigen sind ein Akteur, welcher der Klimabewegung zu einer stärkeren Verwurzelung innerhalb der Gesellschaft hilft, der das bestehende Machtgefüge herausfordert, ein Akteur, der die Macht besitzt, die fossilen Konzerne in die Knie zu zwingen.

Es ist kaum die Schuld der beiden Autoren, dass die Macht der Arbeiter:innenklasse in ihren Büchern fehlt. Nicht nur in ihren Büchern ist die Arbeiter:innenklasse als Klasse wenig präsent – sie fehlt als organisierter Akteur, von einigen glänzenden Ausnahmen abgesehen, auch in der Klimabewegung. Dies beschreibt gerade die Herausforderung, vor dem die Bewegung und vor allem die radikale Linke steht. Denn egal, wie sehr die Regierenden und Kapitalist:innen Menschen verabscheuen, die Bankfenster einschlagen, Pipelines sabotieren oder ihre Luxusautos beschädigen, es gibt nichts, was ihnen so sehr schaden kann wie die organisierte Arbeiter:innenklasse. Die Debatte in der Bewegung um die oben skizzierten Strategien ist entfacht und die angeführten Argumente gilt es gegeneinander auszuloten; und zwar nicht von einer kleinen Avantgarde, sondern von der gesamten Breite der Bewegung.


Titelbild: Markus Spiske